Streifzug durch ein reiches Künstlerleben: Martin Haselböck feiert Geburtstag

© Amar Mehmedinovic
Haydns „Schöpfung“ und Bachs „Weihnachtsoratorium“ stehen am Beginn des aktuellen Abonnementzyklus, den Martin Haselböck mit seinem Orchester Wiener Akademie für den Musikverein gestaltet. Die Aufführungen dieser beiden großen Werke flankieren ein rundes Jubiläum: Martin Haselböck wird im November 70.

Von Sabine M. Gruber

26.09.2024

Am 23. November – genau zwischen den zwei Konzerten, die im Musikverein zu seinem runden Geburtstag auf dem Programm stehen – wird er 70 Jahre alt. Mit seinem Orchester Wiener Akademie bringt er Joseph Haydns „Schöpfung“ und Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“ zur Aufführung. Zufall? Die beiden großen Werke stehen im unglaublich erfolgreichen Künstlerleben des Martin Haselböck für den Ausgangspunkt seiner steilen Karriere als Orchesterdirigent: Musik der Wiener Klassik und des Barock. Als junger Organist musizierte er mehrere Jahre mit Mitgliedern der Wiener Philharmoniker in der Hofburgkapelle, als er einen Entschluss mit weitreichenden Folgen fasste: „Ich wollte die klassischen Messen von Mozart und Haydn einmal ganz anders machen. Das war für mich mit ein Grund, mein eigenes Orchester zu gründen.“ Eine Art Provokation? „Ja, vielleicht. Die Philharmoniker waren damals ja auch strikt dagegen, dass in der Hofburgkapelle frühbarocke Musik gespielt wurde. Und gerade die hat mich besonders interessiert, zum Beispiel das ,Sepolcro‘, die traditionelle Grab-Musik der Habsburger. Damals belächelte man Musiker, die auf Darmsaiten spielten, noch als ,Wurschthaut-Fraktion‘. Heute unvorstellbar, aber in den achtziger Jahren – das war eine durchaus kämpferische Zeit!“

Sich so nah wie möglich an den originalen Klang von Werken heranzutasten, das ist zentrales Thema für Martin Haselböck.

Im September 1985 hatte die Wiener Akademie als Wiener Bach-Consort den ersten Auftritt. „Es war ja das berühmte Bach-Jahr. Bald darauf hat uns Otto Biba im Musikverein zwei Haydn-Aufführungen ermöglicht, unter einer Bedingung: ,Da müsst’s ihr euch anders nennen!‘ Zwei Jahre später waren wir schon Artists in Residence bei der Kölner Philharmonie. Ein Blitzstart.“
Von Anfang an legte Martin Haselböck größten Wert auf die Eigenständigkeit seines Originalklang-Orchesters. „Ich wollte alle Instrumentalisten selbst aufbauen, nicht von bereits etablierten Ensembles übernehmen. Das ist mir auch gelungen. Wer zum Beispiel in Harnoncourts Concentus Musicus mitspielte, durfte nicht bei uns spielen. Das ist bis heute so, da bin ich ganz konsequent.“
Das Repertoire der Wiener Akademie hört bei der Wiener Klassik längst nicht auf, es reicht bis in die Moderne. „Für die Romantik haben wir unser Repertoire mit originalen Blasinstrumenten des 19. Jahrhunderts aufgebaut. Zum Beispiel Bruckner. Beim Kirch’Klang Festival in Mondsee haben wir seine Sechste Symphonie gemacht. Da bin ich einen Weg gegangen, den, glaube ich, so noch niemand gegangen ist, und es ist ein völlig anderer Bruckner rausgekommen. Es ist für uns eines der schönsten Konzerte geworden, an die ich mich erinnern kann.“
Auch die Werke von Franz Liszt spielen eine wichtige Rolle. 2018 erschien unter dem Titel „The Sound of Weimar“ die erste, mehrfach preisgekrönte Gesamtaufnahme der Orchesterwerke von Franz Liszt, selbstverständlich im Originalklang. „Von Franz Liszt haben wir sogar zwei Uraufführungen gemacht, kaum zu glauben!“

Sich so nah wie möglich an den originalen Klang von Werken aller Epochen heranzutasten, diesen quasi zu rekonstruieren – das ist zentrales Thema und größte Herausforderung für den gelernten Organisten, der schon mit 22 seine Diplome für Kirchenmusik und Konzertfach Orgel in der Tasche hatte und mit 32 als Professor für Kirchenmusik an die Musikhochschule Lübeck berufen wurde. Unter dem Titel „Resound“ verwirklicht er besondere Klang-Projekte, die nicht nur den originalen Instrumentenklang berücksichtigen, sondern auch die originale Besetzung an möglichst authentischen Aufführungsorten. Legendär ist seine Rekonstruktion der Uraufführung von Beethovens Neunter Symphonie vom 7. Mai 1824. Nach umfangreichen Recherchen und akribischen Studien gelang es, die Besetzung, die Aufstellung und die Uraufführungsversion der Noten exakt zu rekonstruieren – nur leider nicht am ursprünglichen Aufführungsort. Denn das Wiener Kärntnertortheater am Albertinaplatz, ein Bau von Nikolaus Pacassi aus dem Jahr 1763, wurde 1874 endgültige abgerissen.

