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Musikfreunde

Das Online Magazin

Mai 2, 2023

Zwei auf neuem Weg

Beethoven und Lang Lang

Auf „neuem Weg“ sah sich Ludwig van Beethoven zu jener Zeit, als er sein Drittes Klavierkonzert schrieb. Auf neuem Weg geht nun auch der Pianist Lang Lang. Nach einer bewusst gewählten Zäsur seiner phänomenalen Karriere sucht er jetzt erneut die Auseinandersetzung mit Beethoven. Am 4. Juni spielt er Beethovens Drittes Klavierkonzert im Musikverein.

Natürlich sind Beethovens Klavierkonzerte Lang Langs Repertoire immer gewesen, raketenhaft speziell das Fünfte. Dieser Lang Lang aber, der uns jetzt begegnen wird, zeigt Spuren eines neuen Weges mit sich selbst.

Auf „neuem Weg“ sah sich Ludwig van Beethoven zu jener Zeit, als er sein Drittes Klavierkonzert schrieb. Auf neuem Weg geht nun auch der Pianist Lang Lang. Nach einer bewusst gewählten Zäsur seiner phänomenalen Karriere sucht er jetzt erneut die Auseinandersetzung mit Beethoven. Am 4. Juni spielt er Beethovens Drittes Klavierkonzert im Musikverein.

Leute, die verschwinden wollen in dem, was sie tun – auch unter den Pianisten gab es solche, die wir verehren: der jüngst dahingegangene Radu Lupu etwa, hinter ihm eine ganze Reihe Legenden, Clara Haskil zuerst, die kaum sich aufs Podium wagte, am liebsten ins Klavier gekrochen wäre. Aber: Diese Legenden sind uns dauerhaft im Ohr. Trotz oder gerade wegen des Publikums sind sie von höchster Inspiration in dieser für sie horriblen Gefahr der totalen Präsenz.

Ein Phänomen, das nachdenklich macht, wenn man das zum Wundermann gewordene chinesische Wunderkind Lang Lang erlebt hat mit mehr oder minder artistischem Paraderepertoire, das sein populäres „Image“ speiste durch Jahrzehnte: Jetzt aber sollen wir den gereiften Meisterpianisten erleben vor der enormen mentalen Herausforderung des Klavierspiels: vor Beethoven … nein, nicht mit allen zweiunddreißig Klaviersonaten, sondern als Solist im Dritten Klavierkonzert. Übrigens hatte Lang Lang vor mehr als einem Jahrzehnt bei seinem sensationellen Wien-Recital im Goldenen Saal längst mit Beethoven-Sonaten brilliert und seine Kunst der Präsentation an der „Appassionata“ demonstriert, was als Dokument, luxuriös aufgemacht, in Bild und Ton um die Welt geschickt wurde.

Ein Blick auf Lang Langs Biographie ist auch ein Blick auf die globale und medial regierte Hype-Welt, in die das chinesische Wunderkind bei geradezu kreatürlich intensivem Training wie auf eine Wolke gesetzt wurde. Da ist plötzlich, gottgegeben, eine Fülle ohnegleichen an musikalischer Möglichkeit, im Falle Lang Lang ein vor allem totaler Instinkt. Es wird ja immer wieder stolz berichtet, und er selbst ist die perfekte Quelle, wenn er seine Geschichte von „Tom und Jerry“ als Auslöser seiner Ergebung in das Klavier und die Musik aus frühesten Tagen zum Besten gibt: Dort nämlich ist der Cartoon-Film musikalisch unterlegt mit Liszts Zweiter Ungarischer Rhapsodie, eine Art Urmotivator der Faszination des Kindes Lang Lang.

