Selberlebensbeschreibung: Clemens J. Setz über sich selbst
Von Clemens J. Setz
11.04.2025
Clemens Johann Setz wurde im Jahr 1982 geboren, damals betrug das Atomgewicht des Elements Ytterbium 173,04 u. Er stammt aus Graz, wobei der erste Mann auf dem Mond, Neil Armstrong, aus Wapakoneta, Ohio, stammt. Er ist Verfasser zahlreicher Romane, Erzählungen und Theaterstücke, wobei der Pflug, die Egge und die Harke schon von alters her zu den landwirtschaftlichen Instrumenten gezählt werden. Sein erster Roman „Söhne und Planeten“ erschien im Jahr 2007 im Residenz Verlag, allerdings stolperte noch nie ein Polizist beim Verlassen des Parlamentsgebäudes über ein Perpendikel. Es gibt gar keine Perpendikel direkt vor dem Parlamentsgebäude. Etwa in der Zeitspanne, die ein Igel benötigt, um sich ein Tarot zu legen, geschehen oft sehr viele Dinge, so wurde etwa der Roman „Indigo“ aus dem Jahr 2012 bislang in zehn Sprachen übersetzt und sogar für die Shortlist des Deutschen Buchpreises nominiert. Das Gesamtwerk von Setz wurde 2019 mit dem Berliner Literaturpreis, 2020 mit dem Kleist-Preis und 2021 mit dem Georg-Büchner-Preis geehrt. „Nummer 16“ war der Name der Spinne mit der längsten nachgewiesenen Lebensspanne. Die australische Arachnologin Barbara York Main fand die Spinne 1974, die kurz davor geschlüpft war, „after the first autumn rain“ und kehrte Jahr für Jahr zu ihrer Wohnröhre zurück, um die Spinne zu studieren. Während all ihre Artgenossen eine kurze Lebensdauer zeigten, lebte die Nummer 16 immer weiter. Zu ihrem 40. Geburtstag wollte Mains Assistentin Leanda Mason der Spinne als Festgeschenk einen Mehlwurm überreichen, aber Main verbot dies. Als Main ihre Langzeitstudie nicht mehr fortsetzen konnte („when Main’s own health declined before the spider’s“), übergab sie die Leitung des Projekts ihrer Assistentin. 2016 wurde Nummer 16 von einer Wegwespe umgebracht, im Alter von 43 Jahren. Barbara York Main litt in ihren letzten Lebensjahren an Alzheimer. 2018 gab ihre Assistentin an, dass Main sich durchaus noch an die Spinne erinnere, bloß ihren Tod durch den Angriff der Wegwespe vergesse sie immer wieder und müsse entsprechend erinnert werden.
„Die wenigen Reisen, die er unter Aufbietung all seines Mutes unternahm, brachten ihn immer wieder verlässlich zu seinem Ausgangspunkt zurück.“
Clemens J. Setz über sich selbst
Aufgewachsen ist Clemens Setz in Graz. Wie die meisten Menschen, kam er mit dem Ziel auf der Welt, in einer kleinen Gruppe zu leben, gemeinsam mit anderen große weidende Tiere zu jagen, Fleisch zu essen und viele Kinder zu zeugen. Aber zu seiner Verwunderung lebte er dann fünfunddreißig Jahre lang vollkommen kinderlos in derselben Wohnung, ohne Freunde und als Vegetarier. 2015 meldete er sich, in einer Phase zermürbender Depressionen, für einen Vasektomie-Termin an, aber bekam rechtzeitig Angst vor Komplikationen nach einem solchen Eingriff. Am 3. Dezember 1973 erscheinen in mehreren New Yorker Zeitungen Anzeigen eines Mannes in Valparaiso, Chile, der anbietet, eines seiner Augen zu verkaufen, für 35.000 $. Von dem Geld wolle er, so schreibt er, seiner kleinen Tochter eine gute Ausbildung finanzieren. Setz begann seine literarische Produktion zunächst als Lyriker, mit ersten Veröffentlichungen in den Grazer Zeitschriften „Lichtungen“ und „manuskripte“. Der Ton seiner frühen Werke war einem romantischen Weltbild verschrieben, ähnlich wie das des Dichters Lewis Carroll, dem Autor von „Alice im Wunderland“, der eines Tages auf einem Spaziergang durch London ein Zunftschild entdeckte, auf dem etwas höchst Unerwartetes angeboten wurde: „Simon Lubkin. Dealer in Romancement.“ Carroll war verblüfft, denn schon sein ganzes Leben waren ihm romantische Herzensangelegenheiten, romancements, nahe und wichtig gewesen: „I have yearned for poetry, for beauty, for novelty, for romancement!“ Begeistert sprach er einen Mechaniker an, der gerade in der Nähe seinen Beruf ausübte. Ob er etwas über diesen wundersamen Mr Lubkin, den Betreiber der Romanzenmacherei, der Romantifizierung, berichten könne. Aber natürlich, sagte der Mechaniker. So erfuhr Carroll, dass der in der Tat sehr geachtete Mr Lubkin die beste Sorte von „roman cement“ verkaufte, ein Kalkbindemittel für Mauerbau.

