Papa Arnold erzählt Geschichten: Schönbergs „Prinzessin“ als Musiktheater bei „Allegretto“

© Illustration: Kati Szilágyi
Für das Publikum ab sechs Jahren halten das Musikverein Festival „Courage!“ und der Schwerpunkt „Schönberg 150. Geburtstag“ ein spannendes Projekt bereit: die Uraufführung eines Musiktheaters rund um Arnold Schönbergs Märchen „Die Prinzessin“ und sein „nulltes“ Streichquartett in D-Dur.

Von Daniel Ender

17.04.2024

„Schönberg klingt schön!“ So hieß vor wenigen Jahren ein Vermittlungsprogramm des Arnold Schönberg Centers für Schülerinnen und Schüler, augenzwinkernd mit dem alten Vorurteil spielend, die Musik des Erfinders der Zwölftonmethode sei eben gerade alles andere als landläufig „schön“ zu nennen. Das ist freilich weniger eine Frage des Geschmacks als der grundsätzlichen Offenheit: Wer bereit ist für neue Eindrücke, wird sie viel wahrscheinlicher auch als angenehm und interessant empfinden.

Das Stück, das beim Musikverein Festivals „Courage!“ als Education-Jubiläumsprojekt der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien anlässlich Schönbergs 150. Geburtstag im Jahr 2024 gespielt wird, überzeugte allerdings bei seiner Uraufführung sogar die konservative Tageszeitung „Neue Freie Presse“, die eine „sehr angenehme Überraschung“ erlebte. Am 24. Dezember 1898 war hier zu lesen: „ein neues Streichquartett von Arnold Schönberg errang nicht nur einen ungewöhnlichen Erfolg, sondern machte auf alle anwesenden Musikfreunde den Eindruck, daß man es in seinem Autor mit einem wahrhaften Talente zu thun habe, das da sein erstes bedeutsames Wort gesprochen (hat).“ Damals, in seinen frühen Jahren, war dabei noch sehr deutlich zu hören, wie sich der junge Komponist an Vorbildern wie Johannes Brahms oder Antonín Dvořák orientierte. Doch dazu später.

Denn der Rahmen, in dem Schönbergs „nulltes“ Streichquartett in D-Dur, komponiert 1897 (Brahms’ Todesjahr!), im Musikverein ertönen wird, ist ein ganz besonderer – ein Musiktheaterstück, in dem ein vom Komponisten für seine Kinder erfundenes, fantastisches Märchen zum Leben erweckt wird: „Die Prinzessin“ – so heißt eine der Lieblingsgeschichten, die der Vater im Familienkreis immer wieder erzählte, wenn er gerade nicht vom kleinen Buben „Arnold“ berichtete. Dieser – so überliefert es Tochter Nuria Schoenberg-Nono – war, zumindest laut den Erzählungen des erwachsenen Mannes Arnold, nicht gerade folgsam gewesen: „Arnold“, habe seine Mutter gesagt, „heute gehe ich weg, und du bleibst zu Hause …“ Doch der Bub habe das genaue Gegenteil davon getan: Er habe sein Dreirad geschnappt, sei auf die Straße gefahren, und zwar bis nach China! Dort habe er verschiedene Tiere getroffen, die ihn auf Chinesisch angesprochen hätten, er habe aber nicht genügend Zeit gehabt, um die Sprache zu lernen, da er ja rechtzeitig wieder heimmusste, sodass seine Mutter ja nichts von seinen Abenteuern mitbekommen konnte …

© Richard Fish / Arnold Schönberg Center Wien

„Heute noch sehe ich meinen Vater vor mir, wie er mit großem Vergnügen und Grimassen schneidend die Helden der Geschichte charakterisierte…“ – Nuria Schoenberg-Nono

Nicht weniger fantasievoll ist Schönbergs Märchen über „Die Prinzessin“ – laut Nuria „die am häufigsten wiederholte Geschichte“. Darin geht es um eine junge Dame als Protagonistin, die sich beim Tennisspiel eine Verletzung zuzieht und daher Hilfe von ihrem dümmlichen Diener namens Wolf benötigt – ein schwieriges, aber auch amüsantes Unterfangen, das wohl für immer vergessen worden wäre, wenn ihm das Schicksal ähnlicher familiär tradierter Geschichten widerfahren wäre. Doch glücklicherweise hat der Komponist noch im hohen Alter eine Aufnahme davon gemacht, sodass sich die Erzählung erhalten konnte. Somit gibt es sie auch als Buch, in dem unter anderem durch Tochter Nuria berichtet wird: „Heute noch sehe ich meinen Vater vor mir, wie er mit großem Vergnügen und Grimassen schneidend die Helden der Geschichte charakterisierte: die hochmütige, ungeduldige Prinzessin mit ihrer hohen Stimme, den dummen Wolf (…) oder die geistreiche Großmutter, die alles besser weiß.“