Wichtig für uns ist heute, um das Klavierwunder richtig zu übersetzen, dass Lang Langs Bewusstsein nicht zuletzt aus dem Medialen herkommt und sich so auch medial flexibel in allen Genres einfinden kann. Seine Mission heutzutage ist nicht zuletzt, Jugend heranzuholen, weil er ihnen EINE Musik bietet, die keine Klassik und U-Musik als Gegensätze kennt, sondern verschiedene Lebensgefühle in Musik. So werden Grenzen abgebaut, das Pop-Idol kann auch ein Idol sein, wenn es Klassik transportiert und damit neue Chancen gewinnt, dort, wo Beethoven durch das pauschale Präjudiz „klassisch“ nie zum Zuge gekommen wäre.

Hinzu kommt, dass Lang Lang geradezu als Entertainer alles mit einem ganz persönlichen Humor zu verbreiten und so speziell zu personalisieren weiß. Die Musik – nicht zuletzt durch Lang Langs aberwitzige virtuose Artistik – wird zur Lust am Entertainment und bleibt damit breitgefächert im Leben. Beispiel: „Für Elise“, woran Lang Lang munter für alle Verständnis-Levels das Phänomen Beethoven in Wort und Ton erklärt. Denn er kann Musik, die, wie er selbst sagt, seine Sprache sei, Idiom für Idiom vermitteln durch Darstellung. Sie durchfährt die Musik und sucht das Darstellbare, zeigt es, übersetzt es, präsentiert es durch das eigene Gefühl, das übertragen werden soll auf den Rezipienten, dessen Resonanz gesucht wird. Und Lang Lang erhält umfassend Antworten in Form von enormem Zuspruch. Das macht ihn zum Star und zum Medium an sich. Aber nicht mehr nur.

Denn: ganz anders jetzt. Lang Lang kommt als Solist in einem Symphoniekonzert des Mahler Chamber Orchestra auf Welttournee unter der Leitung von Andris Nelsons mit Beethovens Klavierkonzert in c-Moll, dem Dritten. Natürlich sind Beethovens Klavierkonzerte Lang Langs Repertoire immer gewesen, raketenhaft speziell das Fünfte. Dieser Lang Lang aber, der uns jetzt begegnen wird, zeigt Spuren eines neuen Weges mit sich selbst, spielt sich irgendwie aus der eigenen Biographie heraus, und dazu braucht er gleichsam einen, der sich des Wunders Lang Lang bemächtigt und ihm die Chance bietet, in seiner Musik nicht nur das Darstellen, sondern auch das Verschwinden des Vermittlers im Werk gleichsam absolut-musikalisch zu vollziehen. Mit einem Wort: Beethoven.

Der nun 40-jährige, in Amerika lebende Chinese Lang Lang, unterdessen mit deutsch-koreanischer Frau und Kind, setzte unlängst eine Zäsur, machte Pause von mehr als einem Jahr für den Anschnitt eines neuen Jahresringes zur Konzentration des Instinkts auf das Mentale der Musik. Seine Kehre leitet er ein durch konsequente Versenkung in Bachs „Goldberg-Variationen“ und nicht etwa die „Kunst der Fuge“ ­– zweifellos ein geschicktes „Purgatorium“ für Lang Lang, gerade weil hier nicht mit Bierernst eine andere Welt erfahren wird, sondern auch der humorgeladene Doppelsinn dieses Werkes eine hermeneutische Chance für die Persönlichkeit Lang Langs bedeutet. Und so stellt sich etwa in den Bach’schen Variationen immer mehr Ablösung vom Ich des Interpreten ein: plötzlich ist ein Ornament nur noch, was es ist. Das Wie des Spiels erlöscht in der musikalischen Figur, und nur dieselbe bleibt in ihrem Kontext.

