Drei Meister für Beethovens Geister: Emanual Ax, Leonidas Kavakos und Yo-Yo Ma spielen Beethoven
Von Claus-Christian Schuster
08.07.2024
Die Wurzeln dieses bemerkenswerten Ensembles reichen sehr weit zurück – und kammermusikalisches Denken und Verständnis ist auch in jedem Takt des solistischen Wirkens der drei Stars ganz unüberhörbar.
Zwar schreibt man ganz allgemein – und hierzulande mit besonderer Hartnäckigkeit – dem großen Joseph Haydn die Vaterschaft von Streichquartett und Klaviertrio zu; aber die Sache ist wohl weit verwickelter, als diese Vereinfachung glauben machen will. Hingegen ist Beethovens Rolle in der Geschichte dieser beiden Königsdisziplinen im Reich der Kammermusik ganz unumstritten: Er ist es, der diesen beiden jungen Genres wenige Jahrzehnte nach ihrer „Erfindung“ ein völlig neues, noch unbetretenes Terrain erschlossen hat. Kein Wunder also, dass einerseits am Mythos einer Eifersucht zwischen Haydn und Beethoven so beharrlich gebastelt wurde und andererseits der Markenname „Beethoven“ in der Welt der Kammermusik schon seit jeher ungebrochene Strahlkraft besitzt. In beiden Disziplinen lassen sich für die letzten 200 Jahre mehrere Dutzend Ensembles nachweisen, die sich – zwischen Moskau und Chicago – mit dem Namen Beethovens schmückten.
Nun hat das Dreigestirn Ax/Kavakos/Ma, das 2017 mit einer Brahms-Aufnahme seine Triolaufbahn „offiziell“ begann, der Versuchung, sich diesen Namen zuzulegen, widerstanden (was angesichts des gut begründeten individuellen Ruhmes der drei Stars wohl nicht schwer fiel), aber spätestens seit den Lockdowns des Jahres 2020 wird das Ensemble immer öfter mit Beethovens Namen in Verbindung gebracht. Denn die drastische Behinderung des Konzertlebens in jenen schwierigen Monaten hatte ein vermehrtes Interesse an kammermusikalischen Versionen des symphonischen Repertoires zur Folge, und Shai Wosner, ein ehemaliger Schüler von Emanuel Ax, begann damit, das Trio mit Transkriptionen der Symphonien Beethovens zu versorgen, die beim Publikum großen Anklang fanden. Auch im Musikverein wird dieses Mal eines dieser Arrangements, mit denen eine Tradition des 19. Jahrhunderts eine überraschende Fortsetzung findet, auf dem Programm stehen. Es wird dort zwischen den beiden sehr gegensätzlichen Trios stehen, die Beethoven unter der Opusnummer 70 vereint und seiner (über alle Turbulenzen hinweg) treuen Freundin Marie Erdödy (1778–1837) gewidmet hat.
Mit dem zärtlichen Ostinato „Liebe liebe liebe liebe liebe Gräfin“ beginnt ein (inzwischen leider verschollener) Brief, den Beethoven im September 1815 aus Baden an seine in Jedlesee residierende Herzensfreundin schrieb. Knapp sieben Jahre zuvor, im Dezember 1808, war die Stadtwohnung der (mit ihren drei Kindern seit 1805 getrennt von ihrem problematischen Gatten Péter Erdödy lebende) Gräfin zum Schauplatz der privaten Uraufführung der beiden gerade fertiggestellten Trios geworden. Das Haus der Gräfin stand Beethoven mehrmals als Refugium offen, wobei es wegen der notorischen Reizbarkeit des Komponisten wiederholt zu Dissonanzen kam, die sich aber immer wieder rasch auflösten: Beethovens Zorn unterlag stets seinem Harmoniebedürfnis. Als weiblicher Widmungsträgerin gebührt Marie Erdödy jedenfalls ein Ehrenplatz unter allen von Beethoven beschenkten Personen: Mit vier Meisterwerken sowie einem zu Silvester 1819 komponierten Gratulationskanon (WoO 176) bedachte er sie großzügiger als irgendeine andere Frau. Umso erstaunlicher, dass sie im Gedenkkult rund um Beethoven eine so bescheidene Rolle spielt.
