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Mai 2, 2023

Zart und hart

Vilde Frang

Vilde Frang ist beides: zart und hart. Was die perfekte Voraussetzung war, um sich ganz nach oben zu spielen. Im Mai kehrt sie als Solistin in Strawinskys Violinkonzert mit den Wiener Symphonikern in den Großen Musikvereinssaal zurück.

„Musizieren ist lebenswichtig für mich.“

Vilde Frang

Ihre Eltern scheinen geahnt zu haben, wer da 1986 bei ihnen eingezogen war. Jedenfalls gaben sie ihrer Tochter den Namen Vilde. Dies ist eine verkürzte Form des norwegischen Vornamens Alvilde bzw. Alfhild, der sich wiederum aus den Teilen „alfr“ („Elfe“) und „hildr“ („Kampf“) zusammensetzt. Die kämpfende Elfe also. Vielleicht aber auch: die elfenhafte Kämpferin. Beides scheint möglich, und beides passt erstaunlich gut auf Vilde Frang. Eine eher mädchenhafte Ausstrahlung und einen sanften Blick hat die 36-Jährige, wenn sie da oben auf dem Podium steht – aber sie ist zugleich, wie sie selber sagt, mit einer „kämpferischen Persönlichkeit“ ausgestattet. Die unabdingbar ist. Denn natürlich fliegt einem, bei aller Hochbegabung, eine Weltkarriere nicht einfach so zu. Ein gewisses Maß an Härte und Durchsetzungskraft, trotz aller vermeintlichen Elfenhaftigkeit, muss schon vorhanden sein.

Im Alter von vier Jahren beginnt sie mit dem Geigenspiel, seitdem ist die Musik „immer da“, wie sie einst in einem Interview mit der deutschen „taz“ erzählte: „Wenn ich einige Tage keinen Kontakt zu meinem Instrument habe, fühle ich sofort, dass etwas nicht stimmt. Als ob man ein bisschen krank ist. Da bekommt man ja auch schlechte Laune. Musizieren ist lebenswichtig für mich. Eine innere Notwendigkeit.“ Den Entschluss, Berufsmusikerin zu werden, gab es nicht, erzählt sie. Jedenfalls nicht als bewusst getroffene Entscheidung. Es sei einfach immer klar gewesen.

Mit zehn gibt sie ihr Debüt beim Orchester des Norwegischen Rundfunks, mit zwölf bei den Osloer Philharmonikern, mit Mariss Jansons am Dirigentenpult. Gleichwohl: „Ich war alles, aber garantiert kein Wunderkind.“ Was sie damit meint: In den Schoß gefallen ist ihr die Könnerschaft nicht. Ein Wunderkind sei für sie jemand, der die großen Violinkonzerte schon früh perfekt habe spielen können. Yehudi Menuhin etwa. Oder Midori. Vilde Frang hingegen musste üben, üben, üben – und mochte es gar nicht. Ihre Eltern hätten sie immer antreiben müssen. Heute sei sie ihnen dankbar: „Sie ließen mich nicht zu leicht aufgeben, und das war gut für mich, denn sonst wäre ich zu faul gewesen. Ich wusste, dass ich geschoben werden musste.“

Elf Jahre ist sie alt, als sie Anne-Sophie Mutter zum ersten Mal begegnet und ihr Mentee wird. Mit fünfzehn bekommt Vilde Frang von ihr den Rat, die Schule zu beenden und zum Studium nach Deutschland zu gehen. Zusätzlich wird sie Stipendiatin der Anne-Sophie Mutter Stiftung, bleibt es sechs Jahre lang und lernt auch neben der musikalischen Interpretation viel von ihrem großen Vorbild: „Bisweilen bin ich mit ihr auf Tour gewesen, und dann hat sie mich in Museen geführt. Wie das Guggenheim in New York, wie die Neue Pinakothek in München. Sie wollte, dass ich meinen Horizont erweitere und die Musik auch in einem größeren Zusammenhang betrachte, in welcher Beziehung etwa Debussy und Fauré zu Claude Monet standen. Für mich war das damals wie eine große Vitaminspritze.“ Für den Musikerinnenalltag kann sie sich ebenfalls einiges abschauen, beispielsweise das kleine ABC eines jeden Weltklasse-Künstlers: Genauigkeit, Ernsthaftigkeit, Selbstvertrauen, Disziplin.

