Vom Werden eines Mythos: Wolfgang Amadeus Mozart

© Sammlungen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien
Der Concentus Musicus Wien und die English Baroque Soloists präsentieren sich im April jeweils mit reinen Mozart-Programmen. Thomas Leibnitz ist für die „Musikfreunde“ dem faszinierenden Prozess der „Geniewerdung“ Mozarts nach seinem Tod nachgegangen.

Von Thomas Leibnitz

04.04.2025

Als Constanze Mozart im Dezember 1791 vor den Trümmern ihrer bürgerlichen Existenz steht, da sie eben ihren Mann verloren hat, den Kapellmeister Wolfgang Amadé Mozart, hat sie wohl kaum die innere Sammlung, darüber nachzudenken, wer da von ihr gegangen ist. Gröbste Daseinssorgen sind zu bewältigen, zumal es nicht nur um sie allein geht, sondern auch um ihre kleinen Söhne Carl Thomas und Franz Xaver. Wer war er gewesen, ihr sehr unvermittelt, nach kurzer und heftiger Krankheit verstorbener Mann?

Ein guter, ein sehr guter Musiker war er gewesen, kein Zweifel. Einer, der ringsum Aufträge erhalten hat, etwa kürzlich erst den zur Komposition der Krönungsoper „La clemanza di Tito“ für den neuen Kaiser Leopold II. Freilich – die erste Wahl war Mozart nicht gewesen; man hatte zuerst bei Salieri angefragt, und erst als dieser wegen Arbeitsüberlastung abwinkte, kam die Reihe an Mozart. Und solche Mischungen von Anerkennung und Zurückstellung hatte es immer wieder gegeben. Wie war das etwa mit dem Musikverleger Franz Anton Hoffmeister und seiner Bestellung von drei Klavierquartetten bei Mozart? 1785 war das gewesen; Hoffmeister hatte mit dem ersten gelieferten Stück, dem Quartett in g-Moll, durchaus keine Freude: zu kompliziert, zu anspruchsvoll, es würde den Liebhabern zu schwer sein und sich nicht gut verkaufen. Also verzichtete der Verleger auf die weiteren Werke und überließ Mozart sogar den Vorschuss.
So ging es eben einem Musiker der Zeit, und Mozart akzeptierte das. Er hatte, wie Constanze mehrfach erfahren hatte, nicht die glücklichste Hand im Umgang mit Geld, und auch seine Neigung zu merkwürdigen, mitunter etwas ausfälligen Scherzen mag sie bewogen haben, ihn zeitweise als das „große Kind“ zu sehen, das er für seinen strengen Vater Leopold ohnehin immer geblieben war.

Als Constanze Mozart im Frühjahr 1842 auf ihren eigenen Tod zuging, war alles anders. Mozart – das war nun ein Fixstern am Komponistenhimmel, ein Genie jenseits aller Vergleichsmöglichkeiten, eine uneinholbare Größe. 1841 hatte, zu seinem fünfzigsten Todestag, die Vaterstadt Salzburg mit der Errichtung eines Denkmals begonnen, jenes Salzburg, das sich für Mozart im gehassten Erzbischof Hieronymus Colloredo verkörperte und das er 1781 im Zorn verlassen hatte. Aber von alledem war nun nicht mehr die Rede. Mozart steht auf dem hohen Denkmalssockel gleich einem antiken Helden, angetan mit einer Toga – einem Kleidungsstück, das er mit Sicherheit niemals getragen hat, das nun aber ein Faktum symbolisiert: Gleich den großen Gestalten der Antike ist Mozart nunmehr der Geschichte enthoben, er ist zum „Klassiker“ im emphatischen Sinne geworden.

Gleich den großen Gestalten der Antike ist Mozart nunmehr der Geschichte enthoben, er ist zum „Klassiker“ im emphatischen Sinne geworden.

Stefan Gottfried © Wolf-Dieter Grabner, Marc Minkowski © Benjamin Chelly / Echos

Diesen außergewöhnlichen, faszinierenden Prozess der „Geniewerdung“ Mozarts nach seinem Tod hat die „Witwe Mozart“ miterlebt, und sie mag dabei das Bild ihres verstorbenen Mannes ebenso geändert haben, wie es die musikalische Öffentlichkeit nunmehr tat. Mozarts „Genius“ ist es nun, der die Musikwelt mit Bewunderung erfüllt, in dessen Namen Biographien und Würdigungen erscheinen, der hinter der erstaunlichen Tatsache steht, dass nun auch eine Vielzahl von Werken Mozarts im Druck erscheint, denen die Mitwelt kaum Beachtung geschenkt hatte.

