Einfach klassisch: Patrick Hahn

© Uwe Schinkel
Mit 29 Jahren hat der österreichische Dirigent Patrick Hahn schon mehr erreicht als manch andere in einer gesamten Karriere. Zwischen Glinka und Tschaikowskij stellt der vielfältige Senkrechtstarter am Pult der Wiener Symphoniker und mit dem Solisten Kian Soltani ein neues Violoncellokonzert von Marcus Nigsch vor.

Von Stefan Musil

29.12.2024

Manchmal geht Patrick Hahn gerne Tauben vergiften im Park – natürlich mit Georg Kreisler, dessen herrlich sarkastische Lieder eine große Leidenschaft von ihm sind, der er gelegentlich frönt. Dabei begleitet er sich selbst auf dem Klavier. Dazwischen spielt er auch schon einmal ein wenig Jazz. Aber sonst hat er besonders viel in Wuppertal zu tun, steht ganz im „seriösen“ Musikbetrieb. Denn in der Spielzeit 2021/22 wurde er zum Generalmusikdirektor der dortigen Bühnen und des Sinfonieorchesters berufen – und damit zum jüngsten Generalmusikdirektor Deutschlands.

Seinen Weg bezeichnet Patrick Hahn dennoch als „eigentlich recht klassisch“. Auch wenn in Wirklichkeit „Frittatensuppe“ daran schuld ist, dass er jenes Blut geleckt hat, das ihn Dirigent werden ließ. Aber der Reihe nach: „Ich komme aus einer kleinen Gemeinde bei Graz. Dort war es üblich, dass man im Volksschulchor sang und die Blockflöte spielte“, erzählt er. Und obwohl seine Eltern musikalisch nicht vorbelastet waren, sollten er und seine zwei Brüder ein Instrument lernen. Dabei tauschte Hahn die Blockflöte bald gegen das Klavier ein. Dieses spielte er nach kurzer Zeit so gut, dass er mit zehn Jahren ein Klavierstudium in Graz begann.
Doch das Singen blieb genauso Leidenschaft, bald im Knabenchor: „Ich bin dann zu den Grazer Kapellknaben gekommen und habe dort relativ früh auch mit kleinem Orchester zusammengearbeitet. Immer wieder konnte ich dem Chorleiter assistieren. So bin ich über diese Chorgeschichten in eine kleine Leitungsrolle gekommen, durfte ein bisschen reinschnuppern“, erinnert sich Hahn.
Als er dann einen der Knaben in Mozarts „Zauberflöte“ sang, beschlossen er und seine zwei Knaben-Kollegen, selbst eine Oper zu schreiben. Also mehr ein „einstündiges Singspiel, mit Orchester, Chor, Solisten und allem“. Dieses hieß „Die Frittatensuppe“. Patrick Hahn, damals zwölf Jahre alt, dirigierte selbst die Uraufführung. Das Erlebnis bestärkte seinen Wunsch und die Vorstellung, auch beruflich etwas mit Musik zu tun, wobei damals noch nicht klar war, ob als Dirigent, am Klavier, mit Gesang oder Komposition. Als er mit sechzehn Jahren die Leitung des Chores in seiner Heimatgemeinde übernahm, war die Entscheidung, Dirigent zu werden, beschlossene Sache. Er ging nach Graz, um Korrepetition und Dirigieren zu studieren.

So wie Patrick Hahn findet auch Kian Soltani, dass der heute oftmals sehr enge klassische Kanon durchaus eine Erweiterung und Auffrischung verträgt.

Marco Broggreve

Doch wie ging es weiter? Hahn spricht von zwei üblichen Möglichkeiten für einen Dirigenten: „Entweder man gewinnt einen Wettbewerb und kriegt dann die Chance, sich zu beweisen. Das hat mich nie interessiert. Oder man schlägt den Kapellmeisterweg ein.“ Letzteren hat Patrick Hahn quasi im Zeitraffer absolviert. Durch eine Musiklehrerin aus der Schule und einen ihrer Bekannten gelangte er „über tausend Ecken nach Erl“, wo er die Chance bekam zu dirigieren. In Erl lernte er auch einen bekannten Agenten kennen, der ihn unter die Fittiche seiner Agentur nahm. Er verschaffte ihm einige erste Möglichkeiten, die Hahn zu nutzen wusste, „denn sonst ist man schnell wieder weg vom Fenster“. Und obwohl er schon regelmäßig bei verschiedenen Orchestern dirigierte, fand er schließlich, „dass es sehr lohnend wäre, an einem guten Haus als Korrepetitor zu arbeiten und zu lernen. Ich habe mich daher an der Staatsoper Hamburg beworben und blieb ein Jahr lang dort.“ Danach ging es wieder weiter als freier Dirigent, bis bald die Generalmusikdirektor-Stelle in Wuppertal kam.
Die Liste der Orchester, die er bisher dirigiert hat, kann sich sehen lassen, finden sich doch erste Klangkörper wie die Münchner Philharmoniker, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das Royal Concertgebouw Orchestra, das Philharmonia Orchestra, die Bamberger Symphoniker, das Tonhalle-Orchester Zürich und die Wiener Symphoniker darauf. Trotz des Lehrjahres in Hamburg stand allerdings das symphonische Repertoire zu Beginn im Zentrum. Mit der Stelle in Wuppertal kam dann die Oper stärker ins Spiel, die mehr und mehr und derzeit besonders mit Wagner und Strauss Platz in seinem Terminkalender bekommt. Außerdem hat er in München an der Bayerischen Staatsoper als Assistent von Kirill Petrenko viel gelernt und bewundert dessen Zugang zur Musik und Arbeitsweise. An der Münchner Staatsoper hat er ebenfalls schon Oper dirigiert, genauso wie etwa in Zürich, Hamburg und Frankfurt. Auch für Wien gibt es Pläne.

