Ein Plädoyer für die Festlichkeit: Julia Lacherstorfer und Erwin Ortner im Interview

© Julia Wesely
Weihnachten als Fest der Musik und der Freude – im Musikverein wird es ganz unterschiedlich begangen. Das Spektrum reicht von einem Konzert des Ensembles „Alma“ mit Julia Lacherstorfer an der ersten Geige bis zum „Messiah“ von Händel unter der Leitung von Erwin Ortner. Judith Hecht hat die beiden zu einem Gespräch im Wien Museum getroffen – mit Blick auf den Musikverein.

Von Judith Hecht

19.11.2024

Wie haben Sie als Kinder Weihnachten verbracht?
Lacherstorfer: Diese Frage beantworte ich gerne, weil ich ausschließlich schöne Erinnerungen an das Weihnachtsfest habe. Es ist eng verknüpft mit meinen Großeltern, mit denen wir in Bad Hall in einem Haus zusammengelebt haben. Der 24. Dezember ist jedes Jahr genau gleich abgelaufen. Ich glaube, das ist auch der Grund, weshalb ich so ein Ritual-Fan bin.

Wie ist er denn abgelaufen?
Lacherstorfer: Am Nachmittag sind wir zur Krippenandacht in die Kirche gegangen und danach gleich zu den Großeltern hinauf. Wir haben mit ihnen gegessen, aber das Wichtigste war dann immer, mit Oma und Opa zu singen. Mein Opa hat Akkordeon gespielt, und wir haben Weihnachtslieder gesungen. Und wenn wir mit allen durch waren, haben wir mit den lustig beschwingten Volksliedern weitergemacht. Erst wenn wir das Glockenläuten von unten gehört haben, wussten wir, dass das Christkind schon da war. Und die Bescherung begann. Es war wunderbar, bis heute ist der Weihnachtstag mein Lieblingstag.
Ortner: Bei mir war es sehr ähnlich. Ich bin allerdings nicht am Land, sondern im dritten Bezirk in Wien aufgewachsen. Unsere Weihnachten waren sehr katholisch geprägt, und die Einbettung in die kirchliche Liturgie war ganz selbstverständlich. Ich selbst war Ministrant in unserer Pfarre St. Othmar, und mit jedem Jahr habe ich immer besser verstanden, worum es bei diesem Fest eigentlich geht. Meinen Eltern war es wichtig, dass nicht die Geschenke im Fokus standen, sondern die inhaltlichen Fragen wie: Was bedeutet die Geburt des Erlösers für die Menschheit? Und natürlich hat auch Musik eine bedeutende Rolle gespielt. Das waren jetzt keine professionellen Darbietungen, aber die Stücke, die wir auf der Blockflöte spielten, hatten wir in der Adventzeit gut vorbereitet.

Sie waren Sängerknabe und haben deshalb Weihnachten schon sehr früh fern der Familie verbracht. Wie war das für Sie?
Ortner: Ja, da war ich neun Jahre alt und bin mit den Sängerknaben auf Tournee in die USA gefahren. Für meine Eltern war das nicht so lustig, für mich aber war es spannend. Wir sind wochenlang mit dem Bus durch Amerika gefahren und haben Konzerte gegeben, die jedes Mal mit „Silent Night“ geendet haben. Den Weihnachtsabend selbst haben wir alle gemeinsam in einem Hotelzimmer verbracht. Der Kapellmeister hat einen kleinen Koffer geöffnet, in dem für jeden von uns kleine Geschenke von unseren Eltern waren. Und zum Schluss haben wir – nur für uns – „Stille Nacht“ gesungen. Das war sehr berührend.

© Julia Wesely

Frau Lacherstorfer, Sie sind vor wenigen Wochen Mutter von Zwillingen geworden. Ist das für Sie ein Anlass, sich zu fragen, wie Sie mit Ihrer Familie Weihnachten begehen wollen und ob Sie etwas anders machen wollen?
Lacherstorfer: Also vom Ritual her habe ich kein Bedürfnis, etwas zu ändern, weil es immer sehr stimmungsvoll war. Aber meine Schwester und ich denken darüber nach, welche Weihnachtsgeschichte wir unseren Kindern erzählen wollen. Denn das prägt sich bei ihnen ja extrem ein.

