Echte Verbundenheit: Die Musikvereinssaison 2024/25
Von Sarah Wetzlmayr
29.04.2024
Im Idealfall hat ein starkes Saisonprogramm die Struktur eines feinen Gewebes, erklärt Musikvereinsintendant Stephan Pauly. Das bedeutet: Alle Maschen sitzen, keinerlei lose Enden blitzen heraus. Der Intendant ist zuversichtlich, dass es dem Team des Musikvereins und ihm auch beim Abonnementprogramm für die Saison 2024/25 wieder gelungen ist, all die unterschiedlichen, für den Musikverein wichtigen Stränge so miteinander zu verbinden, dass dabei ein dichtes, aber stets durchlässiges Geflecht mit einer Vielzahl an Anknüpfungspunkten für das Publikum entstanden ist. Es sei allerdings keinesfalls so, dass ein solch umfangreiches Programm in einsamer Arbeit am Schreibtisch entwickelt werde, betont er. „Da herrscht ein konstruktives Chaos, eine Idee jagt die andere, manche sind stärker und setzen sich am Ende durch“, fasst er auf lebhafte Weise zusammen und setzt nach: „Am Ende ist wichtig, dass eine gute Balance zwischen spannenden Programmen, neuen Ideen und Perspektiven sowie der leidenschaftlichen Pflege der Tradition entsteht.“
Bei der Programmplanung sei ihm und den Planer:innen im Team des Musikvereins der Dialog mit den Künstler:innen sehr wichtig, so Stephan Pauly. „Als Gesellschaft der Musikfreunde schätzen wir uns glücklich, auch in der Saison 2024/25 nahezu alle führenden Dirigent:innen, Solist:innen sowie Top-Orchester der Welt bei uns begrüßen zu können.“ Dazu gehören Stars wie Christian Thielemann und Rudolf Buchbinder, mit denen sich der Musikverein seit vielen Jahren in regem Austausch befindet. „Mit beiden konnten mein Team und ich für die nun vorliegende Saison wunderbare Programme entwickeln“, freut sich der Intendant.
So wird sich Rudolf Buchbinder gemeinsam mit hochkarätigen Musikern und Musikerinnen ganz auf Franz Schubert konzentrieren und Christian Thielemann seinen Konzertzyklus fortsetzen. Dass diese Programmpunkte zu den Sternstunden der kommenden Saison zählen werden, muss nicht eigens betont werden. Die für den Musikverein so wichtige Beziehungspflege findet natürlich auch mit Künstler:innen der jüngeren Generationen statt, hält Stephan Pauly fest und nennt einige Musiker:innen, die in der Saison 2024/25 im Musikverein zu sehen und zu hören sein werden: „Klaus Mäkelä, Mirga Gražinytė-Tyla, Janine Jansen und Víkingur Ólafsson werden im Rahmen von ‚Künstler:innen im Fokus‘ bei uns zu Gast sein.“
Das Musikverein Festival, für das sich Stephan Pauly stets von einem besonderen Objekt aus dem Archiv des Musikvereins inspirieren lässt und das von diesem Objekt ausgehend einen einzigartigen musikalischen Kosmos eröffnet, wird diesmal den Titel „Claras Blumenalbum“ tragen. „Unsere Musiksammlung ist mit etwa drei Millionen Objekten die bedeutendste private Musiksammlung der Welt. Neben Noten, Büchern, historischen Handschriften und Instrumenten umfasst sie auch persönliche Erinnerungsstücke von bedeutenden Persönlichkeiten der Musikgeschichte“, zeigt sich der Intendant begeistert.
