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Der Grundton im Akkord
Sabine Devieilhe
Die französische Koloratursopranistin Sabine Devieilhe gibt ihr Lied-Debüt im Musikverein – mit einem Programm, das sich als „Hommage à Vienne“ versteht.
„Dieses gärende Klima der Musikstadt Wien, diese charakteristische, düstere, zutiefst lyrische Klangwelt am Beginn des 20. Jahrhunderts“.
Sabine Devieilhe und ihre „Hommage à Vienne“
Sie zählt zu jener neuen Generation von jungen Sängerinnen, denen alles zu gelingen scheint. Sie verfügt nicht nur über enormes Talent, eine unverwechselbare Stimme und eine fundierte Ausbildung, sie ist gewissermaßen auch begabt für diese prekäre Existenz als Künstlerin in der „obersten Liga“, an der andere zuweilen zerbrechen. Umsichtig plant sie ihre Entwicklung, baut ihre Laufbahn Schritt für Schritt sorgfältig auf, stets von Erfolg begleitet. Zugleich weiß sie um die Bedeutung eines verlässlichen, erfüllten privaten Umfelds, als Korrektiv zu den Höhenflügen des Berufs – und bringt beides unter einen Hut. Sabine Devieilhe ist jetzt knapp vierzig. Sie steuert auf den Zenit einer maßgeschneiderten Karriere zu – und genießt als Mutter zweier Kinder ein gelingendes Familienleben.
Fachgrenzen haben sie offenbar nie gekümmert. Bei ihrem Repertoire wählt sie aus der Musikgeschichte vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, interpretiert geistliche und weltliche Barockmusik ebenso stilsicher wie Zerbinetta, Sophie im „Rosenkavalier“ und Adele in der „Fledermaus“. Zu ihren Paraderollen auf der Opernbühne zählt neben Lakmé in der gleichnamigen Oper von Leo Délibes, die sie seit 2014 begleitet, aktuell die Sœur Constance in Poulencs „Dialogues des Carmélites“, mit der sie im Jänner ihr Debüt an der New Yorker Met gefeiert hat. In dieser Partie wirkt sie auch in der Neuproduktion des Werks an der Wiener Staatsoper mit, wo sie 2018 als Marie in „La fille du régiment“ debütierte.
Sabine Devieilhe kommt aus der Normandie. „Wir sind vier Schwestern, ich bin die Dritte“, erzählt sie. „Wir haben natürlich Hausmusik gemacht. Unsere Eltern waren immer schon Melomanen, sie singen bis heute im Chor. Aber dann hat meine älteste Schwester mit der Violine begonnen und hat uns alle angesteckt. So sind wir wirklich eine Musikerfamilie geworden, das freut mich.“ Sabine entschied sich für das Cello – und wählte für das Studium in Caen zusätzlich Musikwissenschaft. Obwohl sie weiterhin in Chören aktiv war, wo sie auch immer wieder mit kleinen Soli betraut wurde, zog sie eine Gesangausbildung zunächst gar nicht in Betracht. Besondere Leidenschaft entwickelte sie hingegen für das Continuospiel. „Es hat mich fasziniert, die Stimme auf diese Art zu begleiten und zu unterstützen. Ich erinnere mich an eine Aufführung von ‚Dido and Aeneas‘ von Purcell, bei der ich Continuo gespielt habe und von der Partie der Belinda ganz hingerissen war. So habe ich meine eigene Singstimme eigentlich indirekt, über das Cello und die Barockmusik entdeckt.“ Sie wechselte also zum Gesangstudium ans Conservatoire National Supérieur in Paris, wo sie in einem Vokalensemble namens „Les cris de Paris“ dem jungen Countertenor Raphaël Pichon begegnete. Dieser gründete bald darauf sein Ensemble Pygmalion, mit dem er mittlerweile zu den maßgeblichen Interpreten der Originalklangszene zählt; als Mozart-Dirigent ist er längst auch bei traditionellen Orchestern gefragt.