Die Sollbruchstelle, an der sich entscheidet, ob es nach dem Teenageralter für eine langfristige Karriere reichen wird, überwindet sie mühelos. Es sind die 2000er Jahre, sie studiert an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater bei Kolja Blacher und an der Kronberg Academy sowie an der Münchner Musikhochschule bei Ana Chumachenco. Außerdem arbeitet sie als Gewinnerin eines Stipendiums des Borletti-Buitoni Trust mit Mitsuko Uchida. Sie debütiert 2007 mit dem London Philharmonic Orchestra, unterschreibt 2008 ihren ersten Plattenvertrag bei einem der größten Labels, veröffentlicht 2009 ihr Debütalbum und bekommt 2010 den Preis als Classics-Nachwuchskünstlerin des Jahres. Sie legt sich ihr Fundament. Es ist das Jahrzehnt des Aufbaus.

Vielleicht ist es nun an der Zeit, jemanden über sie zu befragen, der sie seit diesen Zeiten kennt. Paavo Järvi bietet sich da an, heute Chefdirigent der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, des NHK Symphony Orchestra Tokio und des Tonhalle-Orchesters Zürich. „Ich habe ihre Entwicklung von einer geförderten Jungkünstlerin, einem äußerst talentierten Kind in eine reife, außergewöhnliche Künstlerin miterlebt“, sagt er. Und das sei sehr beglückend gewesen, fügt er hinzu, weil auch er wisse, dass sich so eine Reise nicht in jedem Fall so positiv entwickelt.

Was dann in den 2010er Jahren folgt, ist das Jahrzehnt der Konsolidierung. 2012 wird Vilde Frang mit dem Young Artists Award der Credit Suisse ausgezeichnet, was ihr Debüt mit den Wiener Philharmonikern unter Bernard Haitink beim Lucerne Festival zur Folge hat. Seither gastiert sie bei und mit den berühmtesten Orchestern der Welt. 2016 erfolgt ihr Debüt mit den Berliner Philharmonikern unter Sir Simon Rattle, und die Saison 2017/18 bringt sie – unter der Leitung von Iván Fischer – zurück zu den Berliner Philharmonikern, mit Konzerten in der Philharmonie und im Rahmen der Osterfestspiele Baden-Baden. Das Fazit dieser Jahre? „Vilde ist zu einer äußerst interessanten, einnehmenden und selbstbewussten Musikerin gereift“, sagt Paavo Järvi. Und das bedeutet: Sie hört auf sich selbst, und sie folgt ihrer Intuition – die sich inzwischen auf enorm viel Arbeit stützt und sich aus großem Wissen speist.

Im Laufe der Jahre hat Vilde Frang sehr verschiedene Instrumente gespielt: eine Bergonzi-Violine, für einige Zeit eine Stradivari, einmal hat sie auch eine Guadagnini versucht. Aber bis 2021 hatte es sie dann doch immer wieder zu einer Violine von Jean-Baptiste Vuillaume aus dem Jahr 1864 zurückgezogen, die ihr zunächst der Freundeskreis der Anne-Sophie Mutter Stiftung zur Verfügung gestellt und die sie dann nach einigen Jahren auch gekauft hatte. „Ein sehr lyrisches Instrument, und zugleich eines mit einer großen Persönlichkeit“, sagte sie damals. „Dieses Instrument kennt mich sehr gut – und ich wiederum kenne dieses Instrument sehr gut. Auch seine Grenzen. Und manchmal muss ich mit ihm auch kämpfen.“

Seit gut einem Jahr allerdings spielt sie die 1734 gebaute „Rode“ von Guarneri del Gesù – eine Geige mit illustrer Geschichte, die in der Vergangenheit im Besitz von Virtuosen wie Norbert Brainin vom Amadeus-Quartett und Chung Kyung-wha war. Vier Jahre hatte Frang nach einer sie perfekt ergänzenden Geige gesucht. Nun hat sie sie offensichtlich gefunden. Ein stolzes, ein erhabenes Ins­trument, aber eines mit einem außergewöhnlich kraftvollen Klang. Zart und hart. Und damit wie gemacht für Vilde, die elfenhafte Kämpferin.

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