Bestens im Bewusstsein nicht nur der Beethoven-, sondern auch der Haydn- und Mozart-Gemeinde verankert ist hingegen der Widmungsträger der im Saisoneröffnungskonzert am 4. September zwischen den beiden Trios in einer Transkription präsentierten C-Dur-Symphonie op. 21, der aus Leiden stammende Gottfried van Swieten (1733–1803). Der Sohn des Leibarztes von Maria Theresia kam als Zwölfjähriger nach Wien und durchlief zwischen 1755 und 1777 eine Bilderbuchkarriere als Diplomat, bevor er – als Nachfolger seines Vaters – Präfekt der Hofbibliothek wurde, in welcher Position er bis zu seinem Tode wirkte. Seine Mitwirkung an der Textfassung von Haydns Oratorien „Die Schöpfung“ und „Die Jahreszeiten“, seine Unterstützung Mozarts und Beethovens, mit denen ihn seine Verehrung für die Großmeister der Barockmusik verband, und eben die Zueignung von Beethovens Erster Symphonie sichern ihm einen Ehrenplatz in der Musikgeschichte, obwohl er selbst als Verfasser von Opern und Symphonien glücklos blieb.
Von den beiden Trios op. 70 ist das – aufgrund einer enthusiastischen Besprechung von E. T. A. Hoffmann – mit Shakespeares „Macbeth“ in Verbindung gebrachte und als „Geistertrio“ berühmt gewordene erste in D-Dur wahrscheinlich das meistgespielte unter Beethovens Klaviertrios. Es ist eines von nur vier Kammermusikwerken des Meisters, in denen er auch noch nach 1800 auf die allmählich „veraltende“ Dreisätzigkeit zurückgreift, und wahrscheinlich ist die dadurch bedingte „Knappheit“ des Werkes einer der vielen Gründe für seine Beliebtheit. Dass diese Bevorzugung in der Rezeption aber durchaus nicht Beethovens Intention und Sichtweise entspricht, erhellt schon aus der Tatsache, dass er am Schwesternwerk, dem viersätzigen Es-Dur-Trio, weit länger arbeitete: War das D-Dur-Trio im Wesentlichen die Ernte der in Heiligenstadt verbrachten Sommermonate des Jahres 1808, beschäftigte ihn das Es-Dur-Werk fast das ganze Jahr hindurch; auch aus dem Zeugnis von Beethovens Gesprächspartnern wissen wir, dass er dieses – weit seltener zu hörende – Werk selbst besonders hoch einschätzte.
Alle drei Musiker des Saisoneröffnungskonzerts im Musikverein pflegen schon seit vielen Jahren innige Beziehungen zu Wien. Der 1949 als Sohn zweier Holocaust-Überlebender in Lemberg geborene und nach je zweijährigen Intermezzi in Warschau und Winnipeg (Manitoba) als Zwölfjähriger nach New York gelangte Emanuel Ax hat an der Seite von Nathan Milstein schon wenige Monate vor seinem glamourösen Sieg beim 1. Rubinstein-Wettbewerb sein Wien-Debüt gefeiert. Leonidas Kavakos kam 1967 in Athen zur Welt und präsentierte sich nach Studien bei Joseph Gingold in Bloomington und einer ganzen Serie triumphaler Wettbewerbserfolge dem Wiener Publikum erstmals 1992; die Wien-Premiere des 1955 in Paris als Sohn chinesischer Eltern geborenen Yo-Yo Ma war ein Duoabend mit Emanuel Ax im Frühling 1982. Das Duo Emanuel Ax und Leonidas Kavakos konnte man in der Saison 2012/13 mit allen Beethoven-Sonaten im Musikverein erleben; und zu dritt waren die Ausnahmemusiker schon im September 2018 mit Brahms im Großen Musikvereinssaal zu hören. Die Wurzeln dieses bemerkenswerten Ensembles und ihre Verbindung zu Wien reichen also sehr weit zurück – und kammermusikalisches Denken und Verständnis ist auch in jedem Takt des solistischen Wirkens der drei Stars ganz unüberhörbar: Wir dürfen also einem ganz besonderen Abend entgegenblicken!
Dieser Text bezieht sich auf das ursprünglich geplante Programm, das kurzfristig geändert wurde.
Mittwoch, 4. September 2024
Emanuel Ax | Klavier
Leonidas Kavakos | Violine
Yo-Yo Ma | Violoncello