Beethoven, wie er wirklich aussah: Eine Büste als einzigartiges Geschenk für den Musikverein
Von Johannes Prominczel
17.12.2024
Eine typische Wiener Geschichte: ein Kunstobjekt mit Verbindung zur „Wiener Klassik“, ein jüdischer Mäzen, Verkauf unter Druck, Emigration, Restitution – und eine großzügige Geste.
Johann Andreas Streicher veranlasste 1812 das Anfertigen einer Lebendmaske von Ludwig van Beethoven. Streicher, ein Freund Schillers, stammte aus Stuttgart und war in Wien als Pianist und Klavierbauer tätig. 1812 war er nicht nur unter den Gründungsmitgliedern der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, er ließ auch einen Saal bauen, der sich bald zu einem beliebten Konzertsaal entwickelte. Zudem diente dieser Saal dem Ausstellen der neuesten Klaviermodelle. Wohl in Hinblick auf die Ausstattung des Saals, für die man Büsten berühmter Komponisten benötigte, musste sich Beethoven der Prozedur des Anfertigens einer Lebendmaske unterziehen: Das Gesicht wurde komplett mit flüssigem Gips bedeckt, der schnell aushärtete. Atmen konnte Beethoven nur durch zwei Röhrchen, die in seinen Nasenlöchern steckten. Erst beim zweiten Versuch soll der Vorgang erfolgreich gewesen sein. Beim ersten Mal riss Beethoven die Gipsmasse vom Gesicht. Nach dieser Lebendmaske schuf der Bildhauer und Maler Franz Klein
(1777–1840) eine Büste. Es ist nicht irgendeine Büste. Klein hat zwar Ergänzungen – etwa in der Augenpartie – vorgenommen, dennoch ist sie so fein gearbeitet, dass sie als authentisches Abbild Beethovens gilt. Davon, dass die Büste kein rekonstruiertes Idealbild darstellt, zeugen auch die gut erkennbaren Pockennarben. So hat Beethoven ausgesehen.
Mehrere Abgüsse der Büste befanden sich in Besitz der Familie Streicher. Ein besonders schönes Exemplar aus Gips bronziert verkaufte die Familie wohl in den 1920er Jahren an Wilhelm Kux (1864–1965). Der Sohn eines Mediziners stammte aus der heutigen Slowakei und studierte am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde als Kind Violine – allerdings wenig erfolgreich, er wurde wegen „Unfähigkeit“ entlassen. Beruflich fasste er im Finanzwesen Fuß, die Liebe zu Musik blieb. Anfang der 1920er Jahre stiftete er dem Archiv der Musikfreunde einen namhaften Betrag für den Ankauf eines Fragments eines Liedes von Franz Schubert („Der Tod und das Mädchen“, D 531), 1925 wurde er in die Direktion der Musikfreunde berufen und blieb bis ins Jahr 1938 in dem Gremium, in das er nach dem Krieg zurückkehrte. Sein Wohnsitz lag allerdings ab 1939 in der Schweiz. Aufgrund von mehreren großzügigen Schenkungen an das Archiv der Musikfreunde – darunter mehrere Briefe und Kompositionsskizzen von Anton Bruckner sowie ein Streichquartett von Johannes Brahms in dessen Handschrift – erhielt Kux 1947 die Ehrenmitgliedschaft der Gesellschaft der Musikfreunde – eine durchaus übliche Geste in jener Zeit. Er starb 1965 im Alter von 101 Jahren in Chur.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten musste Wilhelm Kux als Jude Österreich verlassen. Als tschechischem Staatsbürger war ihm die Ausreise möglich. Manches seiner wertvollen Autographen- und Musikinstrumentensammlung konnte er mit in das Schweizer Exil nehmen, anderes musste er zurücklassen. Die bronzierte Gipsbüste Beethovens durfte er als für Österreich relevantes Kulturgut nicht ausführen, wie erhaltene Akten belegen. – Übrigens eine Tatsache, die nicht damit zusammenhängt, dass Kux Jude war. Bis heute bedarf es bestimmter Voraussetzungen, um einzigartige Kulturgüter von Österreich ins Ausland zu exportieren.