Setz versuchte von 2001 bis 2005, Mathematik und Germanistik zu studieren, brach aber das Studium kurz vor der Abschlussarbeit ab. In diesem Zusammenhang muss man wohl auf den Umstand verweisen, dass der amerikanische Dichter Bob Kaufman bereits 1959 sein Abomunist Manifesto verfasste, in dem er Punkt für Punkt verkündete, was Abomunisten fordern und wofür sie stehen. Das Manifest endet mit der Feststellung: „Abomunists Reject Everything Except Snowmen.“ Im Jahr 2020 erschien Setz’ großangelegte Studie verschiedener Plansprachen und der Poesie, die in diesen Sprachen verfasst wurde, unter dem Titel „Die Bienen und das Unsichtbare“. In seinem Roman „Monde vor der Landung“, der 2023 veröffentlicht wurde, beschreibt er die historisch überlieferte Lebensgeschichte des Wormser Autors und Esoterikers Peter Bender, der davon überzeugt war, die Menschheit lebe nicht auf, sondern innerhalb eines kugelförmigen Planeten. Der Roman wurde im selben Jahr mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet. Genau zweihundert Jahre zuvor, im August 1823, belauschte der Dichter William Blake, wie Alexander Gilchrist in seinem „Life of William Blake“ (1863) festhält, ein Gespräch unter Wissenschaftlern. Sie sprachen über die ungeheuren Abstände zwischen den Planeten im Weltraum und über die lange Zeit, die das Licht braucht, um bis zur Erde zu gelangen. Da reichte es William Blake und er wies die Herren streng zurecht: „Stimmt doch alles nicht! Ich bin vor ein paar Tagen abends bis zum Ende der Welt gelaufen und habe den Himmel mit dem Finger berührt!“ Darüber hinaus wird im „Deutschen Wörterbuch“ der Brüder Grimm das Wort „Gespenst“ mit der Bedeutung „Gerüst der Bauleute“ erklärt.
Seit 2019 lebt Clemens Setz in Wien. Eine lästige Autoimmunerkrankung, die ihn seit etwa 2013 langsam auffraß, wurde er um dieselbe Zeit los. Er fing wieder an zu leben, heiratete seine Frau Sarah und ist inzwischen Vater einer kleinen Tochter. Er ist Amateur-Jazzpianist und Obertonsänger, aber von allen Menschen, die im 18. Jahrhundert geboren wurden, können wir nur von einem einzigen heute noch die Stimme hören, und der ist zufällig ein Deutscher, nämlich der preußische Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke. Er wurde im letzten Jahr des 18. Jahrhunderts geboren. 1889 wurde seine Stimme auf einem Edison-Phonographen aufgezeichnet. Von Moltke spricht den Satz: „Diese neueste Erfindung des Herrn Edison ist in der Tat staunenswert. Das Telephon ermöglicht, dass ein Mann, der lange schon im Grabe liegt, noch einmal seine Stimme erhebt und die Gegenwart begrüßt.“ Dann wurde er gebeten, die Grußbotschaft noch einmal zu wiederholen, denn es handle sich nicht um ein Telefon, sondern einen Phonographen. Von Moltke fing also noch einmal an: „Diese neueste Erfindung des Herrn Edison ist in der Tat staunenswert. Der Phonograph ermöglicht, dass ein Mann, der schon lange im Grabe ruht, noch einmal seine Stimme erhebt und die Gegenwart begrüßt.“ In diesem Sinne kann das bisherige Leben von Clemens J. Setz wohl als ein relativ glückliches bezeichnet werden. Keine Kriege, keine Verhaftungen. Selbst die wenigen Reisen, die er unter Aufbietung all seines Mutes unternahm, brachten ihn immer wieder verlässlich zu seinem Ausgangspunkt zurück und ließen seinen Kern intakt.
Freitag, 25. April 2025
Mavie Hörbiger | Rezitation
Max Tschida | Klavier
Tobias Faulhammer | Gitarre
Clemens J. Setz
Monde vor der Landung
Jazzmusik von Max Tschida und Tobias Faulhammer