„Ich mag keine laute Schauspielerin sein“: Corinna Harfouch
Von Michaela Fleck
03.04.2025
Vor zweieinhalb Jahren waren Sie zuletzt im Musikverein zu Gast. Wie wird der Abend im April: laut oder leise?
Da bin ich selbst gespannt!
Um die „eine Frau“, mit der Sie kommen, war es zumindest 2022 noch recht laut, als sie den Literaturnobelpreis erhielt: Annie Ernaux. Weshalb sollte man sie lesen oder hören?
Dieses Buch, Annie Ernauxs „Eine Frau“ aus dem Jahr 2021, habe ich während einer Zugfahrt fast ausgelesen. Später habe ich es dann auch als Hörbuch eingelesen. Ich mochte die Beschreibung des Milieus und der Beziehung zwischen Mutter und Tochter sehr gern. Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern bleibt ja niemals gleich, und diese Dynamik gestaltet Ernaux. Ich kenne das selbst, ich hab’ einen fast 101-jährigen Vater.
Und wie ist das mit dem Hören?
Es gibt unendlich viele Menschen, die sich gern vorlesen lassen und Hörbücher lieben. Für mich ist es fast schöner, wenn man gemeinsam in einem Saal sitzt. Und dann hoffentlich eintaucht, in eine andere Welt.
Der Saal ist in diesem Fall der Gläserne Saal – einer, der einem auf der Bühne wie im Publikum nahekommt. Was macht der Ort mit dem Lesen? Was macht das Lesen oder das Spielen mit dem Ort?
Es gibt Orte, da tritt man ein und sagt: Danke! So einer ist der Gläserne Saal.
Und an diesem Ort lesen Sie. Mit Tisch und Sessel und Stehlampe?
Ich stehe meistens hinterm Mikrophon. Ich mag’s mir nicht bequem machen. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass ich nicht lese, sondern spiele. Es findet alles auf dem kleinen Raum zwischen mir und dem Mikrophon statt.
Neben Ihnen und dem Mikrophon gibt es noch ein Klavier und Erik Satie – gespielt von Pianistin Hideyo Harada, mit der Sie schon zweimal im Musikverein aufgetreten sind. Wie passt Satie zu Ernaux? Und wie passt Frau Harada zu Frau Harfouch?
Hideyo Harada ist eine gute, langjährige Freundin. Wir arbeiten immer sehr gründlich an unseren Programmen. Mir ist es wichtig, dass der heutige Zuhörer etwas versteht. Bei Annie Ernaux gibt es besondere Herausforderungen. Es darf nicht zu gefühlig werden, es muss Distanz und Respekt haben. Das ist ein schmaler Grat.

„Die Stimme ist kein Einzelorgan. Man ist doch keine Stimme, sondern ein ganzer Mensch, der spricht!“
Corinna Harfouch
Sie möchten es sich nicht bequem machen, haben Sie vorhin gesagt. Aber bequem haben Sie es sich ohnehin nie gemacht, weder auf der Bühne noch vor der Kamera. Lag das an Ihren Rollen, oder lag das an Ihnen?
Auf der Bühne zu stehen ist so ein Privileg. Jegliche Schlamperei auf der Bühne finde ich ganz schlimm! Das hat auch mit der Scham zu tun, die es immer wieder gibt. Und ich bin durch verschiedene große Regisseurinnen und Regisseure auch so erzogen worden. Unter den Regisseuren sind mir die am liebsten, die sagen: Nicht so viel diskutieren, lieber spielen. Das kann man auch vor dem Mikrophon umsetzen. Und wenn ich dann ein ganz klares Erlebnis habe, diese Art von Flow, dann ist es meistens so, dass sich das auf das Publikum überträgt.
Wie wichtig ist dabei die Stimme?
Die Stimme ist kein Einzelorgan. Man ist doch keine Stimme, sondern ein ganzer Mensch, der spricht! Und der mit seinem ganzen Wesen spielt. Die Stimme hilft dabei, ist ein Teil davon. Und wenn die angenehm ist, hat man Glück gehabt.
Haben Sie auch beim Spielen Glück gehabt? Sie hätten ja genauso gut, wie Ihre Eltern, Lehrerin werden oder, Ihrer Ausbildung entsprechend, Krankenschwester bleiben können.
Das musste so sein. Ich kann mir gar nichts anderes vorstellen. Aber das Spielen ist mir nicht in die Wiege gelegt. Es hätte auch schief gehen können. Und ich bin ja immer auch Krankenschwester, in meinem Wesen! (lacht) Ob ich meinen Kindern – oder jetzt meinen Enkeln – was vorlese, ob ich im Altersheim oder im Kindergarten bin: Es geht darum, dass man etwas mit Fantasie erreicht, dass man etwas durchdringt und dass etwas passiert, mit dem Raum und mit den Menschen.
Kann das, soll das, muss das auch lustig sein? Und darf das auch laut sein?
Ich mag nicht die Ulknudel oder die laute Schauspielerin in der Straßenbahn sein. Aber ich bin froh, dass es in meiner Familie Sinn für Humor gibt. Und ich glaube, meine Art zu denken und die Welt zu begreifen hat mit dem Spielen zu tun. Auch mein Haus hier in Brandenburg, wo ich gerade bin, habe ich ausgebaut, indem ich gespielt habe, dass ich ein Haus ausbaue. Alles ist ein Spiel!
Gespielt haben Sie viel – im Theater, im Fernsehen, im Kino. Wer fehlt noch, was kommt noch?
Ich hab’ jetzt bald Premiere mit meinem nächsten Kinofilm, „Kundschafter des Friedens“, mit Henry Hübchen und Katharina Thalbach. Als Nächstes dreh’ ich meinen letzten „Tatort“. Dann mach’ ich einen sehr schönen, kleinen Film in München. Und dann mach’ ich mal wieder für ein Dreivierteljahr Theater.
Ich will, wie ein Kind, das Bauklötze hat und auch mal was macht, was nicht in der Gebrauchsanleitung steht, immer etwas Neues bauen. Ich hab’ unglaubliches Glück, dass ich so viel machen darf. Das ist schon ziemlich exquisit. Und dann muss man’s auch ergreifen, das Glück.
Theater machen Sie seit ein paar Jahren auch im Dorf, in Klandorf in Brandenburg, nördlich von Berlin, im ehemaligen Dorfwirtshaus.
Das ist der ehemalige Tanzsaal des Dorfes, der wird von uns schon seit sechs Jahren bespielt. Wir haben hier schon Ethel Smyth und Virginia Woolf gespielt, wir hatten gerade eine kleine Show mit Anke Engelke, wir machen auch Disko. Und wir haben eine Theatergruppe mit Leuten aus dem Dorf gegründet.
In der Disko wird’s wohl manchmal auch lauter … In der Politik ist es – längst nicht nur in Deutschland – schon seit einiger Zeit recht laut, in der Kultur auch. Muss die Kultur heutzutage schreien, damit sie gehört wird? Muss sie auf die Straße gehen, damit sie gefördert wird? Und wie geht’s mit der Kultur weiter – im Kleinen oder im Großen?
Ich finde dieses Gejammere furchtbar. Und ich hab’ schon die ganze Zeit gesagt: Hört auf, Theater in Kästen zu machen! Es wird immer so sein, dass wir spielen – und dass wir uns spiegeln. Vielleicht wird es Zeit, dass wir wieder Gaukler werden, die auf der Straße spielen.
Samstag, 5. April 2025
Corinna Harfouch | Lesung
Hideyo Harada | Klavier
Annie Ernaux
Eine Frau
Klaviermusik von Erik Satie