Eine Freundschaft in Briefen: Regina Fritsch und Michael Maertens lesen aus den Briefen von Alma Mahler und Arnold Schönberg

© Nationaal Archief / Collectie Spaarnestad / Het Leven
Arnold Schönberg, den Schöpfer der „Komposition mit zwölf Tönen“, verband mit Alma Mahler-Werfel eine ebenso wechselvolle wie vertrauensvolle Beziehung. In ihr zeigen sich exemplarisch auch ideologische Verwerfungen in heilloser Zeit. Die Briefe, die sie einander geschrieben haben, werden im Juni von den Burgtheaterstars Regina Fritsch und Michael Maertens im Gläsernen Saal vorgetragen. Den Rahmen bilden Lieder von Alma Mahler und Arnold Schönberg.

Von Ronald Pohl

12.04.2024

Manche besonders verständnislose Zeitgenossen reagierten auf die „atonale“ Musik Arnold Schönbergs, indem sie ihrerseits Lärm erregten. Das von Schönberg geleitete Orchesterkonzert mit Werken von Webern, Zemlinsky, Schönberg, Berg und Mahler am 31. März 1913 ging in die Annalen des Großen Musikvereinssaals in Wien ein. Als sogenanntes „Watschenkonzert“ bildet es bis heute einen Schandfleck in der Geschichte der Musikstadt Wien.

Die aufrüttelnden Quarten-Akkorde, die in die Kammersymphonie, op. 9, hineinleiten, wurden vom Publikum mit Zischen und Klatschen quittiert. In die Bekundungen des Missfallens mengte sich alsbald schrilles Getön von Hausschlüsseln und Trillerpfeifen. Fäuste flogen. Geplärre kam auf, als Alban Bergs „Zwei Orchesterlieder nach Ansichtskartentexten von Peter Altenberg“ erklangen. Schönberg klopfte demonstrativ ab. An die Musikfreunde wandte er sich mit dem erbosten Hinweis, dass er jeden Ruhestörer „mit der Anwendung der öffentlichen Gewalt abführen lassen“ werde. Daraufhin empfahlen Krakeeler ihn und seine Getreuen der Obsorge durch die psychiatrischen Fachkräfte vom Wiener Steinhof.

Es lässt sich kaum ein größerer Gegensatz denken als dieser: Mitglieder der Wiener Fin-de-Siècle-Kultur begegnen einander mit ausgesuchter Höflichkeit, leichtfertig tänzelnd, dann wieder mit bedrückendem Ernst. Die vielen Briefe, die Arnold Schönberg mit Alma Mahler-Werfel wechselte, zeigen die beiden so unterschiedlich gearteten Persönlichkeiten als Autoren von Rang. Seine Episteln bekunden den fanatischen Willen des Propheten. Dieser trachtet das eigene Land, in dem er nichts gilt, nach seiner Fasson umzukrempeln. Der Berg muss sich aufraffen. Er soll gefälligst zum Propheten kommen. Schönberg hat nichts Geringeres im Sinn, als seiner Heimat – wie überhaupt der deutschsprachigen Kultur – die Vorherrschaft auf dem Gebiet der Musik für die Dauer von hundert Jahre zu sichern. Beinah im selben Atemzug erfolgt die Bitte um großzügige Förderung. In Alma Mahler besitzt Schönberg eine Gönnerin, die – auf ihn hört.

Noch zu Lebzeiten Gustav Mahlers, ihres ersten Gemahls, erwidert sie ein neckisch um Aufmerksamkeit werbendes Schreiben Arnold Schönbergs mit dem vielleicht größten Begriff, der ihr zur Verfügung steht. Sie schreibt 1909 – nach der äußerst verständnisvollen Lektüre seiner szenischen Fantasie „Die glückliche Hand“ – vom „wahren Genie“. Es kann kein Zweifel herrschen, dass sie damit ihn, den Erneuerer der Tonkunst, meint.

Der Briefwechsel der beiden ist vielfältiger und vielstimmiger, dabei resonanzreicher, als jeder Gedanke an ein neckisches Tête-à-Tête es nahelegen würde.

Der von Haide Tenner eingerichtete Auszug aus dem Briefwechsel zwischen Alma Mahler und Arnold Schönberg ist ein kaum für möglich gehaltenes Zusammentreffen zweier Gleichrangiger. Sie, die Schülerin Alexander Zemlinskys, übersetzt die Erfahrungen, die sie mit ihrem angefeindeten Mann gemacht hat, instinktiv auf den „Newcomer“.

Alma Mahler-Werfels Einlassungen verraten nicht den geringsten Anflug von Koketterie. Stattdessen drückt die als „Femme fatale“ notorisch Verleumdete ihre mütterliche Fürsorge für den annähernd Gleichaltrigen aus. Ihre Korrespondenz mit Schönberg stellt das geläufige Alma-Mahler-Bild nochmals auf den Kopf. Kein Futter für die Mär von der ewig lockenden, erotisch unersättlichen Muse, die – einem allerdings ordinären Spruch zufolge – sich vom Sperma der in ihr Netz gegangenen Genies allzu auskömmlich ernährt haben soll. Fast alles, was man über diese Frau zu wissen meint, enthält Spuren von Misogynie (ihre schriftlichen Lebenserinnerungen haben nicht unbedingt dabei geholfen, diesen Eindruck zu zerstreuen).