© Amar Mehmedinovic

„Wir wissen jetzt einfach viel mehr über diese Musik, und das hilft uns, sie ganz neu zu sehen und zu hören. Verglichen mit anderen Aufnahmen waren wir um eine viertel Stunde schneller. Weil ich nicht dem Irrtum erlegen bin, die Girlanden der Sechzehntel seien keine Umspielungen, sondern thematisch und müssten ausgespielt werden. Es war ein echtes Abenteuer! Wir hatten einen Sub-Dirigenten, und der Chor stand vor dem Orchester. Bis Richard Wagner 1846 bei der ,Neunten‘ den Chor erstmals hinter das Orchester gebracht hat, stand der Chor ja immer vor dem Orchester. Bei Haydns ,Schöpfung‘ war es ähnlich. Die ist im Festsaal der Akademie der Wissenschaften in Wien uraufgeführt worden. Da gab es gleich drei Dirigenten.“

Nun wird die „Schöpfung“ im Rahmen des Schwerpunkt-Projekts „Musikverein Perspektiven“ aufgeführt. Man darf gespannt sein, spielt doch Anton Zeilinger, der Nobelpreisträger für Physik, eine tragende Rolle. „Ich kenne Anton Zeilinger seit langem, von unserem Sommerfestival im Salzkammergut, er hat in Traunkirchen ein wissenschaftliches Institut. Was die meisten Menschen jedoch nicht wissen: Er ist sehr musikaffin. Zur ,Schöpfung‘ hat er eine ganz persönliche Beziehung – wir haben sie mehrfach für ihn und mit ihm an ihrem Uraufführungsort gemacht. Die Idee war diesmal, diesem Monolith unter den Oratorien etwas Intensives voranzustellen. Das heißt, wir machen eine Gesprächsrunde davor, über den Begriff der Natur – auch aus physikalischer Perspektive. Der Schöpfungstext ist naiv, ja, aber er reflektiert schon so eine Idee der Frühaufklärung. Was wissen wir? Was können wir glauben? Und vor dem dritten Teil, wo es um den Menschen geht, wird Zeilinger seine Gedanken mit dem Publikum teilen. Intendant Stephan Pauly hat Anton Zeilinger eingeladen, im Rahmen der Musikverein Perspektiven gemeinsam Konzertprogramme zu entwickeln.“

Die Aufführung des „Weihnachtsoratoriums“ am 1. Dezember steht für die zweite große Leidenschaft des Geburtstagskinds Martin Haselböck. „Ich selbst habe Barockmusik bei Anton Heiller und Michael Radulescu studiert – dort habe ich die Klangrede gelernt. Es gibt eine österreichische Art, Bach zu spielen, und darin war Anton Heiler Meister.“ Barockmusik macht er nicht nur in Wien und nicht nur mit der Wiener Akademie. „Amerika war immer mein zweites Standbein. Ich hatte eine sehr intensive Karriere als amerikanischer Gastdirigent bei den großen Orchestern. Doch ich wollte auch in Amerika ein eigenes Ensemble haben. Das war dann seit 2004 das Musica Angelica Baroque Orchestra Los Angeles, mit dem ich regelmäßig in Kalifornien und international auftrete.“
Während er die großen Passionen – so wie Bach in der Leipziger Thomaskirche – authentisch mit einem solistisch besetzten Chor macht, wird im „Weihnachtsoratorium“ ein großer Chor auftreten. „Die vorweihnachtlichen Konzerte haben eine ganz besondere Botschaft. Und das ,Weihnachtsoratorium‘ hat eine starke Verbindung zu Wien. In den ersten drei Kantaten hat Bach ja eine weltliche Kantate parodiert, die er ein Jahr zuvor anlässlich des 34. Geburtstag von Maria Josepha am 8. Dezember 1733 komponiert hatte: ,Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten!‘“ Die älteste Tochter des Habsburger-Kaisers Joseph I. und Cousine der späteren Kaiserin Maria Theresia heiratete am 20. August 1719 den Sohn von August dem Starken von Sachsen. Die eigentliche Zeremonie in Wien in der Kapelle der Favorita war kurz und bescheiden. Die Hochzeitsfeier in Dresden hingegen dauerte drei Wochen und ging als opulentestes aller Zeiten in die Geschichte ein.

Dass Bach weltliche Werke vergeistlicht hat, bedeute, so Martin Haselböck, nichts. „Die Mittel, die er verwendet, sind dieselben. Bach predigt immer! Sogar in seinen Instrumentalwerken. Für das Publikum jedenfalls ist das ,Weihnachtsoratorium‘ fast so etwas wie ein kirchliches Hochamt.“

Sonntag, 13. Oktober 2024

Orchester Wiener Akademie
Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien
Martin Haselböck | Dirigent
Theresa Pilsl | Sopran
Jan Petryka | Tenor
Florian Boesch | Bass
Anton Zeilinger

Anton Zeilinger und Martin Haselböck im Gespräch mit Stephan Pauly über das Programm des Konzerts und der Musikverein Perspektiven

Joseph Haydn
Die Schöpfung. Oratorium, Hob. XXI:2

Gedanken von Anton Zeilinger

Sonntag, 1. Dezember 2024

Orchester Wiener Akademie
Chorus sine nomine
Martin Haselböck | Dirigent
Hélène Walter | Sopran
Reginald Mobley | Altus
Benjamin Hulett | Tenor
Stefan Zenkl | Bass

Johann Sebastian Bach
Weihnachtsoratorium, BWV 248
(Kantaten I, II, IV und VI)

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