Bergleute auf Gipfelhöhen: Mahler und Strauss mit Jonas Kaufmann, Diana Damrau und Helmut Deutsch
Von Joachim Reiber
31.03.2025
Wer war nun der „Schlimmere“ von beiden? Strauss oder Mahler? Johannes Brahms war sich da nicht so sicher. Als Richard Strauss mit „Till Eulenspiegels lustigen Streichen“ herausrückte, stand für ihn fest: „Wenn das noch Musik sein soll, gebe ich mein Geschäft auf.“ Dann war da aber noch Gustav Mahler mit seiner Symphonie Numero zwei. „Bis jetzt glaubte ich, daß Richard Strauss das Haupt der Umstürzler sei“, so Brahms in Anbetracht der „Auferstehungssymphonie“, „nun aber sehe ich, daß Mahler der König der Revolutionäre ist.“
Bei allem Respekt vor Brahms – die beiden Jungen durften sich das als Ehrentitel anrechnen. Umstürzler, Revolutionäre, was auch immer – Mahler und Strauss waren die herausforderndsten Neutöner an der Schwelle zum 20. Jahrhundert. Was sie einte, trennte sie auch. Sie waren Kombattanten und Konkurrenten, Rivalen, Kollegen und Freunde. Jeder dieser Begriffe passte für ihre Beziehung. Mahler fand in einem Brief die schönstmögliche Formulierung: „Schopenhauer gebraucht irgendwo das Bild zweier Bergleute, die von entgegengesetzten Seiten in einen Schacht hineingraben und sich dann auf ihrem unterirdischen Wege begegnen. So kommt mir mein Verhältnis zu Strauss treffend bezeichnet vor.“ Strauss wieder durfte zu Mahlers 50. Geburtstag mit gutem Recht behaupten, dass es ihm als „einem der ersten vergönnt war, für seine sinfonischen Schöpfungen vor der Öffentlichkeit einzutreten“.
Sie haben tatsächlich stets viel füreinander getan: Strauss für Mahler, Mahler für Strauss. Und doch konnte nicht alles eitel Wonne zwischen ihnen sein – dazu waren sie ihrem Wesen nach viel zu unterschiedlich. Ja, und dann gab es noch Dritte, die ihren eigenen Blick auf das Männer-Duo hatten: die Strauss-Gattin Pauline de Ahna und, wie immer unvermeidlich, Gustav Mahlers Alma.
Was also könnte reizvoller sein, als die beiden auch in einem Konzertprogramm aufeinandertreffen zu lassen. Jonas Kaufmann, Diana Damrau und Helmut Deutsch haben genau dies vor. Dem Dialogischen im Liedgesang gewannen sie zuletzt schon die herrlichsten Facetten ab – zuerst mit Hugo Wolfs „Italienischem Liederbuch“, dann mit einem Brahms-Schumann-Projekt, das nach einer großen internationalen Tournee seinen krönenden Abschluss im Musikverein fand und dort auch in Bild und Ton festgehalten wurde. Nun also: Mahler und Strauss, eine aparte Paarung, auch ganz speziell im Reich der Lieder. „Ich finde es besonders spannend zu sehen“, sagt Jonas Kaufmann, „wie Komponisten, die so extrem expansiv geschrieben haben – wie Strauss in seinen Opern und Mahler in seinen Symphonien –, auf minimalistischem Raum eine ähnliche Faszination und einen ähnlichen Farbenreichtum erzeugen können, und das, obwohl es sich nur um ein Instrument und eine Stimme handelt. In dieser Hinsicht finde ich das Gegenüber dieser Gleichgesinnten schon einzigartig.“