Die Wiener Symphoniker, mit denen er im Jänner wieder im Musikverein musiziert, kennt Patrick Hahn schon seit 2019 von Grätzl- und Gemeindebau-Konzerten mit Prokofjews „Peter und der Wolf“. Seither stand Hahn öfters am Pult der Symphoniker, die er sehr schätzt. Außerdem freut er sich immer, wenn er wieder in Österreich arbeiten und ein wenig Heimatluft schnuppern kann, weil er sonst hauptsächlich in Deutschland unterwegs ist.
Die Konzerte im Musikverein sind der Startschuss für eine Österreich-Tournee nach Graz, Salzburg und Bregenz. Dort wurde der junge Cellist Kian Soltani geboren. Er saß mit Patrick Hahn und den Wiener Symphonikern bereits im März 2023 bei Beethovens „Tripelkonzert“ auf dem Podium. Jetzt wird er in Wien ein neues Violoncellokonzert aus der Taufe heben. Denn so wie Hahn findet auch Soltani, dass der heute oftmals sehr enge klassische Kanon durchaus eine Erweiterung und Auffrischung verträgt. So erklingt im Zentrum des Programms das Erste Violoncellokonzert von Marcus Nigsch, der in Feldkirch aufgewachsen ist, womit Kian Soltani aus einer Nachbargemeinde sich als Uraufführungssolist empfiehlt – und zu berichten weiß: „Marcus Nigsch und ich kennen uns schon lange. Wir haben damals gemeinsam am Landeskonservatorium Feldkirch in Vorarlberg studiert und saßen nebeneinander in der ,Gehörbildung‘. Als die Wiener Symphoniker mich fragten, ob ich mir vorstellen kann, ein Cellokonzert uraufzuführen, das von Marcus komponiert werden sollte, war das natürlich ein Traum für mich. Es ist für mich allgemein wichtig, mit lebenden Komponisten zu arbeiten und zu versuchen, das Cellorepertoire stetig zu erweitern. Zum anderen freute ich mich schon, eng mit Marcus an dem Stück arbeiten zu können, denn ich wusste, wir haben eine gute Connection, und auch ihm war es wichtig, dass ich am Kompositionsprozess beteiligt bin, meine Meinung abgeben darf und er mir das Stück auf den Leib schreibt. Ich freue mich schon sehr auf die Uraufführung!“

Eingebettet ist die Novität zwischen zwei echte Konzertklassiker. Als schwungvollen Auftakt gibt es die Ouvertüre zu Michail Glinkas „Ruslan und Ludmilla“. Die Oper kennt man hierzulande kaum, doch die Ouvertüre ist ein beliebtes Konzertstück, „wahnsinnig virtuos und macht sofort gute Laune“, so Hahn. Zum Finale dirigiert er die Fünfte Symphonie von Peter Iljitsch Tschaikowskij. Ein durchaus delikates Unterfangen, verführt Tschaikowskijs Symphonik doch gerne zu üppigem Pathos und läuft Gefahr, kitschig zu werden. Doch hier zeigt sich Hahn gewappnet: „Man braucht auch den Mut zum Kitsch. Kitsch muss nicht immer unbedingt etwas Negatives sein. In dem Fall kann es aber sein, dass er einfach überbordet. Man muss daher eben schauen, was Tschaikowskij tatsächlich schreibt und von welchen Traditionen man sich vielleicht befreien sollte. Aber es gibt sie, die Momente, in denen man den Mut zum Pathos haben darf.“

Mittwoch, 15. Jänner 2025
Donnerstag, 16. Jänner 2025

Wiener Symphoniker
Patrick Hahn | Dirigent
Kian Soltani | Violoncello

Michail Glinka
Ouvertüre zur Oper „Ruslan und Ludmilla“
Marcus Nigsch
Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1
(Uraufführung – Auftragswerk der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und der Wiener Symphoniker)
Peter Iljitsch Tschaikowskij
Symphonie Nr. 5 e-Moll, op. 64

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