Fokus Riccardo Muti: Sternstunden

Man möchte dabei gewesen sein, 1973, beim Ball der Wiener Philharmoniker. Die Eröffnung dirigierte ein noch nicht ganz 32-jähriger Italiener, von dem man schon Wunderdinge vernommen hatte: Riccardo Muti. Der Musikverein sollte zu einer Heimat für ihn werden, einem Zentrum seiner Weltkarriere. 50 Jahre nach seinem Debüt widmet die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ihrem Ehrenmitglied einen Saisonschwerpunkt: Riccardo Muti im Fokus.

© Todd Rosenberg

In Zahlen ist nicht zu ermessen, wie stark Riccardo Muti seit nunmehr fünf Jahrzehnten das Konzertleben im Musikverein prägt. Aber sie sagen trotzdem einiges aus: Nicht weniger als 195 Konzerte sind es, bei denen Muti am Pult des Großen Musikvereinssaals stand – mit den Fokus-Konzerten der Saison 2023/24 wird er die magische Zahl von 200 überschreiten. Ein zweitägiges Gastspiel mit dem Chicago Symphony Orchestra steht am Beginn der Reihe, und natürlich darf man’s symbolisch deuten, wenn gleich beim ersten Programm „Aus Italien“ auf dem Programm steht, die „Symphonische Fantasie“ von Richard Strauss. Schon in jungen Jahren, erzählt Muti, dirigierte er das Werk in seiner Heimatstadt Neapel. Beim dritten Satz, „Am Strande von Sorrent“, kam Murren im Orchester auf. Wo bitte, fragten die kundigen Italiener, gäbe es einen Strand in Sorrent? Nun denn: Die Topographie der Kunst ist eine andere. Ihr zufolge grenzt auch Wien direkt an Italien. Kein Musiker repräsentiert dieses Naheverhältnis heute so innig, keiner lebt es so intensiv wie Riccardo Muti.

Dass im letzten Konzert seiner Fokus-Reihe Schuberts Ouvertüre „im italienischen Stile“, D 591, auf dem Programm steht, ist dafür ein schönes Zeichen. Und dann natürlich Mozart, der in seiner musikalischen Sprache so viel Italienisches hat! Muss man in Wien noch erläutern, mit welcher Hingabe sich Muti immer wieder dem OEuvre Mozarts widmet? Je älter er werde, umso herausfordernder werde der Umgang mit einem solchen Genie. „Es ist, wie wenn Sie einen Berg hinaufsteigen“, sagt Riccardo Muti. „Je höher Sie kommen, desto weiter öffnet sich der Horizont.“ Das Orchestra Giovanile Luigi Cherubini wird Mutis Partner bei Schubert und Mozart sein, das fantastische italienische Jugendorchester, das Riccardo Muti vor zwanzig Jahren gegründet hat. Seine Erfahrung zu teilen, sein Wissen weiterzugeben ist eine Mission, die Riccardo Muti mit Leidenschaft und großer Ausstrahlung verfolgt.

Überhaupt spiegeln diese fünf Konzerte viel vom eminenten künstlerischen Spektrum des Maestro, und das auch mit vielleicht überraschenden Aspekten. Am Pult des Chicago Symphony Orchestra präsentiert Muti nicht nur Klassiker orchestraler Brillanz wie Strawinskys „Feuervogel“-Suite und Prokofjews „Fünfte“, sondern auch ein neues Werk von Philip Glass und – erstmals im Musikverein – die Symphonie Nr. 3 der höchst bemerkenswerten Florence Price. 1940 uraufgeführt, war dieses Werk die erste Symphonie einer afroamerikanischen Frau, die von einem größeren Orchester in den USA gespielt wurde. Mit Muti am Pult ist nun zu erleben, welch starke, unverwechselbare Stimme dadurch in die Musikwelt kam.

© Todd Rosenberg

Wenn Riccardo Muti im Fokus steht, dann gehört jenem Orchester ein Sonderplatz, das Muti selbst als das „Orchester meines Lebens“ bezeichnet: den Wiener Philharmonikern. 1971 war es Herbert von Karajan, der die Liaison gestiftet hat – eine Liebesgeschichte bis heute. Bekenntnisse der Zugewandtheit werden da auch immer wieder durch Konzertereignisse mit historischer Tragweite formuliert, so wie jetzt, wenn Riccardo Muti im Musikverein die Jubiläumsaufführung von Beethovens „Neunter“ dirigiert, genau 200 Jahre nach ihrer Uraufführung. „Ich bin tief berührt und geehrt, dass die Wiener Philharmoniker und der Musikverein mich dazu eingeladen haben“, sagt Muti. Die „Neunte“: ein Gipfelwerk, vor dem Riccardo Muti lange Jahre staunend stand, bevor er den Mut fasste, es zu dirigieren. Allein der Beginn, sagt er, sei „einer der magischsten und am wenigsten planbaren Momente der Musik“. In seine Partitur hat er auf die erste Seite ein Dichterwort geschrieben. Übersetzt heißt es: „Stille. Nacht. Die Leere lauscht auf Gott, und ein Stern spricht zum anderen.“ Es ist diese magische Leere, die den Raum öffnet fürs Universum. Im Musikverein darf man sich, auch in diesem Sinn, auf Sternstunden freuen. 

Ein Text von Joachim Reiber.

Musikverein Wien, Innenaufnahme, Grosser Saal, Goldener Saal, Architektur, Orgel, Sitzreihen, Bestuhlung, Deckengemälde

© Dieter Nagl

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© Simon Fowler | Warner Classics

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Musikverein Wien, Innenaufnahme, Grosser Saal, Goldener Saal, Architektur, Orgel, Sitzreihen, Bestuhlung, Deckengemälde

© Mathias Bothor

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Musikverein Wien, roter Teppich, Stiegenaufgang zum Grossen Saal und Brahmssaal

© Marco Borggreve

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