Im Jetzt konzertieren: Patricia Kopatchinskaja

© Marco Borggreve
Unkonventionelle Interpretationen und ihre Fähigkeit, Musik lebendig und gegenwärtig zu machen – das ist das Markenzeichen von Patricia Kopatchinskaja, die 2024 mit dem Österreichischen Kunstpreis in der Sparte Musik ausgezeichnet wurde. Nun gastiert die facettenreiche Künstlerin im Musikverein mit Bergs Violinkonzert.

Von Ursula Magnes

26.05.2025

Ein Blick zurück ins Programmarchiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien: Bei ihrem letzten Auftritt musizierte Patricia Kopatchinskaja als Draufgabe unter anderem das Stück „Crin“ ihres Wiener Studienkollegen Jorge Sánchez-Chiong. Die Studienzeit in Wien, das ist die Zeit nach der Flucht ihrer Eltern aus Moldawien. Der Komponist hat ganz einfach ihr Wesen komponiert. Ein Stück, das sie immer versteht, wie sie sagt. Sie muss es einfach spielen, und da ist es dann. „Es sagt vieles, und doch ist es Nonsens.“ Patricia Kopatchinskaja ist eine, die volles Risiko nimmt und dabei aus Überzeugung an Grenzen stößt, dort anklopft, wo es möglicherweise hohl sein könnte. Und wenn es hohl ist, ist es auch gut. Die Reise geht weiter.
Sie bewegt sich spielerisch zwischen den musikalischen Welten und kombiniert auf natürliche Art und Weise Zeitgenössisches mit allem, was gerade in ihren künstlerischen Projekten einen für sie interessanten Faden aufnimmt. In der Tat zeitgenössisch, weil sie das Leben um sie herum unmittelbar in ihr Spiel aufnimmt. Auf der Bühne dann, barfuß bisweilen, weil erst eine tiefe Verwurzelung im Hier und Jetzt das künstlerisch-menschliche Fliegen erlaubt. Das macht sie zur gefragten Vielseitigen in ihren zahlreichen Projekten weltweit. Beispielsweise als Performerin in Arnold Schönbergs „Pierrot Lunaire“, in den inszenierten „Kafka-Fragmenten“ von György Kurtág. Im scheinbar bekannten, allerorts gespielten Repertoire lotet sie Grenzen aus. „Kratzt“, im doppelten Wortsinn, mit Leidenschaft das für sie Essenzielle aus Ludwig van Beethovens Violinmusik. Sucht mit ihren ebenso neugierigen Partnern auf Augenhöhe das, was darüber hinausgeht. Und das klingt eben nicht immer so, wie man es erwarten würde; aber das ist für sie ohnedies langweilig und damit uninteressant. Wer will sich wiederholen, wenn es Neues gibt?
2024 erhielt Patricia Kopatchinskaja in der Sparte Musik den Österreichischen Kunstpreis, aktuell sitzt sie für die Alban Berg Stiftung in der Jury für ein neues Violinkonzert. „Ich empfinde große Nostalgie in dieser Stadt. Und Dankbarkeit.“ Von Wien aus hat sich Patricia Kopatchinskaja im internationalen Konzertbetrieb etabliert, als jemand, der voller Neugier unter die Bettdecke des ewig gleichen Repertoires schaut. Neues programmiert. Sie ist eine Inspirationsquelle für so viele um sie herum. Das Leben selbst spielt die Musik. Jeder Augenblick lässt Neues, anderes frei. Wer nicht gesehen hat, wie sie mit Heinz Holliger im Projekt „Take two“ musiziert, während ihre Tochter ihr Gesicht bemalt, hat diese Chance nach wie vor über eine filmische Dokumentation. So hat man Zeitgenössisches selten erlebt. Es befindet sich auf der Lauer. Pures Vergnügen für die, die sich darauf einlassen: Emotion und polyglotte Herzensbildung wirbeln aus den Notenblättern. „Ohne Bewegung erstarre ich.“ Ein innerer Motor treibt sie an, denn ihre Musiksprache ist, vor allem seitdem sie auch komponiert, noch stärker geworden.
Ebenso stark und berührend zeigt sich Patricia Kopatchinskaja, wenn sie das moldawische Volkslied „Cucuşor cu pană sură“ am Beginn der Konzertinszenierung „Im Namen des Friedens“ in sich ruhend auf einer Leiter sitzend singt. „Es gibt viele Varianten davon, aber was ich da gesungen habe, war über einen Soldaten, der durch den Wald geht und plötzlich den Kuckuck hört. Da fragt er ihn, wieso er so traurig singt – ob ihn der Wald betrübt oder er den Tod spürt und ihm die verbliebenen Lebenstage abzählt. Er solle doch seiner Geliebten ausrichten, dass er bald aus dem Krieg zurückkehrt.“ Patricia Kopatchinskaja nimmt eben auch singend Stellung zur Welt, aus der sie kommt und die sie in ihren Projekten umgibt. Sie vermag es, Geschichten zu erzählen, zu improvisieren – eine Partitur ist dafür nicht zwingend notwendig. Das unterscheidet sie von anderen Geigerinnen.

