Haltung und Watschen: Das Musikverein Festival: Courage!

© Fons Hickmann M23
Eine Riege großer Stars und bedeutender Orchester bringt sich von 4. Mai bis 14. Juni beim diesjährigen Musikverein Festival ein. Die Musik stammt von Komponist:innen, die in ihrem Leben und Werk Haltung bewiesen haben – von Ludwig van Beethoven bis Galina Ustwolskaja und Sofia Gubaidulina.

Von Walter Weidringer

19.04.2024

„Glaubt Er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?“ So soll Ludwig van Beethoven einst gewettert haben, als Ignaz Schuppanzigh über damals kaum bewältigbare technische Schwierigkeiten in den Streichquartetten des Freundes klagte. Kunst kommt eben nicht vom Kümmern – manchmal ganz im Gegenteil. Ja sie kommt nicht einmal vom Können, wie Arnold Schönberg später erklären sollte, „sondern vom Müssen“. Am 31. März 1913 sollte dieses Müssen, also die innere Notwendigkeit des schöpferischen Handelns, zu einem Skandal im Wiener Musikverein führen. Unter Schönbergs Leitung will der Wiener Concert-Verein, der Vorläufer der Wiener Symphoniker, Werke von Schönberg selbst, Alexander Zemlinsky, Anton Webern und Alban Berg aufführen. Doch der Kampf zwischen Pfiffen, Zischen, Applaus und Jubelrufen führt, trotz oder gerade wegen Schönbergs Ordnungsrufen, zu Duellforderungen und Prügeleien: Die Streithanseln sind nur noch durch das Löschen des Saallichts zur Räson zu bringen – und treffen sich vor Gericht wieder …

Dieses legendäre „Watschenkonzert“ ist Dreh- und Angelpunkt des Musikverein Festivals „Courage!“, das die Haltung feiert, die Schönberg und Co gezeigt haben. Ein Originalplakat dieses Konzerts, das in den reichen Sammlungen der Gesellschaft der Musikfreunde aufbewahrt wird, ist das graphische Symbol des Veranstaltungsreigens. Das eigene künstlerische Müssen zu erkennen und in die Tat umzusetzen, es gegen Widerstände von Publikum und Kritik zu verwirklichen, von akademischer Seite wie von den Ausführenden: Dazu braucht es Mumm. Die Komponisten des einstigen Skandalabends bilden einen Strang durch das Programm, in dem überhaupt ein Schönberg-Zyklus hervortritt: Das expressionistische Monodram „Erwartung“, die spätromantisch betörende „Verklärte Nacht“ sowie die beiden Kammersymphonien zählen dabei zu den Höhepunkten.

Der Frage nach der mutigen Haltung von Tonschöpfern und ihren Werken wird aber auch in näherer wie fernerer Musikgeschichte nachgegangen: Wer zeigte Courage in der Kunst mit kühnen Neuerungen, wer als Mensch in schlimmen Zeitläuften? Der schon zitierte Beethoven ist dabei nicht die erste, aber einer der prominentesten historischen Figuren. Den weltumspannenden Freuden- und Liebesbotschaften von Monumentalwerken wie der „Neunten“ und der „Missa solemnis“ notwendig voraus gehen explizit politisch aufgeladene Symphonien wie die auf Napoleon bezogene „Eroica“ und die „Fünfte“ mit ihrem Durchbruch zum Revolutionsfinale sowie auch die Schauspielmusik zu Goethes „Egmont“, deren Held im Freiheitskampf der Niederländer gegen das spanische Joch für seine Überzeugung in den Tod geht.

