Starke Beziehungen
Intendant Stephan Pauly über die Saison 2024/25
Das Abonnementprogramm der Saison 2024/25 bringt führende Künstler:innen der Gegenwart in den Musikverein. Maßgeschneiderte Festivals und Schwerpunkte laden dazu ein, bekannte Werke mit neuen Ohren zu hören und Neues zu entdecken.
© Julia Wesely
Herr Dr. Pauly, wenn Sie dieses beziehungsreiche Programm, das jetzt vorliegt, vor sich haben: Wie fühlt es sich an, wenn alle Fäden zusammengefunden haben, ein rundes Bild entsteht?
Ein starkes Saisonprogramm besteht idealerweise aus einem feinen Gewebe, für das viele Fäden gesponnen werden. Da gibt es viele rote Fäden, die die Konzerte inhaltlich miteinander verbinden. Programme und Festivals werden ja nicht in einsamer Arbeit am Schreibtisch entwickelt, sondern entstehen in kreativen Prozessen mit vielen Beteiligten: mit den Künstler:innen, dem Programm-Team im Musikverein, mit Kooperationspartnern, Künstlermanagements und mit mir. Da herrscht konstruktives Chaos, da jagt eine Idee die andere, manche Ideen sind stärker als andere und setzen sich durch. Viele Dinge lassen sich aus organisatorischen Gründen nicht umsetzen, andere scheiden aus finanziellen Gründen aus. Am Ende ist wichtig, dass eine gute Balance zwischen spannenden Programmen, neuen Ideen und Perspektiven sowie der leidenschaftlichen Pflege der Tradition entsteht. Dann können alle Beteiligten glücklich sein – und das sind wir im konkreten Fall ganz besonders!
Mit einigen der bedeutendsten Künstler:innen der Welt pflegt der Musikverein seit jeher eine besondere Beziehung. Wie schlägt sich das im aktuellen Programm nieder?
Der Dialog mit den Künstlerinnen und Künstlern ist für die Programmplanung ganz wesentlich. Als Gesellschaft der Musikfreunde schätzen wir uns glücklich, auch in der Saison 2024/25 nahezu alle führenden Dirigent:innen, Solist:innen sowie die Top-Orchester der Welt bei uns begrüßen zu können. Mit Stars wie Christian Thielemann oder Rudolf Buchbinder dürfen wir seit Jahrzehnten im regen Austausch sein. Mit beiden konnten mein Team und ich für die nun vorliegende Saison wunderbare Programme entwickeln. Rudolf Buchbinder wird sich gemeinsam mit großartigen Musikerinnen und Musikern ganz auf Schubert konzentrieren. Die Fortsetzung des Zyklus mit Christian Thielemann, der zu unseren zentralen Dirigenten zählt, verspricht ebenfalls musikalische Sternstunden. Und selbstverständlich pflegen wir enge Beziehungen mit der jüngeren Generation: In der Saison 2024/25 freuen wir uns, Klaus Mäkelä, Mirga Gražinytė-Tyla, Janine Jansen und Víkingur Ólafsson als „Künstler:innen im Fokus“ bei uns zu begrüßen.
Das Musikverein Festival wird diesmal den Titel „Claras Blumenalbum“ tragen. Auch da geht‘s um Beziehungen, ziemlich komplizierte sogar …
Ja, das stimmt, und diese Beziehungen finden sich in einem ganz außergewöhnlichen Objekt aus unserer Musiksammlung wieder. Unsere Musiksammlung ist die bedeutendste private Musiksammlung der Welt, mit ca. drei Millionen Objekten: neben Noten, Büchern, historischen Instrumenten und Handschriften von Komponisten umfasst sie auch persönliche Erinnerungsstücke von bedeutenden Persönlichkeiten der Musikgeschichte. Unser Musikverein Festival ist immer von einem Objekt aus der Sammlung inspiriert – wir wollen damit unser aktuelles Programm in Beziehung zur Geschichte der Gesellschaft der Musikfreunde stellen. Diesmal holen wir ein Objekt von Clara Schumann vor den Vorhang, nämlich ein Blumenalbum, also ein Album, in dem sie Blumen gepresst und getrocknet hat, um dies Johannes Brahms zu schenken als Zeichen ihrer Freundschaft und Zuneigung. Ein sehr privates, ein sehr berührendes Objekt, das uns zu einem Festival angeregt hat rund um die Themen Beziehung, Freundschaft, Verbindungen und Kommunikation.