© Marco Borggreve

Auch in Alban Bergs Violinkonzert steckt ein Lied. Das Kärntnerlied „A Vögele af’n Zwetschgn-Bam“ sowie ein Bach-Choral und so viel mehr. Mit ihrer Erfahrung als „Uraufführerin“ Neuer Musik, mit ihrem eigenen Violinkonzert „Hortus animae“ bündeln sich auch hier in ihrer Interpretation Emotion und Intellekt, denn „Berg baut zuerst einen Raum, dann die Figuren und Emotionen dazu. Der Hörer muss aber bei allen drei die Ohren bis in das Maximale spitzen.“ Umgelegt auf das Konzerterlebnis bedeutet das für das Publikum eine spannende Herausforderung. Jeder kann und darf mit dem eigenen Erleben im Konzert eine ganz persönliche Aufmerksamkeits-Kathedrale errichten – sprich einfach in sich ruhend zuhören. Sich in Achtsamkeit erstrecken. Schwer genug, diese mit rund 2000 Menschen in einem ausverkauften Konzertsaal zu teilen. Patricia Kopatchinskaja fordert damit sich und uns. Auch wenn eine Ikone auf dem Programm steht: Alban Bergs Violinkonzert.
Es ist dies eine Energie, die sie von der Bühne aus in all ihrer Lebendigkeit anbietet: „Es ist wie ein Buch, in dem man immer wieder gerne blättert und die Sätze draus zitiert, es bleibt auf ewig in einem. Ich dachte schon immer, dass es sich nicht nur um die Manon, die Tochter von Alma Mahler und Walter Gropius, handelt. Das Requiem hat mehrere Abgründe. Das Kärntnerlied steht da sehr kurios mittendrin. Es könnte wohl eine Andeutung auf Alban Bergs uneheliche Tochter Albina sein. Er konnte sie nicht großziehen, konnte nicht Vater sein. Das muss weh getan haben. Denn die ‚Miazi‘, in deren Bett er fast verschlafen hätte und die Vögele im Zwetschgn-Bam ihn geweckt haben – diese Miazi könnte die Maria sein, die Mutter dieses Kindes. Und so bekommt das Konzert für mich eine neue Dimension. An wen denkt man vor dem (auch nur geahnten) Tod – an all die, die man liebt. Er könnte gespürt haben, dass es ihn nicht mehr lange gibt. Mit all diesen geheimen Räumen kann man vieles machen, zumindest in der Fantasie – so bekommt der Moment der Aufführung mehrere Schatten- und Zwischenzeilen.“
Patricia Kopatchinskaja ist auch dabei, eine neue Oper zu komponieren. Sie heißt „Bad News“ und dreht sich um Cassandra und ihre Nachkommen im Heute. Sie trifft damit mitten in den kranken Nabel unserer Welt, die als Reality-Show vermarktet wird. Den ersten Akt schreibt Agata Zubel, den zweiten Patricia Kopatchinskaja und den dritten beide zusammen. „Ich glaube, es ist das erste Mal in der Geschichte, dass zwei Frauen zusammen eine Oper schreiben.“
Ob und welche Zugabe Patricia Kopatchinskaja nach dem Violinkonzert von Alban Berg geben wird, entscheidet sich nach dem Applaus. Auf eines darf man sich freuen: Es wird Musik sein, die ins Leben hinausspielt.

Mittwoch, 28. Mai 2025

Orchestre Philharmonique de Radio France
Mirga Gražinytė-Tyla | Dirigentin
Patricia Kopatchinskaja | Violine

Lili Boulanger
D’un matin de printemps
Alban Berg
Konzert für Violine und Orchester
Joseph Haydn
Symphonie C-Dur, Hob. I:7, „Le Midi“
Richard Strauss
Tod und Verklärung. Tondichtung, op. 24

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