Mit Hingabe und starkem Willen: Augustin Hadelich
Von Verena Fischer-Zernin
15.11.2024
Was ist das Besondere an einem Konzert des Geigers Augustin Hadelich? Noch bevor er seinen ersten Ton spielt, hat das Publikum intuitiv bereits seine Körpersprache erfasst, das Uneitle seines Auftretens, die freundliche Verbeugung, die Hingabe, mit der er verfolgt, was Dirigent und Orchester vor dem ersten Einsatz der Sologeige tun. So können sich die Menschen dafür öffnen, was sie zu hören bekommen: den warmen, dunklen, singenden Ton seiner Guarneri, ihr verblüffendes Spektrum an dynamischen und farblichen Schattierungen.
Egal, ob Hadelich gerade Mozart, Dutilleux oder Dvořák spielt, er produziert nicht einfach nur Wohlklang. Es ist die Verbindung von Inspiration und sinnbewusster Gestaltung, die sein Musizieren so persönlich wirken lässt. „Virtuosität ohne Angeberei“, jubelt die französische Zeitung „Le Monde“. Die „Washington Post“ staunt, sein Spiel enthülle etwas von einer höheren Ebene. Und für die „Neue Zürcher Zeitung“ ist er schlicht „einer der besten Geiger der Welt“.
Seit er 2006 den Internationalen Violinwettbewerb in Indianapolis gewonnen hat, zeigte Augustin Hadelichs Karriereweg steil nach oben. Bereits zwei Jahre zuvor war er nach New York übersiedelt, um an der Juilliard School bei Joel Smirnoff zu studieren. Er sprang für die Geiger Julian Rachlin beim Los Angeles Philharmonic und Nikolaj Szeps-Znaider beim New York Philharmonic ein und eroberte in der Folgezeit die Konzertsäle Nordamerikas. „In Europa dauerte es etwa fünf bis sechs Jahre länger. Dort hat man die amerikanische Musikszene nicht überall im Blick. Es war also nicht einfach, aber zum Glück nahmen mich die Dirigenten und Dirigentinnen, mit denen ich in Amerika spielte, nach Europa mit“, berichtet er. „Rückblickend bin ich eigentlich ganz froh, dass ich meine großen europäischen Debüts, zum Beispiel mit den Wiener Philharmonikern oder den Berliner Philharmonikern, nicht zu früh gespielt habe.“
Im Dezember ist er an zwei Abenden im Musikverein zu erleben: Unter der Leitung von Cristian Măcelaru führt er mit den Wiener Symphonikern das Violinkonzert von Tschaikowskij auf. Das Stück ist Kernrepertoire, aber wenn Hadelich darüber spricht, wird eine Entdeckungsreise daraus. „Viele Menschen denken bei Tschaikowskij vor allem an Tragik. Aber das Violinkonzert ist voller glücklichem Überschwang, voller Leidenschaft! Ich liebe besonders das zweite Thema im ersten Satz. Es besteht aus lauter Vorhalten. Man fühlt immer wieder diesen kleinen Schmerz, bevor der Vorhalt sich auflöst. Tschaikowskij ist ein Meister darin, lange Entwicklungsbögen aufzubauen.“
Die Liste berühmter Dirigenten, mit denen er musiziert hat, ist beeindruckend. Doch ihm geht es nicht um große Namen, sondern um die Qualität des Zusammenspiels: „Wir wollen doch das Gleiche erreichen wie in der Kammermusik. Dirigenten mit viel Erfahrung ahnen voraus, was man als Nächstes tut, wie man phrasieren wird. Das ist etwas ganz anderes, als wenn jemand dem Solisten einfach nur folgt. Im Idealfall reagieren beide aufeinander, Solist und Orchester, und was die Solostimme ausdrückt, ergibt sich aus dem, was sich im Orchester an Charakter- und Farbwechseln ereignet.“
Auch wenn Augustin Hadelichs Interpretationen klingen, als würden sie ihm im Moment eingegeben, ist die scheinbare Leichtigkeit seines Spiels die Frucht selbstkritischer Reflexion, jahrelanger und immer neuer Arbeit. Musikalische Gestaltung verlangt unendlich viele Entscheidungen im Detail: Wie variiert man das Vibrato innerhalb einer Phrase? An welcher Stelle soll der Bogen auf der Saite aufliegen? Wann spielt man legato, verbindet also die Töne unter einem Bogen nahtlos? Wann dagegen ist es sinnvoll, portato zu verwenden? Bei dieser Spielweise erklingen mehrere Töne unter demselben Bogen, werden aber leicht voneinander abgesetzt. „Ich liebe portato. Es bewirkt, dass eine Stelle mehr spricht und dadurch ausdrucksstärker wird“, sagt Hadelich. „Man muss es aber gut dosieren, damit sich dieser Effekt nicht abnutzt.“