Das Spiel mit den Farben ist auch für den Liedpianisten Helmut Deutsch ein besonderer Reiz – bei Mahler ganz offenkundig, hat er doch viele seiner Lieder auch in Orchesterfassungen vorgelegt, das Orchestrale gleich mitgedacht oder das Liedhafte in seinen Symphonien weitergetragen. „Zu wissen, diese Passage hier ist in der Instrumentalversion ein Harfenpizzicato, das hier ein Englischhornsolo – allein dieses Wissen beflügelt die Klangfantasie. Oder denken Sie an das Violinsolo in der Orchesterfassung von Strauss’ ,Morgen‘. Da können wir am Klavier nur bluffen“, erklärt Deutsch mit dem Lächeln des souveränen Meisters, setzt sich spontan an den Flügel in seinem Studio und demonstriert, dass ein Legato am Klavier immer nur auf Suggestion beruht. Die herzustellen ist die schönste Herausforderung, gerade bei so klangsinnlichen Komponisten wie Strauss und Mahler. „Der eine, Mahler, war, wie wir wissen, ein fantastischer Korrepetitor und Einstudierer – man möchte dabei gewesen sein, wie er mit einer Anna Mildenburg eine Wagner-Partie erarbeitet hat. Der andere, Strauss, war selbst ein ganz hervorragender Pianist, der bei den Liederabenden mit seiner Frau Pauline ja auch selbst am Flügel saß – das merkt man bei den Klavierparts seiner Lieder, und natürlich: Er wusste, wie man Effekte erzielt. Und manches“, sagt Deutsch, „klingt sogar schwerer, als es ist“, steht auf, geht wieder zum Klavier und spielt mit bewunderndem Behagen die gleißenden 32tel-Arpeggien des „Wiegenlieds“: „Alles Dreiklangszerlegungen!“

So gibt es für alle drei spannende Wiederbegegnungen, die in dieser Konstellation auch Neuentdeckungen sein können – auch natürlich für Diana Damrau, die mit Mahler so innig vertraut ist wie mit Strauss. Schon bei ihrem Debüt im Musikverein 2005 standen beide Komponistennamen auf dem Programm, unter Kirill Petrenko war sie mit Strauss’ „Vier letzten Liedern“ im Großen Musikvereinssaal zu hören, mit Mariss Jansons hat sie dieses Glanzstück aller Sopranistinnen auch auf CD festgehalten, und jetzt erst, vor wenigen Wochen, fügte sie ihrem Strauss-Repertoire auch die „Rosenkavalier“-Marschallin hinzu. Im Bayerischen geboren und aufgewachsen, geadelt zur Bayerischen Kammersängerin, hat Diana Damrau schon von Haus aus ein Naheverhältnis zu Strauss.
Das gilt auch für Jonas Kaufmann: „Als gebürtiger Münchner bin ich natürlich schon früh mit der Musik von Richard Strauss in Berührung gekommen, auch weil es in meiner Familie ausgesprochene Strauss-Fans gab. Die erste echte aktive Begegnung mit ihm fand dann an der Münchner Musikhochschule statt, in der Liedklasse von Helmut Deutsch. Von München aus, daran erinnere ich mich gern, sind wir dann auch einmal nach Garmisch gepilgert – zu einer Masterclass beim legendären Hans Hotter, nur für Richard-Strauss-Lieder. Und so habe ich über die Jahre diese erste große Liebe erhalten und finde immer wieder großen Gefallen an diesen Kleinoden, die in wenigen Minuten eine ganze Welt entfalten.“
Die Dialogform wird in diesem fein komponierten Programm variantenreich gepflegt. Bei Strauss im ständigen Wechsel zwischen Jonas Kaufmann und Diana Damrau, das verspricht ein Funken und Funkeln im Hin und Her – Lieder sind eben mehr, als dass einer, zitieren wir Goethe, „solo irgendein lamentables Grablied oder jammervolles Bedauern verlorener Liebe singt“. Bei Mahler wieder teilen sich die beiden größere Einheiten: Diana Damrau taucht ein in die Wunderhorn-Welt, die Gustav Mahler so wunderherrlich erschlossen hat, Jonas Kaufmann singt vier der Rückert-Lieder, deren poetische Weite und melancholische Tiefe er ganz besonders mag. „Ich bin der Welt abhanden gekommen“, mit diesem Lied schließt dieser Block – fraglos, wie heute alle Musikliebenden bekennen werden, eines der schönsten, genialsten Lieder überhaupt. Helmut Deutsch erzählt, wie er es für sich entdeckt hat.
