Vielfalt in allen Bereichen

Die „Emporbringung der Musik in allen ihren Zweigen“ ist seit mehr als zwei Jahrhunderten das Hauptziel der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. „Alle Zweige“ heißt für den Musikverein auch, offen zu sein für all das, was in Wiens Stadtgesellschaft neu gewachsen ist und nach musikalischem Ausdruck verlangt. Im Programm des Musikvereins spiegelt sich dieses Bestreben vielfach wider. Offene Türen – für möglichst alle.

© Julia Wesely

© Igor Ripak

Die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegeln – das möchte man im Programm des Musikvereins in zahlreichen Facetten. Gerade weil viele Menschen mit dem Haus vorrangig klassische Konzerte verbinden, will man dem Konzerte zur Seite stellen, die die Heterogenität der Bevölkerung reflektieren und sich einladend gegenüber verschiedensten Publikumsschichten zeigen. 

Weiten Kulturkreisen hat der Musikverein sich beispielsweise zuletzt mit dem Projekt „Wiener Stimmen“ geöffnet, das von der Brunnenpassage Wien kuratiert und gemeinsam mit dem Musikverein realisiert wurde. Dabei traten im Juni 2022 sechs Wiener Sängerinnen aus unterschiedlichen musikalischen und biographischen Kontexten mit dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich unter Wayne Marshall im Goldenen Saal auf. Dieses Konzert war keinesfalls ein einmaliges Leuchtturmprojekt, sondern wurde in der Saison 2022/23 in einem Zyklus mit weiteren Auftritten aller beteiligten Sängerinnen fortgesetzt. In der Saison 2023/24 folgt nun wieder ein großes Konzert. Auch in dieser Neuauflage der „Wiener Stimmen“ spiegelt sich wieder die erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Brunnenpassage als Kooperationspartnerin des Musikvereins, und wieder werden Musiker*innen mit den unterschiedlichsten Wurzeln ihrer Musik durch das Zusammenwirken mit dem Tonkünstler-Orchester neues Klangvolumen verleihen. 

Den Kontakt mit verschiedenen Kulturräumen ermöglichen auch stets die Wort-Musik-Programme in den Vier Neuen Sälen. In der kommenden Saison sind es Werke von Autor*innen aus unterschiedlichen Ländern, die von prominenten Schauspieler*innen gelesen werden. Das Zusammenspiel von Wort und Musik wird so besonders vielfältig ausfallen. „Domänen“ gibt es nicht und soll es nicht geben in einer Institution, die sich so der Offenheit verschrieben hat wie der Musikverein in Wien. Und so ist auch das Dirigentenpult hier längst keine „Männerdomäne“ mehr. Nach den Musikvereins-Porträts, die in den vergangenen beiden Saisonen den Dirigentinnen Mirga Gražinytė-Tyla, Joana Mallwitz und Elim Chan gewidmet waren, ist in dieser Saison die international vielgefragte Karina Canellakis eine der „Künstler*innen im Fokus“. Als „Komponistin im Fokus“ setzt die in Berlin lebende britische Komponistin Rebecca Saunders weitere starke Akzente in der Musikvereinssaison 2023/24. Ihre Musik erklingt in vielen Programmkonstellationen – so auch im Zyklus „Young Musicians“. In einem speziellen, Musikerinnen gewidmeten Programm bringen Marilies Guschlbauer am Cello und Julia Rinderle am Klavier unter dem Titel „Les grandes Dames – Komponistinnen damals und heute“ Werke von Clara Schumann bis Rebecca Saunders zu Gehör. In der Reihe „Musikverein Perspektiven“, die in der Saison 2023/24 mit dem prominenten Schweizer Architekten Peter Zumthor entwickelt wird, stehen Uraufführungen verschiedener Komponistinnen auf dem Programm – der Musikverein fungiert hier als Co-Auftraggeber in Kooperation mit Wien Modern. 

© Dieter Nagl

Generell ist besonders den Neuen Sälen des Musikvereins die musikalische Vielfalt geradezu eingeschrieben. Wie man russische Musiktradition näher an die heimische heranbringt, zeigen Stars der Wiener russischen Musikszene beim Gentlemen Music Club. Und einmal mehr wird das virtuose Janoska-Ensemble das Verständnis von klassischer Musik lustvoll hinterfragen, wenn es in seinem Programm Klassik, Jazz, Pop und andere Stilelemente fusioniert und – was ja bei klassischen Konzerten selten ist – Improvisationen zelebriert. 

Vielfalt spielt auch im Programm für das junge Publikum eine immens wichtige Rolle. So gibt es im Rahmen von „Allegretto“ eine große Musiktheater-Uraufführung unter dem Titel „Wohin?“. Die Auftragsproduktion erzählt von drei Sängerinnen mit unterschiedlichsten Wurzeln, die komponieren, singen, Instrumente spielen und als Singer- Songwriterinnen dazu einladen, in verschiedene Kulturen einzutauchen. Im Rahmen von „Capriccio“ hinterfragt Poetry-Slam-Meisterin Yasmin Hafedh alias Yasmo die Faszination von Heldinnen und Helden des Gestern und Heute. „Agathes Wunderkoffer“ lädt die kleinen Zuhörer und Zuhörerinnen im Rahmen des Jubiläums von Beethovens Neunter ein, sich auch dem Leiden des Komponisten zuzuwenden und sich mit dem Thema Taubheit auseinanderzusetzen. 

Mit sechs Konzerten wird der Zyklus „Souvenir“ fortgesetzt: ein auch international vielbeachtetes Projekt, das der Musikverein 2022/23 speziell für Menschen mit Demenz entwickelt hat. Der Musikverein öffnet sich hier für Menschen mit besonderen Bedürfnissen, die Musik hier als Brücke zu Emotionen und Erinnerungen erleben. 

Den Blick zu weiten, Vielfalt in allen Bereichen sichtbar zu machen und so noch relevanter für Menschen in der eigenen Stadt zu werden ist somit ein Anspruch, dem sich der Musikverein in zahlreichen Konzerten stellt. 

Ein Text von Theresa Steininger.

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