Der Humanist: Cornelius Obonya

© Sasha Ilushina photography
Der Schauspieler Cornelius Obonya ist im Februar in zwei literarisch-musikalischen Abenden zu erleben: Einmal als Sprecher von Schönbergs Melodram „Ode to Napoleon Buonaparte“ und einmal mit einer Lesung aus einem Roman von Literaturnobelpreisträger Abdulrazak Gurnah.

Von Julia Kospach

24.01.2025

Cornelius Obonya trägt jetzt gerade Vollbart. Er sitzt an einem Ecktisch im Wiener Café Bräunerhof, trägt zum grau-melierten, akkurat getrimmten Bart Kleidung in gedeckten Grüntönen, Untergruppe: britischer Gentleman-Explorer, und wirkt, als würde er den Großteil seiner Zeit nicht auf Bühnen, sondern bei gleichermaßen kühnen wie kultivierten Querfeldein-Unternehmungen in Mutter Natur verbringen. Kein Wunder, dass das Gespräch gleich eingangs auf seine Passion für englische Lyrik und die Produktpalette von „D.R. Harris London“ kommt, einem 1790 gegründeten britischen Parfumeur- und Drogerieladen mit Spezialisierung „in soaps, shaving and skincare“ für den Herren von Welt. Denn, so lässt Cornelius Obonya lächelnd wissen, ein Bekannter sage immer, ein Bart sei wie ein Kind: „Er braucht Pflege.“

Der neue Vollbart ist Cornelius Obonyas Hauptrolle als Milchmann Tevje in der Volksopern-Inszenierung von „Anatevka“ geschuldet, in der er dieser Tage für Szenenapplaus sorgt. Es ist sein Debüt an dem Haus am Währinger Gürtel und sein zweiter Ausflug ins Musicalfach, nachdem er 2008 bereits den Max Bialystock in der Nazi-Satire „The Producers“ von Mel Brooks gespielt und gesungen hat. „Diese Dinge ergeben sich“, sagt er über seine immer häufigeren Abstecher ins Musik- und Gesangsfach. Es sei „alles Learning by Doing“ gewesen. Nicht geplant, aber von ihm mit Vergnügen auf- und angenommen. Denn Musik und alles Musikalische spielt im Leben des 55-jährigen Theater- und Filmschauspielers eine bedeutende Rolle – nicht nur, aber auch, weil er nun schon seit einigen Jahren gemeinsam mit seiner Frau, der deutsch-österreichischen Regisseurin Carolin Pienkos, immer wieder Opern inszeniert. „Das gemeinsame Inszenieren ist für uns eine ganz eigene Leidenschaft geworden“, erzählt er. Wie sie einander bei dieser Arbeit ergänzten, empfinde er „als ein Lebensglück“, das bald weitere Fortsetzungen finden wird.

„Wenn ich eine politisch-humanistische Position über meine Kunst ausdrücken kann, bin ich der glücklichste Mensch.“

Cornelius Oboya

So ist es sicher auch kein Zufall, dass Cornelius Obonya längst so etwas wie ein Stammgast auf den Bühnen des Musikvereins geworden ist. Das nächste Mal ist es im Februar 2025 so weit: Am 13. des Monats liest er, musikalisch begleitet von der Perkussionistin Margit Schoberleitner, im Gläsernen Saal aus dem Roman „Das verlorene Paradies“ des tansanischen Literaturnobelpreisträgers Abdulrazak Gurnah. Und am 20. Februar, im Großen Saal des Musikvereins, wird er es sein, der im Rahmen eines Schönberg- und Beethoven-Abends mit den Wiener Symphonikern unter dem Dirigat von Robin Ticciati dem Sprechpart von Schönbergs „Ode to Napoleon Buona­parte“ seine sonore Stimme leiht.

Die Entstehung dieses Werks hat eine aufschlussreiche Geschichte. Arnold Schönberg schrieb es inmitten des Zweiten Weltkriegs in der US-amerikanischen Emigration. Als das viertelstündige Melodram für Streichorchester, Klavier und Sprecher 1944 in New York seine Uraufführung erlebte, war Schönberg bereits seit drei Jahren US-Staatsbürger. Er komponierte es als Abrechnung mit Nationalsozialismus und Diktatur, die ihn seiner österreichischen Heimat und seiner Berliner Arbeitsstätte beraubt und ihn als Jude Demütigungen, Bedrohungen und Beschränkungen ausgesetzt hatten. Schönbergs damaliger Assistent Leonard Stein berichtet dazu: „Er war auf der Suche nach einem Gedichtband, der einen Bezug zur Tyrannei enthalten sollte, geeignet, Verachtung gegen jeden Tyrannen auszudrücken, der damals auf die Welt losgelassen wurde …“