Die Büste musste 1938/39 also in Österreich bleiben. Und Kux musste sie um den veritablen Betrag von 3000 Reichsmark an die Städtischen Sammlungen (heute: Wien Museum) verkaufen. Der angemessen scheinende Betrag rechtfertigt freilich nicht das Unrecht, das dem Vertriebenen Wilhelm Kux wie so vielen widerfahren ist. In den Akten des Wien Museums sind die Geschichte der Büste und der überraschend hohe Preis erklärt: Die Büste wird als jene Büste bezeichnet, die Klein angefertigt hat und nach der später Kopien hergestellt wurden. Zudem handle es sich nicht nur um jene Büste, die im Klaviersalon der Firma Streicher stand, sondern auch um jene, die 1927 bei der Beethoven-Zentenarausstellung der Stadt Wien anlässlich des 100. Todestags des Komponisten ausgestellt war. Man ging also davon aus, dass diese Büste aus dem Besitz von Wilhelm Kux nicht ein Nachguss war, sondern überhaupt die erste und wichtigste Büste nach der Lebendmaske schlechthin.
2008 entschied die Restitutionskommission, die Büste an die Erben zurückzugeben. Die Suche nach den Nachfahren erwies sich als schwierig. Kux war ohne direkte Nachkommen verstorben, Erben waren die Kinder seiner Geschwister, deren Familien heute über die ganze Welt verstreut sind, unter anderem in den USA, in Australien und England.
2023 begann sich der Abschluss des Restitutionsprozesses abzuzeichnen. Auf Vermittlung des Wien Museums kam die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien in Kontakt mit dem Vertreter der Erbengemeinschaft, Rohan Kux. Sein Großvater war Neffe von Wilhelm Kux und ist nach Australien emigriert, wo Rohan Kux wohnt. Dieser bekräftigte das Ansinnen, die Büste als Andenken an Wilhelm Kux in Wien zu belassen, wo Kux gelebt hat. „Schließlich habe die Büste Wien nie verlassen“, so Rohan Kux. Schlussendlich erklärte sich die Familie bereit, der Gesellschaft der Musikfreunde die wertvolle Büste zu schenken. Ausschlaggebend war dafür die enge Beziehung des „Urgroßonkels“ Wilhelm mit der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Zudem war auch Beethoven Ehrenmitglied der Gesellschaft und der langjährige Besitzer Andreas Streicher deren Gründungsmitglied.
Ende Oktober 2024 war es schließlich so weit. Beethovens Büste überquerte vom Wien Museum zum Musikverein den Karlsplatz, wohlbehütet in einer voluminösen Klimakiste. Rohan Kux, der Wien besuchte, nahm im Namen seiner Familie an der Übergabe im Musikverein teil. Zudem ließ er sich nicht die Gelegenheit entgehen, jene Handschriften anzuschauen, die Wilhelm Kux der Gesellschaft der Musikfreunde geschenkt hatte. In Anwesenheit des Direktionsmitglieds Tassilo Metternich-Sándor, des Intendanten und der Kaufmännischen Geschäftsführerin wurde die Büste von Rohan Kux schließlich feierlich übergeben. Allein das Öffnen der Kiste hatte nahezu weihevollen Charakter. Als würde man Beethoven persönlich auspacken. Der strenge, introvertierte, vielleicht sogar etwas grantige Blick flößt Betrachter:innen unwillkürlich Respekt ein.
Ist sie es nun oder nicht? Die allererste Büste? Die wichtigste Beethoven-Büste weltweit? – Die Wahrscheinlichkeit ist durchaus hoch. Verglichen etwa mit einem Abguss des Beethoven-Hauses Bonn von 1890 wirkt die Büste der Gesellschaft der Musikfreunde deutlich detaillierter, auch weniger geglättet. Und auch die Akten des Wien Museums sprechen dafür. Beweisen lässt es sich allerdings momentan nicht.
Sicher ist jedenfalls, dass die Büste nicht nur wertvoll ist, sondern auch dem äußeren Erscheinungsbild Beethovens sehr nahekommt und als Hauptquelle für sein Aussehen gilt. Und mit ihrer Geschichte ist die Büste einzigartig. Vom Klavierbauer Andreas Streicher über den vertriebenen Musikliebhaber und Mäzen Wilhelm Kux bis hin zur Restitution und der Schenkung an die Gesellschaft der Musikfreunde schließt sich gewissermaßen auch ein Kreis.
In absehbarer Zeit soll die Büste der Öffentlichkeit präsentiert werden.