„Salieri ist eine moralische Instanz“: Riccardo Muti dirigiert Salieri und Mozart
Von Peter Blaha
09.05.2025
Am 7. Mai 1825, auf den Tag genau ein Jahr nach der Uraufführung von Beethovens Neunter Symphonie, starb in Wien Antonio Salieri. Dass er von diesem musikalischen Ereignis noch Notiz genommen hat, ist nicht anzunehmen. Bereits drei Jahre davor hatten seine körperlichen und geistigen Kräfte stark nachgelassen, von 1823 an verbrachte er sogar die meiste Zeit im Krankenhaus. Schon damals kursierte das Gerücht, Salieri habe Mozart vergiftet, was ihm selbst auch zu Ohren gekommen war. Gegenüber seinem Schüler Ignaz Moscheles beteuerte er in einem seiner zuletzt raren lichten Momente, „dass nichts Wahres an dem absurden Gerücht ist; Sie wissen ja – Mozart, ich soll ihn vergiftet haben. Aber nein, Bosheit, lauter Bosheit, sagen Sie es der Welt, lieber Moscheles; der alte Salieri, der bald stirbt, hat es Ihnen gesagt.“
Auch die Forschung hat dieses Gerücht längst widerlegt, doch immer noch wirft es einen Schatten auf Salieris Nachruhm, befeuert durch Alexander Puschkins Drama „Mozart und Salieri“, vor allem aber durch Peter Shaffers Theaterstück „Amadeus“ und den darauf basierenden Film von Miloš Forman, in dem sich Mozart als kindischer Exzentriker und Salieri als bösartiger Intrigant gegenüberstehen. Ohne über den Film als solchen urteilen zu wollen, ist Riccardo Muti überzeugt, dass er den historischen Fakten zuwiderläuft. Den 200. Todestag am 7. Mai 2025 sieht er daher auch als Chance, dem Komponisten wie dem Menschen Salieri Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Dabei nimmt er vor allem Wien in die Pflicht: Zwar kam der Komponist 1750 in Legnago, in der Republik Venedig, zur Welt, doch Wien wurde sein Lebensmittelpunkt, nachdem der Komponist Florian Leopold Gassmann den 16-jährigen Waisen in die Kaisermetropole mitgenommen und ihn am Hof eingeführt hatte, wo Salieri dank seines Talents bald schon die Aufmerksamkeit Josephs II. erregte. Der Kaiser sollte neben Gassmann und Christoph Willibald Gluck sein wichtigster Mentor werden. Zunächst hat Joseph II. ihn zum kaiserlichen Kammerkomponisten und Kapellmeister der italienischen Oper ernannt, später zum Hofkapellmeister, ein Amt, das er offiziell bis 1824 ausübte. Bereits 1812 trat er als eines der Gründungsmitglieder der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien hervor und beteiligte sich als erster Gesangslehrer am Aufbau des Konservatoriums. Erfolge feierte Salieri aber nicht nur in Wien, sondern auch in Italien und Paris, wo er mit „Les Danaïdes“ einen großen persönlichen Triumph erringen konnte. Diese Oper wurde zunächst als neues Werk von Gluck annonciert, der erst am Tag der Premiere eingestand, dass ihr wahrer Schöpfer Salieri sei. Neben „Axur, re D’Ormus“ auf einen Text von Lorenzo da Ponte und dem Dramma giocoso „Falstaff“ zählt „Les Danaïdes“, ganz dem Stil von Glucks Reformopern verpflichtet, wohl zu seinen besten Werken.
Zu Lebzeiten war Salieri eine europäische Größe. Erst im Alter, als Mozarts Stern groß aufging, begann der seinige zu sinken. War er das, was man heute einen „Kleinmeister“ nennt, vor allem im Vergleich mit Mozart? „Als man Rossini fragte, wer seiner Meinung nach der bedeutendste Komponist sei, nannte er Beethoven“, erzählt Riccardo Muti im Interview. „Und was sei mit Mozart, wollte Rossinis Gesprächspartner wissen? Mozart stehe über allem, erwiderte Rossini. Man könne ihn nicht mit anderen messen. Genau so ist es. Jedermann möchte Salieri mit Mozart vergleichen. Das aber ist ein falscher Zugang“, ist Riccardo Muti überzeugt. „Er war kein Genie wie Mozart, aber er war ein sehr wichtiger Komponist.“
„Salieri war jener Komponist, der wie kein anderer Mozarts Genie erkannt. hat.“
Riccardo Muti

Als Kaiserin Maria Theresia in Mailand, damals zum Imperium der Habsburger gehörend, ein neues Opernhaus errichten ließ, das Teatro alla Scala, beauftragte sie Antonio Salieri, die Oper zur feierlichen Eröffnung 1778 zu schreiben. „Das hätte sie nicht getan, wenn Salieri nicht einer der berühmtesten Komponisten seiner Zeit gewesen wäre“, ist der ehemalige Scala-Chef überzeugt. Diese Oper, „L’Europa riconosciuta“, setzte Riccardo Muti daher auch aufs Programm, als die Scala nach mehrjähriger Renovierungszeit 2004 unter seiner Leitung wiedereröffnet wurde. Heute noch schwärmt er von einem „fantastischen Werk, sehr virtuos in den Gesangspartien und daher schwer zu besetzen. Mit Diana Damrau, Genia Kühmeier und Giuseppe Sabbatini standen aber hervorragende Sängerinnen und Sänger auf der Bühne.“ Auch an dieser Oper könne man sehen, dass Salieris musikalische Wurzeln in Italien zu suchen sind, hebt der Dirigent hervor. „Er geht von der Melodie aus, die stets der Bedeutung des gesungenen Textes Ausdruck gibt. Das war in allen italienischen Schulen der Fall, ob in Neapel, Rom oder Venedig. Die deutsche Schule setzte demgegenüber mehr auf Polyphonie und Kontrapunkt. Zwar gab es auch in Italien bedeutende Meister des Kontrapunkts, allen voran Padre Martini, den sogar der junge Mozart aufsuchte, um noch etwas zu lernen. Salieri selbst beherrschte diese Kompositionstechnik natürlich auch. Doch primär ging es ihm darum, auf möglichst einfache Art die Bedeutung der Wörter auszudrücken. Seine Melodien sind zwar nicht mit denen Mozarts vergleichbar und seine Harmonien weniger komplex als die Haydns, dennoch verrät Salieris Musik Meisterschaft und Einfallsreichtum.“