Clara Schumann ist ein typisches Beispiel von einer hochtalentierten Frau, der in ihrer Zeit nicht die gebührende Anerkennung zuteilwurde. Im Musikverein hätte sie es heute weitaus leichter …
Ja, ganz bestimmt, wir haben beispielsweise nahezu alle wichtigen Dirigentinnen unserer Zeit am Pult zu Gast. Als „Komponistin im Fokus“ freuen wir uns diesmal auf die Italienerin Clara Iannotta, und wir koproduzieren eine Plattform der Wiener Festwochen mit Komponistinnen aus aller Welt. Sehr weiblich ist auch unser Programm in den Kinderkonzerten und in den Neuen Sälen. So nehmen wir beispielsweise den Weltfrauentag zum Anlass, um die Kinderbuchautorin Mira Lobe sowie Literatur- und Friedensnobelpreisträgerinnen zum Angelpunkt spannender Programme zu machen.
Apropos Nobelpreis. Auch einem Mann, dem Physiknobelpreisträger Anton Zeilinger, sind Musikverein Perspektiven gewidmet. Sie haben ihn oft getroffen, Sie haben das mit ihm persönlich kuratiert. Wie ist das, wenn ein Musikmanager einen Physiker von Weltrang trifft und über Musik spricht?
Dann kommt der Musikmanager mit großem Respekt und einem gerüttelt Maß an Nervosität in das Büro des Nobelpreisträgers und traut sich das nur, weil über Musik gesprochen wird und nicht über Physik. Die Musikverein Perspektiven haben ja als Idee, große Persönlichkeiten unserer Zeit nicht über ihre eigentliche Tätigkeit, sondern aus der Perspektive ihrer Musikleidenschaft kennenzulernen. Anton Zeilinger ist ein großer Musikfreund. Er besucht immer wieder unsere Konzerte. Als ich ihn gefragt habe, ob er Interesse hätte, sich auf so ein Format einzulassen, hat er mit großer Freude dazu Ja gesagt. Er hat dann in Gesprächen mit uns sehr besondere, sehr persönliche Konzertprogramme entwickelt. Prof. Zeilinger wird bei diesen Konzerten selbst anwesend sein, mit Künstler:innen über Musik sprechen und so über Musik und seine musikalische Leidenschaft Auskunft geben.
Neben den schon genannten Beziehungen gibt es auch jene zwischen Interpret:innen und Komponisten:innen …
In unserem Programm ist es wichtig, dass wir neben den Schwerpunkten, die aus der gemeinsamen Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern entstehen, eben auch Schwerpunkte zu einzelnen musikgeschichtlichen Epochen oder Komponisten im Programm haben, um sozusagen das große musikalische Erbe zu pflegen. Prokofjew, Schönberg, Johann Strauß (Sohn) und Pierre Boulez stehen in dieser Saison in diesem Bereich im Mittelpunkt. Pierre Boulez hat in diesem Haus sehr oft dirigiert, ist Ehrenmitglied unserer Gesellschaft. Anlässlich seines 100. Geburtstags erinnern wir mit einem Abend an ihn. Für Johann Strauß (Sohn) wiederum war der Musikverein einer der wichtigsten Orte seines Schaffens in Wien. Er war auf vielfältige Weise mit unserer Gesellschaft eng verbunden. Arnold Schönberg hat im Musikverein nicht nur das legendäre Skandalkonzert dirigiert. Auch viele seiner Werke wurden bei uns uraufgeführt, unter anderem die „Gurre-Lieder“. Mit diesem kolossalen Werk begehen wir auf den Tag genau Schönbergs 150. Geburtstag im Musikverein. Es spielen die Nachfolger des Uraufführungsorchesters von 1913, die Wiener Symphoniker, am Pult steht Petr Popelka, der bei uns sein erstes Konzert als neuer Chefdirigent des Orchesters bestreitet. Und dann ist da noch Prokofjew, der Igor Levit sehr ans Herz gewachsen ist. Aus dieser Interpreten-Komponisten-Beziehung hat sich ein weiterer, für uns zentraler Schwerpunkt ergeben. Es gibt also viel zu entdecken!