Und nun Beethoven, der als Material für diesen Objektivationsprozess noch weit radikaler ist – dieser Beethoven, durch den Lang Lang sich vielfältig durchgespielt hat von frühauf und mit dem er nun versuchen wird, sich aus seinem Image des Artisten-Wunders auszulösen. Dieser Weg ist schwer. Jede Phrase, Figuration, Geste scheint schon aus der Vergangenheit von ihm selbst gewissermaßen „besetzt“ und mit dem Wunder Lang Lang verhaftet. Im Verlöschen der Darstellung kommt eine neue Dimension auf, denn plötzlich arbeitet das Werk an der Person des Interpreten. Und am Hörer! Denn wir sind nicht nur Empfänger des Beethoven’schen Opus, sondern auch Teilnehmer am Prozess in einem Pianisten, der sich im Werk neu erfindet. Und dafür bietet eben dieses c-Moll-Opus eine grandiose Chance: weil es selbst Beethovens eigenen Prozess in etwa ähnlichem Alter musikalisch vollzieht – seinen, wie er ausdrücklich selber sagt, „neuen Weg“.

Das c-Moll-Konzert gehört neben der Zweiten Symphonie, mit der gemeinsam es am 5. April 1803 im Theater an der Wien uraufgeführt wurde, zu den Schlüsselstücken des „neuen Weges“ bei Beethoven seit etwa 1801, obwohl das Werk frühere Wurzeln hat, jedoch einen Impetus in sich trägt, den Beethoven zunächst gesellschaftlich zurückzuhalten hatte. Jetzt nimmt es die Mittelstellung ein unter seinen berühmten fünf Klavierkonzerten. Sind das Zweite und Erste Musik, die wenigstens ironisch noch zu unterhalten bereit ist, zieht das c-Moll-Stück den Schlussstrich dahingehend: Es wahrt zwar die Form des Solokonzertes eisern und bietet recht aufmüpfige, aber bestürzend einfache Thematik. Das ist die Hülle. Den Solopart aber, mit dem das Subjekt erst nach einer langen symphonischen Einleitung sprechen darf, durchwirkt Beethoven mit geradezu unwägbarer, kaum mehr erwartbarer Gestik und setzt auf Dialog mit der Konvention. Völlig entrückt nach der c-Moll-Gewalt dann ein zweiter Satz im entlegenen E-Dur, der mit kühnsten Arabesken nur die kantable Orchesterlinie umspielt, besser: kommentiert. Das Finalrondo will sodann mokanten Humor zelebrieren, hier wird gesprochen, ja ums Wort gekämpft, und zwar lachend. Da Beethoven – so er selber – jedoch „immer das Ganze vor Augen“ hat, sind das denn doch „sehr ernste Scherze“ – um hier Goethe auch noch zu bemühen. Sollte das nicht die ideale Basis sein für den gewandelten Lang Lang?

Beethoven, der bei der Uraufführung am 5. April 1803 im Theater an der Wien sein eigener Solist war, ließ sich von seinem Freund Seyfried beim Konzert die Seiten wenden, und Seyfried berichtet von kaum lesbaren Aufzeichnungen auf Beethovens Pult, von nur gewissen wilden Zei­-chen, auf welche hin eruptiv Musik ausbrach – da war von
Seyfried kein Blatt mehr zu wenden … Aber Beethoven wendete das Blatt der Musikgeschichte, nein, der Geschichte überhaupt, weil er der Welt auf seinem „neuen Weg“ in Musik den Weg zeigte in eine bessere Zukunft: konkrete Utopie als dauernder Appell an uns zu handeln im Sinne des Besseren.

Und gerade hier liegt die große Chance des nun ebenso auf dem neuen Weg befindlichen Pianisten Lang Lang: nicht mehr die Musik für sich zu ergreifen, sondern sich vom Subjekt Beethoven ergreifen zu lassen, um die eigene Verwandlung zu realisieren und im Werk zu verschwinden. Damit wird nichts mehr vom Daseienden präsentiert, sondern ein Künftiges ermöglicht: Auch hier könnte das Werk wie bei Beethovens Uraufführung erst entstehen im Prozess, an dem Schöpfer, Interpret und Hörer aktual beteiligt sind. Einen solchen kann man sich vom Lang Lang von heute erhoffen. Und sollte vielleicht einmal sagen können, man sei dabeigewesen!

Georg-Albrecht Eckle

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