Als Sabine und Raphael ein Paar wurden, waren sie entschlossen, ihren künstlerischen Weg zu zweit zu gehen: „Das ermöglicht uns eine gemeinsame Entwicklung. Wir haben in der Arbeit miteinander so viele Erfahrungen gesammelt, wir genießen es, unsere Erfahrungen zu teilen. Wir machen zum Beispiel mit Pygmalion jedes Jahr ein Bach-Programm, wir lieben es, miteinander zu musizieren, eine gemeinsame Phrasierung für die Stimme und das Instrument zu erarbeiten.“
Meinungsverschiedenheiten im Künstlerischen empfinde sie als konstruktiv, im Übrigen „konnten wir privat und beruflich immer schon gut trennen. Und es ist der absolute Luxus, dass wir mit den Kindern zusammen sein können. Wir vier sind sehr stark aufeinander konzentriert.“
2016 hat Sabine Devieilhe ihren Sohn zur Welt gebracht, 2020 folgte ihre Tochter. Die Geburt hat damals zwar das lang vorbereitete Rollendebüt als Susanna in Mozarts „Figaro“ am Théâtre des Champs-Élysées verhindert, doch dieses wird Devieilhe heuer bei den Salzburger Festspielen mit umso größerer Freude nachholen – mit Raphaël Pichon am Pult der Wiener Philharmoniker. „Wir versuchen, mindestens ein Projekt pro Jahr gemeinsam zu machen“, sagt sie. Auch wenn sich das nicht immer nach Wunsch bewerkstelligen lässt – ihr Leben als Künstlerin habe durch die Kinder nur gewonnen. „Es ist doch herrlich, wenn man heimkommt, und alles Berufliche bleibt draußen. Natürlich arbeite ich am Abend oft weiter, sobald die beiden im Bett sind. Aber wenn man Kinder hat, fällt es viel leichter abzuschalten. Außerdem leben wir in Paris, wir haben dort die École maternelle, eine Mischung aus Kindergarten und Vorschule für Kinder ab drei. Und wir haben drei Opernhäuser, wo ich derzeit sehr viel singe.“ Mit entsprechender Planung ist auch ein längerer Auslandsaufenthalt möglich: „Raphaël ist ein Meister der Planung.“ So hat die Familie im Jänner drei Wochen in New York verbracht, und einem Sommeraufenthalt in Salzburg steht nichts im Wege.
Vielleicht war das Cello für Sabine Devieilhe eine im buchstäblichen Sinn grundlegende Erfahrung. Beim Musizieren im Orchester hat sie es genossen, mit ihrem Instrument für den Grundton im Akkord verantwortlich zu sein. Im übertragenen Sinn scheint sie ihr gesamtes Leben auf diesen entscheidenden „Grundton“ auszurichten. Bei allen stimmlichen Höhenflügen, die ihr so unglaublich leicht zu fallen scheinen, bleibt sie offenbar gut geerdet.
Neben ihren Aktivitäten auf der Opernbühne will sich Sabine Devieilhe natürlich auch dem Liedgesang mit der gebührenden Sorgfalt widmen. Hier hatte sie bislang vorwiegend Französisches im Gepäck, doch derzeit erforscht sie neues Terrain. Unter dem Motto „Hommage à Vienne“ hat sie ein wohldurchdachtes Programm entwickelt – in enger Kooperation mit ihrem Klavierpartner Matthieu Pordoy, der dabei auch als Solist hervortritt. „Wir sind seit dem Conservatoire befreundet, und seit einigen Jahren beschenken wir einander mit dieser Art von Zusammenarbeit.“
Der Titel ist insofern Programm, als Devieilhe sich hier erstmals mit der Musik von Alban Berg beschäftigt. „Es ist ein Versuch, dieses gärende Klima der Musikstadt Wien einzufangen, diese charakteristische, düstere, zutiefst lyrische Klangwelt am Beginn des 20. Jahrhunderts“, erläutert sie. „Wenn Sie so wollen, ist das eine Wallfahrt zu ‚Lulu‘. An dieser Partie bin ich natürlich dran, da möchte ich jetzt einmal einen Fuß in der Tür haben.“ Dazu kommen neben ausgewählten Stücken von Mozart auch solche von Hugo Wolf und Richard Strauss, die ihrerseits in Beziehung treten sollen: „Ich finde, das Italienische Liederbuch bildet einen guten Kontrapunkt zu Strauss.“
Mit Vorbildern geht Sabine Devieilhe unbefangen und selbstbewusst um. „Da habe ich viele“, sagt sie; „ich höre nämlich auch sehr gern CDs.“ Sie schwärmt von Lucia Popp – „was für eine Ausnahmekünstlerin!“ – und von der früh verstorbenen amerikanischen Mezzosopranistin Lorraine Hunt Lieberson – „Diese Menschlichkeit in ihrer Stimme! Sie war einfach großartig, auch in der Alten Musik.“ Nicht zuletzt habe sie viel von Barbara Bonney gelernt: „Sie hat mich mit ihrer Leichtigkeit sehr inspiriert. Sie lebt ja in Salzburg. Ich freue mich darauf, sie im Sommer in ihrem Modeatelier zu besuchen.“
Und wie steht es mit dem Lampenfieber? „Man darf sich davon nicht beherrschen lassen. Das beste Mittel dagegen ist, sich auf das Handwerk zu konzentrieren.“ Das hat sie aus ihren Erfahrungen als Königin der Nacht gelernt, eine Partie, mit der sie gleich am Beginn ihrer Laufbahn angetreten war: „Damals dachte ich, ich müsste ganz frisch und unbelastet funkelnde Töne herausschleudern, um diese Figur emotional authentisch zu vermitteln. Aber ich habe bemerkt, dass man für den direkten Gefühlsausdruck viel Erfahrung braucht. Das hat mir das Lampenfieber genommen.“
Monika Mertl