Burgschauspielerin Regina Fritsch, die Alma Mahlers Briefe vorträgt, weist den implizit mitschwingenden Vorwurf der Mannstollheit mit Blick auf die Autorin vehement zurück: „Das Patriarchat hat Spuren hinterlassen, da kann man noch so emanzipiert sein. Internalisierte Misogynie ist ein Muster, das auch ich kenne, und ist dadurch für mich nachvollziehbar. Alma Mahler war wohl auch als ,weibliche‘ Frau ,ein echter Kerl‘ – ein reizvoller Spagat. Vielleicht lag darin sogar ihre besondere Anziehungskraft, die sie auf Männer ausübte.“ Unter diesen befinden sich ein Antisemit wie Walter Gropius, aber auch der Künstler Oskar Kokoschka und der Autor Franz Werfel.
Der Briefwechsel der beiden ist vielfältiger und vielstimmiger, dabei resonanzreicher, als jeder Gedanke an ein neckisches Tête-à-Tête es nahelegen würde. Alma Mahler-Werfel tritt Arnold Schönberg spätestens nach Gustav Mahlers Tod 1911 als Gönnerin und Mäzenatin entgegen. In ihren Briefen überdeckt sie gelegentlich die vertikale Spannung, die eine solche Beziehung kennzeichnet. Sie kann neckisch sein, streng, auch werbend. Alle diese Registerwechsel kennzeichnen eine Hochbegabte, deren erhaltenen Zeugnisse als Liedkomponistin auch Schönbergs Hochachtung fanden. Fritsch: „Im Zusammenhang mit Schauspielerei ist die ,Autorin‘ Mahler-Werfel sicherlich eine Höchstbegabung …“

Es ist der Antisemitismus, der wie ein Tritonus einen dissonanten Dauerton unter die Korrespondenz der beiden ungleichen Geister legt. Auch hier können ein paar wenige törichte Aussagen Alma Mahler-Werfels den Gesamteindruck nicht verwischen. Als „Gerücht über die Juden“ (Theodor W. Adorno) überdröhnt der Antisemitismus jegliche Unbefangenheit.

Wie weggewischt scheinen mit Beginn der 1920er Jahre die rein spielerischen Elemente. Sie prägten bis dahin den Gedankenaustausch zwischen Komponist und Muse/Mäzenatin, bis in die wechselseitigen Verstimmungen und Zerwürfnisse hinein. So, wenn Alma Mahler glaubte, eine an Schönberg entliehene Beethoven-Partitur ihres verstorbenen Mannes verloren geben zu müssen. Die Rechtfertigungssuada des Tonsetzers, sie wäre des Briefstellers Franz Kafka würdig gewesen. Man müsse ihn – der im Übrigen in seinen Materialien „tadellose Ordnung halte“ – als „stachlich“ nehmen, so Schönberg indigniert. Er verdiene es, „mit Nachsicht behandelt“ zu werden. Und: „Mir geschieht nicht recht, wenn man mir eine Ungezogenheit gestattet, die ich nicht beabsichtige.“

© Jim Rakete, Jeanne Degraa

Alles Schrille und Rhetorische scheint aus den späteren Schreiben der beiden wie fortgenommen. Burgschauspieler Michael Maertens, der Schönbergs Briefe lesen wird, sieht nach der Emigration von Schönberg und Mahler-Werfel die Notwendigkeit schwinden, sich miteinander brieflich auszutauschen. Man traf in Los Angeles und Pacific Palisades aufeinander: einigermaßen sicher aufgehoben im Kreise der Emigrantinnen und Emigranten. Man gewöhnte sich auch in der „Neuen Welt“ an Schönbergs Musik. Häufig aufgeführt wurde sie deshalb noch lange nicht.

Maertens beabsichtigt nicht, als Vortragender in die Person Arnold Schönbergs hineinzuschlüpfen. Er habe lange gebraucht, um sich in die Zwölftonmusik einzuhören: „Mittlerweile ist Schönbergs Musik für mein laienhaftes Ohr gar nicht mehr so fremd. Ich entdecke sogar Melodien. Es gefällt mir umso besser, je öfter ich es höre.“

Das Triller-Pfeifen und Schlüsselklimpern erlosch noch zu Schönbergs Lebzeiten. Der Komponisten-Freund Ernst Krenek erinnerte sich nicht ohne Befremden an Schönbergs amerikanischen Hang zur Geselligkeit – zur Not auch mit anderen Tonsetzern. Ohne Scheu verkehrte der gestrenge Prophet in den 1930er und 1940er Jahren mit Musicalschreibern und Schlagerproduzenten – wenn die US-Urheberrechtsgesellschaft ASCAP zum Stelldichein der Musiker einlud. Die Tantiemen der meisten überstiegen diejenigen Schönbergs um ein Vielfaches. Krenek: „Ich kam mir vor wie in einer Gesellschaft von Erzeugern goldbeschlagener Cadillacs, zu der sonderbarerweise auch ein paar Hersteller unprofitabler Gießkannen zugelassen sind, weil sie ein ähnliches Blech verarbeiten.“

Samstag, 8. Juni 2024

Regina Fritsch | Lesung
Michael Maertens | Lesung
Bernarda Klinar | Mezzosopran
Hana Hart | Klavier

Ich möchte so lange leben, als ich Ihnen dankbar sein kann
Briefwechsel und Lieder von Alma Mahler und Arnold Schönberg

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