In seinem Studium, Mitte der 1960er Jahre an der Wiener Musikhochschule, kam Mahler bezeichnenderweise noch nicht vor – Deutsch war gerade einmal 22, als er seine Studien in Komposition, Dirigieren und Klavier (Kammermusik und Lied) abschloss, allesamt mit Auszeichnung. Wolfgang Schneiderhan engagierte ihn, um mit ihm das Berg-Violinkonzert einzustudieren. In der Villa Schneiderhan-Seefried konnte es nicht ausbleiben, dass auch die Frau des Hauses auf den jungen Mann am Klavier aufmerksam wurde. Als Liedsängerin war Irmgard Seefried damals bei Erik Werba in festen Händen, aber fern von den Metropolen, im holländischen Eindhoven, konnte sie sich die Freiheit nehmen, einen ersten Abend mit Helmut Deutsch zu geben. Auf dem Programm auch Lieder von Mahler. „Ich bin zum Doblinger gelaufen, um mir die Noten zu kaufen“, erinnert sich Deutsch, „und dann war es einfach ein unfassbares Glück, auf dieses Lied zu stoßen. Sofort musste ich meinen Freund Thomas Kakuska anrufen, den späteren Bratschisten des Alban Berg Quartetts: ,Thomas, komm her, ich muss dir was vorspielen.‘ Kakuska kam und hörte – und verbarg seine Rührung nur mühsam hinter einem fachlich-flapsigen: ,Lauter Appoggiaturen!‘“
„Liebst du um Schönheit, o nicht mich liebe“: Gustav Mahler adressierte dieses Rückert-Lied bekanntlich an Alma, seine Angebetete, die sein Erbe dann mit zweifelhaftem Animo vertrat. Ihr Buch „Gustav Mahler. Erinnerungen und Briefe“ nützte sie auch dazu, Richard Strauss, den „Rivalen“, als prosaischen Geschäftemacher herunterzumachen. Strauss fand das 1940 erschienene Buch in der Bibliothek eines Schweizer Freundes und konnte nicht umhin, seinem Ärger in persönlichen Glossen Luft zu machen. „Alles nicht wahr“, schrieb er an den Rand, oder: „Völlig unglaubhaft! Jedenfalls ganz erlogen.“ Doch das ist eine eigene Geschichte …
Wahr ist, dass Richard Strauss dem sterbenskranken Gustav Mahler 1911 noch einen Brief schickte. „Lieber Freund!“, teilte er ihm mit: „Vielleicht macht es Ihnen in den trübseligen Stunden der Reconvaleszenz einiges Vergnügen, wenn ich Ihnen mitteile, daß ich nächsten Winter, wahrscheinlich Anfang Dezember mit der k. Kapelle in Berlin aufführen werde: Ihre III. Sinfonie. Wenn Sie Lust haben, selbst zu dirigieren (…), wird es ein Genuß sein, Ihr schönes Werk wieder unter Ihrer eigenen Leitung zu hören, so gern ich es natürlich auch selbst dirigiere. Vorstudieren würde ich Ihnen natürlich auf jeden Fall, so daß Sie keine Mühe haben, sondern nur Freude empfinden werden.“ Wenige Tage später kam die Nachricht von seinem Tod. „Gustav Mahler nach schwerer Krankheit (…) verschieden“, schrieb Strauss in sein Tagebuch. „Der Tod dieses hochstrebenden, idealen und energischen Künstlers ein schwerer Verlust.“
Freitag, 4. April 2025
Diana Damrau | Sopran
Jonas Kaufmann | Tenor
Helmut Deutsch | Klavier
Lieder von Gustav Mahler und Richard Strauss