Als Inspirationsquelle für das kommende Festival diente ein Album, in dem die Komponistin und Pianistin Clara Schumann Blumen gepresst und getrocknet hat, um es ihrem so engen Freund Johannes Brahms zu schenken – als Zeichen ihrer Freundschaft und Zuneigung. „Ein sehr privates und berührendes Objekt, das uns zu einem Festival rund um die Themen Beziehung, Freundschaft, Verbindungen und Kommunikation angeregt hat“, erläutert der Intendant. Dass es Clara Schumann als hochtalentierte Musikerin und Komponistin heute wesentlich leichter hätte als zu ihren Lebzeiten, steht außer Frage. Künstlerinnen in den Musikverein zu holen ist Stephan Pauly daher ein besonderes Anliegen. „Als ‚Komponistin im Fokus‘ freuen wir uns diesmal auf die Italienerin Clara Iannotta, außerdem koproduzieren wir eine Plattform der Wiener Festwochen mit Komponistinnen aus aller Welt.“
Die Musikverein Perspektiven sind diesmal dem Physiknobelpreisträger Anton Zeilinger gewidmet. Um mit ihm gemeinsam ein Programm zusammenzustellen, hat sich Stephan Pauly mehrmals mit dem Musikliebhaber getroffen. Wie man sich ein Gespräch zwischen einem der hochkarätigsten Physiker der Gegenwart und einem Musikmanager vorstellen kann? Der Intendant lacht und antwortet: „Ich habe sein Büro mit großem Respekt und einem gerüttelt Maß an Nervosität betreten und mich das nur getraut, weil ich wusste, dass wir über Musik und nicht über Physik sprechen werden.“ Aus gutem Grund, denn die von Pauly erdachten Musikverein Perspektiven basieren auf der Idee, „große Persönlichkeiten unserer Zeit nicht in ihrer eigentlichen Tätigkeit, sondern aus der Perspektive ihrer Leidenschaft für Musik kennenzulernen“. Anton Zeilinger habe mit großer Freude zugesagt, fügt er hinzu.
Neben Schwerpunkten, die aus der engen Zusammenarbeit mit Künstlern und Künstlerinnen entstehen, werden in der kommenden Saison auch wieder einzelne musikgeschichtliche Epochen und Komponisten in den Fokus gerückt. „Um sozusagen das große musikalische Erbe zu pflegen“, fasst Stephan Pauly zusammen. Im Mittelpunkt stehen unter anderem zwei runde Geburtstage: Pierre Boulez wird anlässlich seines 100. Geburtstags ein Abend gewidmet und Arnold Schönbergs 150. Geburtstag mit einer Aufführung seiner „Gurre-Lieder“ gefeiert. Letztere wurden im Musikverein uraufgeführt. Mit den Wiener Symphonikern konnte das Uraufführungsorchester von 1913 gewonnen werden, am Pult steht Petr Popelka, der sein erstes Konzert als neuer Chefdirigent des Orchesters dirigiert. Außerdem im Fokus: Sergej Prokofjew, mit dem sich Igor Levit seit geraumer Zeit intensiv beschäftigt, und Johann Strauß, dessen 200. Geburtstag 2025 gefeiert wird.
Ist von Beziehungen die Rede, darf natürlich auch auf jene zum Publikum nicht vergessen werden. Obwohl sich der größte Teil des Programms an Menschen richtet, die Musik als dauernde Bereicherung ihres Lebens spüren und dem Musikverein eng verbunden sind, sollen sich auch all jene angesprochen fühlen, die bislang noch nie im Musikverein zu Gast waren, hält Stephan Pauly fest und ergänzt: „Es ist uns wichtig, dass wir in Zeiten gesellschaftlicher Veränderungen den Gedanken der kulturellen Teilhabe ganz hochhalten.“ „The Power of Music“, eine Kooperation mit der Initiative CAPE 10, die sich für armutsbetroffene Familien einsetzt, soll dazu beitragen, Kinder, Jugendliche und Familien zu fördern und kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Unter der Schirmherrschaft von Elīna Garanča ist eine mehrjährige Partnerschaft geplant. Mit vielseitigen Besetzungen, Stimmen und Thematiken sollen zudem Anknüpfungs- und Bezugspunkte für möglichst viele Mitglieder einer immer diverseren Stadtgesellschaft geschaffen werden. Womit wir auch schon wieder bei der Einstiegsmetaphorik wären. Denn eine Frage ist bislang unbeantwortet geblieben: Gibt es in diesem feinen Gewebe auch so etwas wie einen roten Faden? Den gibt es. Und der lautet: Neue Verbindungen knüpfen und alte Beziehungen stärken.