Das Geheimnis der Harmonie und der Intuition: Bach und Schubert in den „Musikverein Perspektiven“
Von Daniel Ender
31.01.2025
Seit der Antike gehört die Musik als Teil der (septem) artem liberales (sieben freien Künste) zu den zentralen Wissensgebieten, zum Kernbestand abendländischer Bildung. Der mittelalterliche Gelehrte Boethius unterschied die kosmische Musik der Sphären (musica mundana), die Musik der menschlichen Seele (musica humana) und die hörbare, von Menschen hervorgebrachte Musik (musica instrumentalis). Demnach galt die Tonkunst als ein Mittel, um Ordnung und Struktur im Universum zu erforschen und zu verstehen – ein Bild, das den Bogen auch zu anderen Teilen der „Musikverein Perspektiven: Anton Zeilinger“ spannt, etwa zu Joseph Haydn und Karlheinz Stockhausen.
Schon der Philosoph Platon ging davon aus, dass bestimmte Tonarten dazu in der Lage sind, in der menschlichen Psyche eine Resonanz herzustellen und einen Einfluss zu bewirken – eine Überzeugung, die über die gesamte Geschichte der (westlichen) Zivilisation erhalten geblieben ist. Dies wirkt sich bis in die Sprache aus: Ist es nicht verwunderlich, dass in der deutschen Sprache für die emotionale Gestimmtheit von Menschen und für die Feinjustierung der Töne bei Instrumenten dasselbe Wort Stimmung verwendet wird? So vielfältig sind auch die an diesem Abend anklingenden Themen: Inwiefern versteht man Musik besser, wenn man sich ihr mit dem Verstand oder mit Emotionen annähert?
Nur scheinbar sind die beiden Komponisten des Programms diesbezüglich gegensätzlich: Johann Sebastian Bach gilt zwar als rationaler, mathematisch denkender Künstler und Franz Schubert als „Romantiker“ par excellence. Beides muss man jedoch differenzieren. Über Bach hieß es im Nachruf auf ihn in der „Musikalischen Bibliothek“ von Lorenz Christoph Mizler, keiner habe wie er „die verstecktesten Geheimnisse der Harmonie in die künstlichste Ausübung gebracht“ und „bey diesen sonst trocken scheinenden Kunststücken so viele Erfindungsvolle und fremde Gedanken angebracht“. Bach verstand es zugleich auch, Emotionen (zu seiner Zeit Affekte genannt) präzis und vielfältig auszudrücken. Und Schubert bemühte sich zeitlebens auch um die große Form der Sonate und der Symphonie, um deren architektonisches Gleichgewicht, ebenso wie um die konstruktive Form der Fuge.
András Schiff und Anton Zeilinger werden über Fragen sprechen, die sich aus solchen scheinbaren Gegensätzen ergeben: Kann man Bachs Musik als „Wissenschaft“ verstehen? Immerhin war er, ebenso wie Georg Philipp Telemann und Georg Friedrich Händel, eines der erlesenen Mitglieder der „Correspondierenden Societät der musicalischen Wissenschaften“ des bereits erwähnten Mizler. Was kann die akustische Analyse von Musik über deren Wesen aussagen? Hat auch das wissenschaftliche Denken etwas Poetisches an sich? Bedeutet Schuberts Zugang einen Gegensatz zu jenem von Bach?
Anton Zeilinger hat für seine Tätigkeit als Wissenschaftler festgestellt, dass allein mit Hilfe der Rationalität keine neuen Erkenntnisse möglich sind: „Wenn jemand Naturwissenschaft betreibt, ohne dass die Intuition eine zentrale Rolle spielt, dann macht er die Physik des vorigen Jahrhunderts und nicht moderne Physik.“ Und auf der Suche nach wirklicher Innovation meint er, dass sie nur dort stattfinden könne, wo die Grenzen des Verstandes durch das Vertrauen auf seine ganz persönlichen Ahnungen überwunden werden können: „Jeder in der vordersten Reihe der Forschung wird zugeben müssen, dass das Neue dort stattfindet, wo man nicht mehr rein logisch vorgehen kann – sondern intuitiv-emotional.“
Sonntag, 23. Februar 2025
Anton Zeilinger
Sir András Schiff | Klavier
Christophe Coin | Arpeggione
Johann Sebastian Bach
Das wohltemperierte Klavier (Auszüge)
Anton Zeilinger im Gespräch mit András Schiff über die mathema-tische Festlegung der wohltemperierten Tonleitern und ihre Bedeutung im musikalischen Ausdruck
Franz Schubert
Sonate für Arpeggione und Klavier a-Moll, D 821
Anton Zeilinger im Gespräch mit András Schiff über physikalische und musikalische Aspekte der Entwicklung von Musikinstrumenten