Das führt uns zu Musik in Zeiten von Diktatur, Krieg und allgemeiner Unmenschlichkeit. Zu den vielfältigen Opfern der Nazis, die von Glück reden konnten, wenn sie „nur“ um Stellung, Besitz und Heimat gebracht wurden, in unzähligen Fällen jedoch als Ermordete geendet haben. Paul Hindemith, von dem viele Werke im Zuge von Hitlers „Machtergreifung“ 1933 sogleich als „kulturbolschewistisch“ verboten wurden, konnte emigrieren – genau wie Béla Bartók, der in einem „Räuber- und Mördersystem“, wie er schrieb, nicht arbeiten konnte und wollte. Sich zu verbiegen und seiner künstlerisch-humanistischen Vision untreu zu werden, kam für ihn nicht in Frage. Keine Wahl hatten freilich jene Menschen, die in KZs inhaftiert wurden: Theresienstadt ist Synonym geblieben für ein reges Kulturleben unter schlimmsten Umständen, in der letzten Sammel- und Durchgangsstation auf dem Weg in den systematischen Massenmord. Und doch wählten Viktor Ullmann, Gideon Klein, Erwin Schulhoff und viele andere trotz unsäglicher Bedingungen die Menschlichkeit, sorgten für musikalische Gemeinschaftserlebnisse – und zeigten damit Haltung.

Grauen erregen konnte auch die Lage in der Sowjetunion: Dmitrij Schostakowitsch galt einerseits als internationaler Vorzeigekomponist, gerade während des Zweiten Weltkriegs und des Kampfes der Roten Armee gegen Hitler. Er musste sich jedoch andererseits mehrfach vom Stalin-Regime maßregeln lassen, bis hin zur drohenden Gefahr für Leib und Leben. Masken und doppelte Böden bestimmen deshalb Schostakowitschs Musik, in der die Anklage gegen das kommunistische Mördersystem verschlüsselt und doch spontan verständlich auftritt. Anhand von Werken seines lange vergessenen, knapp dem Terror entronnenen Freundes Mieczysław Weinberg sowie der unbeugsamen Komponistinnen Galina Ustwolskaja und Sofia Gubaidulina kommen noch mehr Facetten der Courage hinter dem Eisernen Vorhang zum Klingen.

Ihren radikalen Ansprüchen waren zuvor auch Anton Bruckner und Gustav Mahler treu geblieben: Die Fünfte Symphonie, sein „kontrapunktisches Meisterstück“, hat Bruckner nie in originaler Orchestergestalt hören können; Mahler hat in seiner „Dritten“, in Fortführung von Beethovens „Neunter“, „mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen“ wollen.

Haltung zeigt sich aber auch anderswo und ist heute nicht minder notwendig: Ein Grund mehr, den Jüngsten nicht nur Schönbergs Märchen „Die Prinzessin“ zu erzählen, sondern auch die humorvoll-kritische Frage nach Heldinnen und Helden von einst und jetzt zu stellen: Courage!

© Wolf-Dieter Grabner

Interpret:innen des Festivals

Der Ton macht die Musik – und die Musik, interpretiert von herausragenden Künstler:innen, ein Festival. Beim diesjährigen Musikverein Festival tritt die Crème de la Crème der Musikwelt auf. Das Spektrum reicht vom jüngsten unter den Stars, Klaus Mäkelä, bis zum Grandseigneur Riccardo Muti. Im besten Sinne aufregende Konzerte versprechen Klangkörper wie die Wiener Philharmoniker, die Wiener Symphoniker, das ORF RSO Wien, der Concentus Musicus Wien, das Orchester Wiener Akademie, der Wiener Concert-Verein, das Black Page Orchestra und das Ensemble Kontrapunkte. Zu den Gastorchestern zählen das Concertgebouworkest, die Sächsische Staatskapelle Dresden und das Orchestra Giovanile Luigi Cherubini unter Riccardo Muti. Weitere prägende Künstler:innen des Festivals sind Karina Canellakis, Renaud Capuçon, Julia Hagen, Lang Lang, Igor Levit, Joana Mallwitz, Andris Nelsons, Camilla Nylund, Sir András Schiff, Christian Thielemann und Yuja Wang.

Eine Übersicht aller Konzerte finden Sie auf musikverein.at/courage

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