Was genau meinen Sie?
Lacherstorfer: Uns wurde als Kindern erzählt, dass zu Weihnachten das Christkind kommt, und daran haben wir lange geglaubt und fanden es schön. Bei meiner besten Freundin hingegen gab es diese Erzählung nicht, ihr war immer klar, dass der Papa die Geschenke unter den Baum legt. Das Weihnachtsfest hat sie trotzdem geliebt. Darum frage ich mich, warum man Kindern eigentlich diese Mär erzählt, dass das Christkind die Geschenke bringt. Die „Frohe Botschaft“ und der Akt des Beschenkens könnten ja voneinander völlig getrennte Dinge sein. Wie wir es machen werden, weiß ich noch nicht, aber schon, dass es für uns an dem Abend vor allem um die Familie und das Zusammensein geht.
Ortner: Meine Beobachtung ist, dass man das Bedürfnis hat, an Ritualen festzuhalten, auch wenn man sie schon lange hinterfragt. Das war auch bei meinen Kindern so, sie wussten natürlich irgendwann, dass es kein Christkind gibt. Dennoch haben sie weiter darauf bestanden, dass am 24. Dezember die Türen zum Wohnzimmer versperrt sind, bis die Glocken läuten. Erst dann sind wir hineingegangen, vor dem Christbaum mit den brennenden Kerzen gestanden, haben die Bibelstelle aus dem Lukas-Evangelium gelesen und gemeinsam musiziert. Zum Abschluss sangen wir „Stille Nacht“, erst dann gab es die Bescherung. Und mein Sohn und meine Tochter feiern heute mit ihren Kindern den Weihnachtsabend immer noch genauso. Was ich damit sagen will: Das Ritual gibt Sicherheit, gerade in Zeiten, in denen es so schwierig ist. Aber ich habe das Gefühl, die Weihnachtszeit ist durch unsere Gesellschaft heute verwahrlost. Wenn Adventzeit nur bedeutet, durch die vielen Weihnachtsmärkte zu schlendern, bei den Standeln einzukaufen und Punsch und Glühwein zu trinken, hat das etwas Beliebiges. Ich stehe zu meinen Wurzeln, nicht nur zu Weihnachten.
Lacherstorfer: Ich mag diesen Trubel auch nicht. Als Ensemble „Alma“ hatten wir deshalb den Wunsch, ein Weihnachtsprogramm zu gestalten, das diesem ganzen Stress und der Kommerzialisierung dieser Zeit entgegensteht, das mit Adventmarktidylle und Christbaumklischees nichts zu tun hat. Wir wollen die Leute in die Stille bringen, deshalb spielen wir auch auf alten Instrumenten, weil Darmsaiten weniger Spannung haben. Und es freut uns sehr, dass unsere Idee funktioniert: Nicht nur das Publikum kommt zur Ruhe, sondern wir auf der Bühne ebenso.

„Die Gestaltung von Feierlichkeit will gelernt sein.“

Julia Lacherstorfer und Erwin Ortner über die Kunst der Festlichkeit

Stille kann etwas sehr Feierliches haben.
Ortner: Das stimmt. Und weil Sie „feierlich“ sagen: Das Problem ist, dass viele Menschen nicht gelernt haben, eine Feierlichkeit zu gestalten. Ob zum Schulabschluss, zu Weihnachts-, Geburtstags- oder Hochzeitsfesten, sie wissen nicht, wie man diesen Anlässen eine Feierlichkeit verleiht. Auch bei Institutionen herrscht diesbezüglich oft große Ratlosigkeit. An der Musikuniversität zum Beispiel, da wusste man nicht, wie man eine Sponsion feierlich gestaltet. Ich habe auch viele Ausstellungseröffnungen erlebt, da wurde nur geredet und geredet, aber kein Ton gespielt. Das ist wenig stimmungsvoll. Ich bin froh, dass unsere Eltern uns gelehrt haben, wie man das macht.
Lacherstorfer: Sie bringen mich auf einen Gedanken, den ich zuvor noch nicht hatte: Als Intendantin des Festivals „Wellenklänge“ habe ich ja die Möglichkeit, die Atmosphäre bei Konzerten und Veranstaltungen zu gestalten. Und es macht mir eine riesige Freude, für andere Menschen ein schönes und auch feierliches Erlebnis zu kreieren. Im Team lachen sie oft über mich, weil es mir so wichtig ist, noch dort und da ein paar Kerzen aufzustellen oder einen Blumenstrauß. Es macht mir viel Spaß, mir genau zu überlegen, wie ich den Abend für die Zuschauer zu etwas ganz Besonderem machen kann. Vielleicht rührt diese Freude wirklich aus meiner Kindheit.
Ortner: Was Sie sagen, ist so wichtig. Egal, welche Musik wir spielen, wir Künstler haben die Verantwortung, jedes Konzert für die Menschen zu einem besonderen Ereignis zu machen. Und umgekehrt finde ich es auch sehr schön, wenn sich die Zuschauer Zeit nehmen, sich einzustimmen. Natürlich kann ich im Alltagsgewand kommen. Ich kann aber auch aus dem Konzertbesuch für mich persönlich allein schon dadurch etwas Besonderes machen, indem ich mir Zeit nehme, mich vorbereite und nicht erst drei Minuten vor Beginn in den Saal husche.
Lacherstorfer: Dieses Einstimmen war wohl auch der Grund, weshalb wir beide und viele andere Weihnachten so positiv erlebt haben: Meine Oma hat noch vor der Adventzeit begonnen, extrem viel zu backen. Die Vorräte wurden aufgefüllt, das Haus wurde geputzt und geschmückt. All diese Vorbereitungen haben eine gewisse Stimmung in uns erzeugt: Als Familie haben wir gespürt, dass wir alle dazu beigetragen haben, dass wir ein schönes Fest feiern können.

Samstag, 21. Dezember 2024
Lautten Compagney Berlin
Arnold Schoenberg Chor
Erwin Ortner | Dirigent
Julie Roset | Sopran
Patricia Nolz | Mezzosopran
Andrew Staples | Tenor
Derek Welton | Bass

Georg Friedrich Händel
Messiah. Oratorium, HWV 56

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