Auch die Beziehungspflege mit dem Publikum spielt im Musikverein schon seit vielen Jahrzehnten eine große Rolle. Die Stadtgesellschaft ist aber in jüngster Zeit diverser geworden. Was bedeutet das für die Programmierung und welche neuen Publikumsbeziehungen wollen Sie gerne aufbauen?
Der größte Teil unseres Programms richtet sich an Menschen, die Musik als dauernde Bereicherung ihres Lebens spüren und deswegen dem Musikverein eng verbunden sind. Das sind in erster Linie unsere Mitglieder und Abonnentinnen und Abonnenten, unser Stammpublikum, aber natürlich auch Besucherinnen und Besucher aus der ganzen Welt, die ein Konzert im Goldenen Saal erleben möchten. Daher stehen auch in den allermeisten Konzerten unseres Hauses die großen Meisterwerke der Musikgeschichte im Mittelpunkt – interpretiert von den führenden Klassik-Künstlern der Welt. Uns ist aber ganz wichtig, dass wir in Zeiten gesellschaftlicher Veränderungen den Gedanken der kulturellen Teilhabe ganz hochhalten. Wir richten uns deshalb entschieden auch an die vielen Menschen, die den Weg zu uns noch nicht finden – aus welchen Gründen auch immer. Wir bieten zum Beispiel für alle Altersstufen von Babys bis hin zu jungen Erwachsenen präzise inhaltlich gestaltete Programme an, einen Großteil davon öffnen wir darüber hinaus für Kindergärten und Schulen – für Kinder, die über ihre Familien nicht erreicht werden können. Ganz neu ist unsere Kooperation mit CAPE 10, einer fantastischen Initiative, die sich für armutsbetroffene Familien einsetzt. Ihr „Haus der guten Hoffnung“ im 10. Bezirk ist ein modernes Sozial- und Gesundheitszentrum, das insbesondere Frauen, Kinder und Jugendliche unterstützt und einen niederschwelligen Zugang zu Kunst und Kultur ermöglicht. Der Musikverein und CAPE 10 schließen mit dem Projekt „The Power of Music“ unter der Schirmherrschaft von Elīna Garanča ab der Saison 2024/25 eine mehrjährige Partnerschaft.
Wir setzten darüber hinaus seit mehreren Saisonen einen vielbeachteten Akzent im Kulturleben, indem wir eigens entwickelte Konzerte für Menschen mit Demenz und ihre Begleitpersonen anbieten. Unsere Programme in den Neuen Sälen bieten auch in der neuen Spielzeit vielseitige Besetzungen, Stimmen und Thematiken, die das Konzertgeschehen bereichern und diversifizieren. Die Diversität und Vielfalt im Programm zeigen, dass wir uns mit Leidenschaft und Freude an beide wenden: Stammbesucher und Menschen, die noch nicht bei uns waren.
Sie haben die Programme der Saison 2024/25 vor allem aus künstlerischer Sicht beschrieben. Nun hat ja aber jede künstlerische Entscheidung zugleich auch eine wirtschaftliche Dimension. Wie kommt das alles gut zusammen, die Kunst und das Geld?
Dazu muss man als Erstes sagen, dass wir sehr dankbar dafür sind, dass die Besucher- und Abonnementzahlen nach der Pandemie wieder gestiegen sind. Unsere Konzerte sind wieder hervorragend besucht! Unsere Kaufmännische Direktorin, Mag. Renate Futterknecht, hat ein Budget gestaltet, mit dem die Projekte der Saison 2024/25 realisiert werden können – und das mit nur moderat erhöhten Ticketpreisen. Und natürlich beobachtet sie aus ihrer kaufmännischen Perspektive heraus mit ihrem Team laufend die finanzielle Situation des Musikvereins. Durch die sorgsame Finanzplanung wird sichergestellt, dass die wirtschaftliche Stabilität des Musikvereins auch für die Zukunft gesichert ist – und dass wir auch in Zukunft wunderbare Saisonen planen können. Die Beiträge unserer Mitglieder und Förderer, der Subventionsgeber und unserer Sponsoren sind wesentliche Säulen dieser Finanzierung – und für diese sind wir sehr dankbar.
Das Gespräch führte Markus Siber.