Im Brahms-Saal wird diese Geschichte nach einer Idee von Anna Doogue in einer Eigenproduktion des Musikvereins vor den Augen und Ohren eines Publikums ab sechs Jahren entstehen, wenn die Ausstatterin Birgit Kellner mit Live-Zeichnungen in Echtzeit Bilder erschaffen wird, während Regisseur Anselm Dalferth – selbst Geiger und Entwickler vielfältiger Musiktheaterkonzepte – und die Schaupielerin Shabnam Chamani die handelnden Personen auf die Bühne bringen.

Musizieren wird das Simply Quartet, wie erwähnt Schönbergs „nulltes“ Quartett, also jenes, dem er noch keine Opus-Zahl gab. Der Komponist war zunächst Autodidakt und lernte gleichzeitig das Geigenspiel und das Schreiben von Musik, wie er selbst berichtete: „Als Kind von weniger als neun Jahren hatte ich begonnen, kleine und später größere Stücke für zwei Geigen zu schreiben, indem ich die Musik imitierte, die ich mit meinem Lehrer und einem Vetter spielte. Als ich die Duette von Viotti, Pleyel und anderen spielen konnte, imitierte ich deren Stil. So lernte ich zu komponieren in dem Maße, in dem ich Violine spielen lernte.“ Weiters berichtete er auch, er habe sich die Komposition von Streichquartetten Schritt für Schritt aus einem Lexikon selbst beigebracht – ein denkbar mühsamer Weg.

Eike Fess, Archivar des Arnold Schönberg Centers, sagt dazu: „Johannes Brahms erzählte einmal über sich, er habe mehr als zwanzig Quartettsätze komponiert, bis er es wagte, mit seinem Opus 51 an die Öffentlichkeit zu treten. Arnold Schönberg dürfte einen ähnlichen Weg zurückgelegt haben. Er lernte die Gattung durch das Studium der Klassiker kennen. Gemeinsam mit seinen Freunden spielte er die Werke von Haydn, Mozart und Beethoven, aber auch jüngere Meister wie Antonín Dvořák. Eine reguläre Ausbildung am Konservatorium hatte Schönberg nie genossen. Sein nur wenig älterer Jugendfreund Alexander Zemlinsky unterstützte ihn jedoch beim Erlernen des kompositorischen Handwerks. Das sogenannte ,nullte‘ Streichquartett von 1897 ist eine Frucht dieser Lehrzeit.“

Dvořák, den man ansonsten kaum mit Schönberg in Verbindung bringen würde, spielte für ihn tatsächlich eine nicht zu unterschätzende Rolle. Denn kammermusikalisch gespielt wurden seine Werke sehr wohl, was auch auf die Fantasie des jüngeren Kollegen abgefärbt haben dürfte. Dazu Eike Fess: „Bereits in den ersten Takten wird die melodische Inspiration durch Dvořák hörbar – das aufbrausende Thema erinnert an den Anfang von dessen 1894 uraufgeführtem ,Amerikanischen Quartett‘. Dass der junge Komponist gut zehn Jahre später die Grenzen der traditionellen Tonalität durchbrechen sollte, ist hier nicht zu ahnen – offensichtlich ist dagegen sein melodisches Talent und sein Gespür für Harmonik.“

Dieses Gespür sollte von Schönberg bald anderweitig weiterentwickelt werden und ihn dazu befähigen, ganz andere Wege zu beschreiten. Schönbergs kurzzeitiger Schüler, der amerikanische Avantgardist und Musik-Neu-Erfinder John Cage, soll einmal gesagt haben: „Musik ist überall – man braucht nur die Ohren, um sie zu hören.“ Daran angelehnt könnte man formulieren: Jede Musik ist schön – man braucht nur die Ohren für sie. Vielleicht ist für manche die Begegnung mit dem „nullten“ Streichquartett auch ein Anlass, den anderen Schönberg zu entdecken: den Revolutionär, der sich so sehr mit der Musikgeschichte und dem Streben nach Schönheit – aber eben auch nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit – verbunden fühlte. Und so wird man vielleicht auch und gerade dann sagen: „Schönberg klingt schön!“

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