Interessant, dass Sie diese Mission so befeuert hat.
Das hat sie. Für mich ist jedes Konzert eine Prüfung. Wenn an einem Abend das Beethoven-Violinkonzert auf dem Programm steht, wird niemand die Frage stellen, ob das ein gutes Werk ist. Aber die Musik, die wir machen, also Ur- und Erstaufführungen, Konzerte, die erst vier, fünf Jahre alt sind, stehen immer vor dem Publikum zur Verhandlung. Wenn ich da rausgehe und das Schlagwerkkonzert von Kalevi Aho spiele, diskutieren die Zuhörer und das Orchester ganz sicher, ob es gut ist. Ich muss es also schaffen, das Werk mit so viel Leidenschaft und Begeisterung zu bringen, dass sie sagen: „Großartig, wir haben etwas Neues für unser Repertoire.“
Die Diskussion beginnt doch schon, lange bevor Sie ein neues Werk aufführen. Um das überhaupt tun zu können, müssen Sie erstmal den Veranstalter überzeugen.
Sicher, aber gerade im Wiener Musikverein gab es dafür immer wieder die Offenheit. Bloß, wenn ich das Stück nicht gut spiele, wird der Veranstalter es künftig nicht mehr machen wollen. Darum muss ich überzeugen, damit es ein anderer Künstler wieder spielen kann. Und dann kann das Publikum die Interpreten vergleichen, so wie es beim Beethoven-Violinkonzert etwa Janine Jansen, Nigel Kennedy oder Lisa Batiashvili einander gegenüberstellt. Das brauchen wir Schlagzeuger auch.
Und wie treffen Sie Ihre Selektion? Nicht alles, was neu ist, muss spielenswert sein.Meistens haben die Komponisten, die ich beauftrage, schon ein großes Werk. Ich schaue mir die Partituren an, treffe den Komponisten mehrfach. Ein Friedrich Cerha etwa steht in einer Reihe mit den großen Komponisten Österreichs der vergangenen 300 Jahre. Dieser Mann ist eine Legende.
Es gibt aber nicht nur Cerhas.
Klar. Bei den jüngeren Komponisten riskiert man mehr. Aber selbst wenn ich das Gefühl habe, das Werk ist nicht überragend, werde ich das Maximum rauspressen, um es abheben zu lassen. Da ist viel möglich.
Wobei es ein Percussionist ja leichter hat, Zuhörer mit zeitgenössischer Musik in den Bann zu ziehen, als etwa ein Geiger. Denn es gibt unendlich viel klassische und romantische Literatur für Violine, die mit zeitgenössischer konkurriert. Das ist beim Schlagzeug nicht der Fall.
Wir tun uns sicher leichter, wir haben kein Tschaikowskij-Schlagzeugkonzert. Unser Repertoire stammt aus den letzten 30 Jahren. Nur: Wenn man sich die Musikgeschichte ansieht, hat es immer große Solisten gegeben, die Mozart, Beethoven oder Brahms inspiriert haben. Warum hat Mozart dieses wunderschöne Klarinettenkonzert geschrieben? Weil er Anton Stadler kannte, der großartig Klarinette spielte. Alle Musiker, nicht nur wir Schlagzeuger, haben einen musikgeschichtlichen Auftrag.
Wird dieser Auftrag jetzt wahrgenommen?
Ich meine das als ernste Kritik: Viele Künstler und Orchester haben sich der musikgeschichtlichen Verantwortung und Tradition völlig entledigt. Was Anton Bruckner uns heute ist, wird Friedrich Cerha in 100 Jahren sein, das muss uns doch klar sein. Und auch, dass Komponisten Indikatoren für die Zukunft sind. Wenn ich die Wahl hätte, mich entweder mit einem Zukunftsforscher oder einem zeitgenössischen Komponisten zu unterhalten, würde ich mit dem Komponisten reden wollen. Letzterer kann viel weiter vorausschauen.
Ohne das zu beabsichtigen.
Stimmt, aber er tut es. Das ist für jeden von uns spannend. Wenn wir heute in einer Uraufführung von Olga Neuwirth oder Johannes Maria Staud sitzen, kann es sein, dass wir einen Moment erleben, über den die Leute noch in 150 Jahren reden. Und wir waren dabei! Das hat doch eine enorme Faszination.
Das Gespräch führte Judith Hecht.
Mag. Judith Hecht ist Juristin und Journalistin bei der „Presse“, wo sie für das Sonntagsinterview „Letzte Fragen“ zuständig ist.