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Beim britischen Dichterfürsten Lord Byron (1788–1824) und dessen „Ode to Napoleon Buonaparte“ wurde Schönberg schließlich fündig. Dabei handelt es sich – anders als es der Titel vielleicht prima vista vermuten ließe – nicht um eine Hommage, sondern um eine „ode to the fall of Napoleon“, wie Byron rund um die Entstehungszeit 1814 in einem Schreiben festhielt. 1814: Es war das Jahr der Abdankung des von eigener Hand gekrönten Kaisers der Franzosen. Und Byron, der romantische Unterstützer von europäischen Freiheitsbewegungen aller Art, rechnete mit diesem ab. „Byron beschreibt einen hohen Fall in seiner Ode“, sagt Cornelius Obonya, „noch nie zuvor hatte ein einzelner Mensch, ausgehend von der eigentlich großartigen Idee der Französischen Revolution, so viel kaputtgemacht wie Napoleon. Er hat den gesamten Kontinent in ein Blutbad gekippt.“ Byron – und mit ihm Schönberg – fragt in bitterem Sarkasmus: „Ist das der Herr von Tausend Reichen, der alle Welt besät mit Leichen?“

Als Sprecher von Byrons Ode im Rahmen seines Musikstücks dachte Schönberg nicht nur an „einen sehr musikalischen Sänger“. Er hatte auch die Stimme Winston Churchills als ideale Stimmlage dafür im Ohr. „Das ist für mich hochinteressant“, meint Cornelius Obonya. Denn Churchill war nicht nur Hitlers größter Widersacher. Er hatte dessen Gefährlichkeit auch schon vor den meisten anderen erkannt und lange Jahre vergeblich vor Hitler gewarnt. Churchills Reden, so Obonya, hätten „einen ganz eigenen Klang, ein Ziehen der Vokale, das Druck und Dringlichkeit erzeugt“. Er werde sie sich in Vorbereitung seines Musikvereinsabends wieder anhören. „Während des Kriegs gelang es Churchill damit, die Botschaften ‚Es geht vorbei‘ und ‚Der weiße Ritter – sprich: das Gute – gewinnt immer‘ zu vermitteln.“

Während es bei Schönberg thematisch um den Kampf gegen Tyrannei geht, stehen beim Abdulrazak-Gurnah-Abend die Themen Kolonialismus und Freiheitskampf im Vordergrund – in Gurnahs Roman „Das verlorene Paradies“ erzählt und reflektiert aus der Perspektive eines tansanischen Jungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der mit den Realitäten der deutschen Kolonialherrschaft in Ostafrika konfrontiert wird und in Zeiten kolonialer Umbrüche sein Erwachsenwerden erlebt.
Die künstlerischen Werke, die bei diesen beiden musikalisch-literarischen Abenden mit Cornelius Obonya im Musikverein zum Vortrag kommen, mögen auf verschiedenen Kontinenten entstanden sein, sind aber historisch natürlich engstens miteinander verwoben – und hochpolitisch. Auch das liegt Cornelius Obonya. „Wenn ich eine politisch-humanistische Position über meine Kunst ausdrücken kann, bin ich der glücklichste Mensch“, sagt er. Er stammt aus einer Familie, in der politisches Engagement besonders wichtig ist. Auch und gerade angesichts seiner Großeltern, der Schauspielstars Attila Hörbiger und Paula Wessely, die er als „karrierebedachte Mitläufer“ des NS-Regimes bezeichnet. „Sie hatten beide große Karrieren in Deutschland und Österreich. Da ist es schwer, Nein zu sagen. Ich kann nicht darüber urteilen, weil ich noch nie in der Position war, aber ich darf die Frage stellen: Warum habt ihr euch so verhalten?“
Für sich selbst, sagt Cornelius Obonya, wolle er alles tun, was in seiner Macht stehe, um sich autoritären Strömungen entgegenzustellen. Auch das liege in der Familie. Seine Mutter Elisabeth Orth, älteste Tochter von Attila Hörbiger und Paula Wessely, sei ihrerseits stark politisch engagiert. „So bin ich aufgewachsen.“ Und schließlich, sagt Cornelius Obonya, wolle er es gern mit einem Satz von Peter Ustinov halten: „Er hat gesagt, wenn man schon das Glück habe, prominent zu sein, dann solle man diese Prominenz für humanistische Ziele einsetzen.“

Donnerstag, 13. Februar 2025

Cornelius Obonya | Lesung
Margit Schoberleitner | Schlagzeug

Abdulrazak Gurnah
Das verlorene Paradies

Donnerstag, 20. Februar 2025
Freitag, 21. Februar 2025

Wiener Symphoniker
Robin Ticciati | Dirigent
Kirill Gerstein | Klavier
Cornelius Obonya | Sprecher

Arnold Schönberg
Ode to Napoleon Buonaparte, op. 41b (Fassung für Streichorchester, Klavier und Sprecher)
Ludwig van Beethoven
Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur, op. 73
Symphonie Nr. 3 Es-Dur, op. 55, „Eroica“

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