Verrückte Geräusche für den Weltfrieden: Erich Kästners „Konferenz der Tiere“ als Musiktheater für Kinder
Von Michael Hammerschmid
21.12.2024
„Es geht um die Kinder“: Dieser Satz wird in Erich Kästners parabelhafter Erzählung „Die Konferenz der Tiere“ über das fruchtbare Bündnis zwischen Tieren und Kindern, die gegen die Kriegslogik der Erwachsenen aufbegehren, mehrfach wiederholt. Es ist auch die Kernbotschaft von Thierry Tidrows Neukomposition nach dem Libretto Friederike Karigs, in der Erich Kästners Geschichte zu einem vielstimmigen Stück voll Humor und musikalisch-menschlicher Tiefe verwandelt wird.
Erich Kästner schrieb 1949 unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs und in Erinnerung an den Ersten, in dessen Vorbereitungsdrill der junge Autor sich auf Lebzeiten ein Herzleiden eingehandelt hatte, sein erstes Nachkriegskinderbuch. „Die Konferenz der Tiere“ wurde ein flammendes Plädoyer für den Weltfrieden und für die „andere“, nämlich die nicht herrschende, dafür umso kreativere Vernunft der selten ernst genommenen Tiere und Kinder. So beginnt Erich Kästners Geschichte mit der Erkenntnis eines durchaus vernunftbegabten und witzigen Tiertrios aus Löwe, Elefant und Giraffe, dass die ewigen Konferenzen der Menschen immer nur zu weiteren Konferenzen und Konflikten statt zur Bereitschaft geführt haben, auf Krieg und Zerstörung endlich zu verzichten. Das können die drei natürlich gar nicht verstehen, und sie ertragen es auch nicht mehr, dass die Zukunft der Kinder durch die Müßigkeit und Einfallslosigkeit der Erwachsenen so düster bleiben soll. Denn es geht um die Kinder, wie es bei Kästner immer wieder heißt. Und so beschließen die Tiere, sich für alle Kinder der Welt einzusetzen und eine eigene Konferenz mit ganz konkreten Forderungen für einen gültigen Weltfrieden auszurichten. Sie soll im Haus der Tiere stattfinden, wo sie die notwendigen Beschlüsse formulieren und bei den Erwachsenen durchsetzen möchten.
Denn es geht um die Kinder, wie es bei Kästner immer wieder heißt.
Das Libretto Friederike Karigs verschiebt die Ausgangslage von Erich Kästners Buch allerdings um einen wesentlichen Punkt. In ihm steht nämlich ein Mädchen ganz im Zentrum des Geschehens. In der Stückfassung sind es die Kinder selbst und mit ihnen die Tiere, die sich emanzipieren und politisieren, indem sie sich auf den Weg machen, ihre Ideen und Träume von einer besseren Welt zu verwirklichen. Gleich zu Beginn des Stückes spricht uns das Mädchen Lolo an, das Emma Schoepe als energisch und zart, wütend, intelligent und lustig interpretiert, und erzählt und möchte am liebsten alles erzählen, bis es sich, fast hätte es darauf vergessen, dann bei uns vorstellt. Lolo ist nämlich wie viele der zur selben Zeit anreisenden Tiere gerade äußerst beschäftigt und auf einer Eisscholle zur großen „Konferenz der Tiere“ unterwegs. Da die Eisscholle, auf der sie sitzt, aber gerade in Begriff zu schmelzen ist, bleibt Lolo und ihrer Begleiterin, der Eisbärin Paula, nicht viel Zeit, und wir befinden uns schon mitten im Abenteuer des Stückes. Leicht wird die Reise zum Weltfrieden für Lolo und ihre Mitstreiter:innen leider nicht werden. Denn die sich in ihre Kriegslogik und ihrem umweltzerstörerischen Starrsinn verbarrikadierenden Erwachsenen weigern sich hartnäckig, die Ideen und Gedanken der Kinder und Tiere aufzunehmen. Doch diese lassen sich glücklicherweise nicht unterkriegen und greifen zuletzt zu einem außergewöhnlichen Mittel …