„Viele Menschen denken bei Tschaikowskij vor allem an Tragik. Aber das Volinkonzert ist voller glücklichem Überschwang, voller Leidenschaft!“
Augustin Hadelich
Stets den eigenen Kopf zu benutzen hat er von Lehrern wie Norbert Brainin gelernt, dem Primarius des Amadeus Quartet, bei dem er als Kind Unterricht bekam. „Er konnte es nicht ausstehen, wenn man nur um der Wirkung willen etwas tat, das aber gar nicht aus der Musik selbst folgte. Er verlangte nicht, dass man ein crescendo einfach spielte, weil es in den Noten stand. Seine Auffassung war, man muss verstehen, warum das crescendo dasteht, wie es sich aus dem Gesamtgeschehen ergibt. Dafür muss man natürlich in die Partitur schauen. Sich an die Geigenstimme zu halten reicht nicht aus.“
2021 trat Augustin Hadelich eine Professur an der Yale School of Music an. Wie gern er sein Wissen weitergibt und Studierende auf ihrem Weg unterstützt, davon zeugt der Youtube-Kanal „Ask Augustin“, den er während der Corona-Pandemie aufgebaut hat. In mehr als fünfzig Kurzvideos geht er auf Aspekte des Geigenspiels ein. Hinreißend und entwaffnend ehrlich ist die Unterrichtsstunde, die er sich selbst anhand eines alten Konzertmitschnitts erteilt: Als Dreizehnjähriger spielte er mit einem italienischen Orchester das Violinkonzert von Sibelius. Das war natürlich eine beachtliche Leistung, aber genauso natürlich ist es, dass der gereifte Musiker so manche Anmerkung dazu hat.
Geboren und aufgewachsen als Sohn deutscher Eltern in der Toskana, ist Augustin Hadelich nie Teil des durchstrukturierten bundesdeutschen Musik-Ausbildungssystems gewesen. Sein erster Lehrer war sein Vater, und der war kein ausgebildeter Musiker, sondern Landwirt. „Aber er hat vieles erstaunlich richtig gemacht, was die Grundlagen betrifft.“ Die Geige hatte sich der hochbegabte kleine Junge nicht ausgesucht. Sein älterer Bruder spielte Cello, dieser Ton hat sein kindliches Hören geprägt. Und weil er auch Musik machen wollte, bekam er ein Instrument in die Hand gedrückt, das er gar nicht kannte. „Ich habe mich erst mal gewundert, warum es am Anfang so schlecht klang. Als ich dann gute Geiger spielen hörte, wusste ich, dass die Geige das beste Instrument ist! Es kann aber schon sein, dass ich schon immer einen Geigenton gesucht habe, der etwas mehr von der Wärme des Celloklangs hat.“
Viele hervorragende Geigen hat Augustin Hadelich schon gespielt, auch von Stradivari. Nun scheint er seine ideale Partnerin gefunden zu haben: Seit fünf Jahren stellt ihm der Tarisio Trust die Guarneri del Gesù „Leduc“ von 1744 zur Verfügung, die einst dem großen Geiger Henryk Szeryng gehörte. „An sie kommt so schnell keine andere Geige ran“, schwärmt er, „ich liebe sie über alles!“
Rund 300 Tage im Jahr ist er mit ihr unterwegs. „Ich brauche das, auf der Bühne zu stehen“, erzählt er. „Wenn ich mehr als eine Woche kein Konzert hatte, dann spüre ich so ein Kribbeln.“ Noch ein weiteres Mal gastiert er in der laufenden Saison im Musikverein. Im April 2025 spielt er mit dem Dirigenten Christian Thielemann, dem Cellisten Gautier Capuçon und den Wiener Philharmonikern das Doppelkonzert von Brahms. Der Auftritt wird Gipfeltreffen und Debüt in einem sein, denn mit Thielemann wird Hadelich zum ersten Mal konzertieren. „Es ist für mich in jeder Hinsicht eine Traumbesetzung.“
Donnerstag, 19. Dezember 2024
Freitag, 20. Dezember 2024
Wiener Symphoniker
Cristian Măcelaru | Dirigent
Augustin Hadelich | Violine
George Enescu
Rumänische Rhapsodie Nr. 1 A-Dur, op. 11
Peter Iljitsch Tschaikowskij
Konzert für Violine und Orchester D-Dur, op. 35
Antonín Dvořák
Symphonie Nr. 6 D-Dur, op. 60