Wie konnte dieser „Genius“ den irdischen Menschen Mozart überleben, ja geradezu überflügeln? Denn dass dies möglich war, davon ist etwa Graf Ferdinand Waldstein überzeugt, als er bereits 1792 dem jungen Bonner Musiker Ludwig van Beethoven, kurz vor dessen Abreise nach Wien, ins Stammbuch schreibt: „Mozarts Genius trauert noch und beweint den Tod seines Zöglings … Durch ununterbrochenen Fleiß erhalten Sie: Mozarts Geist aus Haydns Händen.“ Ein oft zitierter Satz, neben dessen prophetischer Dimension auch die Befremdlichkeit der Wortwahl beachtet werden sollte: Denn gemäß Waldsteins Ansicht, mit der er nicht allein steht, ist Mozarts Genius nunmehr eine präsente geistige Wirklichkeit, die auch nach dem Tod des „Zöglings“, des Menschen Mozart, ihre Strahlkraft entfaltet. Und das mehr denn je; die Marke „Mozart“ erweist sich als höchst populär, und davon macht nicht zuletzt die „Witwe Mozart“ Gebrauch: Sie stellt der Musikwelt ihren jüngeren Sohn Franz Xaver nunmehr als „Wolfgang Amadeus fils“ vor, als wiedergeborenen Mozart, und für den bloß durchschnittlich begabten jungen Mann wird dies zur erheblichen Belastung.

Mozarts Strahlkraft bleibt ungebrochen, doch die Akzente wechseln. Neue Sterne erscheinen am Musikhimmel, Ludwig van Beethoven, aber auch der „wiederentdeckte“ Johann Sebastian Bach, und sie alle stehen für bestimmte musikalische Sphären. Wenn Richard Wagner Mozart als den „Licht- und Liebesgenius“ der Musik bezeichnet, dann spricht daraus fraglos Bewunderung und Verehrung, und doch wird auch eine Platzierung spürbar: Das Liebliche und Helle, das Melodiöse und Graziöse sei vorrangig Mozarts Sache, mehr als das Dunkle und Dramatische. Kein Zweifel, so wird Mozart weithin gesehen, und nicht nur zur Zeit Wagners, sondern bis in unsere Gegenwart hinein. Und doch – hat er nicht auch andere Dimensionen zu bieten, der „Licht- und Liebesgenius“? Geht er auf im Epitheton des „Götterlieblings“, in den unzähligen weißen Amadeus-Figuren der Souvenirläden, überrundet bloß noch von „Sisi“?

Nein, die Spannweite dessen, was Mozart in seiner Musik zu sagen hat, reicht von beschwingter Grazie bis zu Fundamentalfragen des Menschlichen. Wobei uns die English Baroque Soloists den faszinierenden Weg von Mozarts Erster Symphonie – dem Geniestreich eines Neunjährigen – zur fein ziselierten Klangwelt der „Prager Symphonie“ vor Augen und Ohren führen. Und wenn Stefan Gottfried mit dem Concentus Musicus ein Mozart-Konzert der „Maurerischen Trauermusik“ und der großen, unvollendeten c-Moll-Messe widmet, dann spricht daraus sein Anliegen, uns mit dem Mozart der „letzten Fragen“ zu konfrontieren. Fragen, denen sich der katholisch sozialisierte, später für das Denken der Freimaurer offene Mozart mit großem Ernst widmet. Und auf die er seine Antworten gibt, im dunkel timbrierten, zutiefst menschlichen Gestus der „Maurerischen Trauermusik“ ebenso wie im monumentalen, an große Vorbilder der Vergangenheit anschließenden, „überindividuellen“ Ton seiner großen Messe, die Fragment blieb – und damit ein Symbol für das „Unvollendete“ auch höchsten menschlichen Wollens.

Samstag, 12. April 2025

Concentus Musicus Wien
Arnold Schoenberg Chor
Stefan Gottfried | Dirigent
Nikola Hillebrand | Sopran
Patricia Nolz | Alt
Werner Güra | Tenor
Daniel Gutmann | Bass
Ernst Schlader | Klarinette

Wolfgang Amadeus Mozart
Maurerische Trauermusik, KV 477
Konzert für Klarinette und Orchester A-Dur, KV 622
Messe c-Moll, KV 427

Freitag, 25. April 2025

English Baroque Soloists
Marc Minkowski | Dirigent
Katia Labèque | Klavier
Marielle Labèque | Klavier
Jean Rondeau | Klavier

Wolfgang Amadeus Mozart
Symphonie Es-Dur, KV 16
Konzert für drei Klaviere und Orchester F-Dur, KV 242, „Lodron-Konzert“
Ballettmusik aus der Oper „Idomeneo“, KV 367
Symphonie D-Dur, KV 504, „Prager“

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