Etwas von dieser Kraft, sich nicht unterkriegen zu lassen, sondern mit Mut und Einfallsreichtum auf Situationen und Umstände zu reagieren, spiegelt sich auch im musikalischen Universum Thierry Tidrows, in der Darstellungskunst Emma Schoepes und im Musizieren von Maiken Beer (Violoncello), Alessandro Baticci (Flöte), Teresa Doblinger (Klarinette) und Igor Gross (Schlagzeug und Percussion) wider. Es entfaltet sich ein ungemein ideenreiches Spiel sowohl „mit sich selbst“ als auch untereinander. Emma Schoepe schlüpft etwa immer wieder aus ihrer Mädchenrolle heraus und in die Rolle der verschiedenen Tiere. Dafür bieten ihr die von Tine Becker (Ausstattung und Kostüm) ganz im Geiste des Recyclings aus Kartonabfällen gefertigten Masken und Puppen ausdrucksstarke Möglichkeiten. Und auch die Musiker:innen selbst verwandeln sich mehrfach: Sie sprechen u. a. verschiedene Radiostimmen, verwandeln sich zu einem Chor oder singen und sprechen die Tiere, die sie auch instrumental in allen Nuancen lautmalerisch erklingen lassen. Dazu passen die von Thierry Tidrow gewählten Musikinstrumente sehr gut, die dem Brüll- und Trötumfang von Löwe, Elefant und Giraffe einen entsprechend tiefen Resonanzraum geben und sie in der Stimme von Bassklarinette, Bassflöte und Violoncello gemeinsam mit Igor Gross’ Vibraphon- und Schlagzeugspiel zu geräuschvollem Sprechen und Klingen bringen. Weitere, heller klingende Instrumente ermöglichen es den Musiker:innen, bis hinauf in höchste Klangregionen zu klettern.
Aber „labern dürfe man nicht“, sind sich die Künstler:innen einig, denn mit Kindern habe man ein besonders ehrliches und kritisches Publikum vor sich, was Regisseur Wolfgang Nägele auch als sehr „reinigend“ empfindet. Für Thierry Tidrow, der gerade auch für das NEST der Wiener Staatsoper in unmittelbarer Nachbarschaft des Musikvereins die Kinderoper „Sagt der Walfisch zum Tunfisch“ vorbereitet, hat das Musikschreiben für junge Menschen außerdem etwas Befreiendes, denn so könne er alles schreiben und habe mit keinem „Oh, das ist atonal oder dissonant oder konsonant“ zu rechnen. Ganz im Gegenteil: „Je ‚weirder‘ das Geräusch, desto toller finden es die Kinder eigentlich.“ Auf den 1986 geborenen kanadischen Komponisten Thierry Tidrow geht auch die Wahl des Stückes zurück. Er möchte den Kindern angesichts von Kriegen wie im Nahen Osten etwas anbieten, denn die Kinder merkten genau, was in der Welt vor sich gehe. Durch die gemeinsame Arbeit an Thierry Tidrows einfallsreicher Komposition auf Grundlage der modernisierenden Textadaption durch Friederike Karig, die den Witz und die Plastizität der Vorlage zu transportieren versteht, ist das neue Musiktheaterstück ein ausdrucksstarker Beitrag, die Ermutigung der Kinder im Geiste Erich Kästners weiterzutragen. Und das jenseits von Urwald- oder Nationalitätenklischees, die in dieser Fassung der „Konferenz der Tiere“ so gar keine Rolle spielen. So überträgt sich die quirlige Euphorie, große Tatenlust und tierisch menschliche Aufbruchstimmung von Erich Kästners Figuren ganz unmittelbar und lädt Kinder wie Erwachsene herzlich zu politischer Partizipation, menschlicher Wachheit und musikalischer Neugierde ein.
Samstag, 11. Jänner 2025
Sonntag, 12. Jänner 2025
Emma Schoepe | Schauspiel
Musiker:innen des Black Page Orchestra
Alessandro Baticci | Flöten
Teresa Doblinger | Klarinetten
Maiken Beer | Violoncello
Igor Gross | Schlagzeug und Percussion
Wolfgang Nägele | Regie
Blanche Rérolle | Regieassistenz
Friederike Karig | Libretto
Tine Becker | Ausstattung
Ariane Königshof | Ausstattungsassistenz
Yvonne Reidelbach | Ausstattungsassistenz
Die Konferenz der Tiere
Musik von Thierry Tidrow
(UA im Auftrag der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und der Philharmonie Luxembourg)
Konzert für Publikum ab 6 Jahren