Michael Haneke hat in Interviews über sich oft gesagt, er sei ein Ohrenmensch. Zugespitzt formulierte er, er könne Schauspieler besser sehen, wenn er die Augen zumache und Ihnen zuhöre – ihren Stimmen, dem, was sie sagen, und wie sie es sagen. Michael Haneke ist fasziniert von Stimmen. Seine musikalische Leidenschaft gilt historischen Stimmen und Sängerinnen und Sängern aus der Geschichte der klassischen Musik. Im zweiten Abend der Perspektiven plaudert Michael Haneke mit Otto Brusatti über seine Faszination für Gesangsstimmen aus der Geschichte und über seine Passion für historische Aufnahmen. Im Gespräch erklingen Aufnahmen von Sängerinnen und Sängern wie Heinrich Schlusnus, Julius Patzak, Hugues Cuénod, Lotte Lehmann und Lauritz Melchior. Und, als Gegenpol aus unserer Zeit: von Josef Bierbichler, der als Schauspieler mit Haneke in mehreren Filmen zusammengearbeitet hat und Liedern mit seiner sehr eigenen, berührenden, anderen Gesangsstimme Ausdruck verleiht.
Der Inhalt von „Das weiße Band“ ist viel diskutiert worden – manche sehen darin einen Film über den Protestantismus in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, andere einen Film über das Entstehen von Faschismus. Haneke selbst hat in Interviews oft zum Ausdruck gebracht, dass er diese verengten Sichtweisen nicht teilt. Er versteht „Das weiße Band“ eher als eine filmische Beschreibung einer Situation, in der Unterdrückung von Menschen der Nährboden sein kann für Radikalisierung überhaupt, für Ideologisierungen sozusagen jedweder Art – und für das große Leid, in das Menschen in solchen Situationen stürzen bzw. gestürzt werden können. Der dritte Abend der Musikverein Perspektiven reflektiert diese Themen des Films in einem anschließenden Konzert. Es erklingen Werke von Komponisten, die ähnliche Fragen stellen, wie sie in „Das weiße Band“ gestellt werden: Mahler, Mendelssohn, Schönberg und Bach. Eine musikalische Reflexion auf das Gesehene. Ein Konzert als fragender, nach-hörender Rückblick auf den Film. Zwischen dem Film im Filmmuseum und dem Konzert im Musikverein bleibt Zeit, ein paar Schritte zu gehen, von einem Ort zum anderen, und Luft zu atmen. Das letzte Werk des Abends ist zudem ein Nachklang zum ersten Abend der Musikverein Perspektiven: Bachs Kantate „Ich habe genug“ verwendet Haneke in „Der siebente Kontinent“.