Das komme auch in seiner ersten von vier Messen, der sogenannten „Hofkapellmeister-Messe“, deutlich zum Ausdruck, die 1788 entstanden ist und die Riccardo Muti zu Ehren Salieris in einem Konzert der Wiener Hofmusikkapelle im Wiener Musikverein aufführen wird. „Salieri befolgt in dieser D-Dur-Messe die Regeln, die für die musikalische Ausschmückung der Liturgie in Österreich damals gültig waren. Die Messen sollten nicht zu lang und nicht überladen sein. Außerdem berücksichtige er die räumlichen und akustischen Bedingungen der Hofmusikkapelle. Das einleitende Kyrie ist sehr lyrisch, demgegenüber setzt das Gloria dramatischere Akzente. Salieris Fantasie zeigt sich nicht zuletzt in seiner Orchestrierung, die auch kammermusikalische Elemente enthält. So gibt es im Benedictus einen sehr schönen Dialog zwischen einer Solovioline und einem Solocello.“ Dass die Innigkeit dieser Messe Assoziationen an sakrale Werke Franz Schuberts aufkommen lässt, der Salieris Schüler war, kann Riccardo Muti nachvollziehen. „Sie ist jedenfalls eine schöne Gelegenheit, Salieris Bedeutung als Komponist und als Persönlichkeit besser zu verstehen.“
Dass sich Riccardo Muti, ein Lieblingsdirigent der Wiener Philharmoniker und bis vor kurzem gefeierter Chefdirigent des Chicago Symphony Orchestra, für dieses Konzert an die Spitze des Ensembles der Hofmusikkapelle stellt, die sich aus Mitgliedern von Chor und Orchester der Wiener Staatsoper sowie den Wiener Sängerknaben zusammensetzt, kommt nicht von ungefähr. Als es nach dem Tod Josephs II. stiller um den Opernkomponisten Salieri geworden war, machte er sich nicht nur als Lehrer bedeutender Komponisten wie Beethoven, Schubert, Liszt, Hummel, Moscheles oder Meyerbeer einen Namen – wofür er, aus Dankbarkeit für die ihm einst widerfahrende Unterstützung durch Gassmann, übrigens kein Geld annahm –, als Hofmusikkapellmeister erwarb er sich auch um die Wiener Hofmusikkapelle große Verdienste. Nicht nur legte er den Grundstein zum Aufbau ihres Archivs, auch seine Leistungen als Gesangspädagoge der Sängerknaben wurden hoch geschätzt.
Dass Salieri im Wiener Musikleben eine wichtige und einflussreiche Stellung einnahm, ist nicht von der Hand zu weisen. Und doch ist all dies nach Riccardo Muti nicht das größte seiner Verdienste: „Vor allem war Salieri eine moralische Instanz! Er verlangte von Sängern und Musikern, sich in den Dienst der Musik zu stellen. Sie war für ihn eine ernste und seriöse Angelegenheit. Eitle Selbstdarstellung ließ er nicht durchgehen. Er hat die Musik von all dem gereinigt, was an Spektakel oder Show erinnerte. Es gibt von ihm Instruktionen auf Italienisch und auf Deutsch, die diesbezüglich eine klare Sprache sprechen. Salieri hat in Wien das getan, was zur selben Zeit Cherubini in Paris oder Spontini in Berlin geleistet haben. Das vor allem gilt es in Erinnerung zu rufen.“
Dass auch ein Konzert zum 200. Todestag Salieris nicht ohne Musik Mozarts auskommt – Riccardo Muti wird in diesem Rahmen auch die „Jupiter-Symphonie“ dirigieren –, scheint einmal mehr darauf hinzuweisen, dass die Nachwelt Salieri ohne Mozart offenbar nicht denken kann. „Es geht in diesem Konzert nicht darum, die beiden zu vergleichen oder gar gegeneinander auszuspielen“, räumt Riccardo Muti ein. „Aber sie haben nun mal zur selben Zeit in derselben Stadt gelebt und hatten auch miteinander Kontakt. Salieri war nicht eifersüchtig auf Mozart. Aber er war der Komponist, der wie kein anderer Mozarts Genie erkannt hat. Das rechtfertigt es, Werke von beiden in einem Konzert aufzuführen.“
Samstag, 17. Mai 2025
Sonntag, 18. Mai 2025
Wiener Hofmusikkapelle
Riccardo Muti | Dirigent
Antonio Salieri
Lob der Musik
Wolfgang Amadeus Mozart
Symphonie C-Dur, KV 551, „Jupiter-Symphonie“
Antonio Salieri
Messe Nr. 1 D-Dur, „Hofkapellmeister-Messe“
Jan Petryka | Tenor
Johannes Bamberger | Tenor
Georg Klimbacher | Bariton
Robert Holl | Bass
Mikayel Balyan | Klavier
Johannes Prominczel | Moderation
Zum 200. Todestag von Antonio Salieri – Antonio Salieri und seine Schüler
Werke von Antonio Salieri, Franz Schubert, Johann Nepomuk Hummel und anderen