Weit gefehlt. Es kommt bald ganz anders, als manch resignierter Zeitgenosse vermutet. Das Wien des späten 19. Jahrhunderts entwickelt sich zum Schauplatz einer großen, faszinierenden Musikepoche, aufregend deshalb, weil zwei Lager, zwei „Musikanschauungen“ heftig um die Gunst des Publikums kämpfen: Die Partei der Konservativen, der „Klassizisten“ um Johannes Brahms, und die der „Fortschrittlichen“ um Richard Wagner, die in Wien begeistert auch für Anton Bruckner und seine monumentalen Symphonien eintreten. Keine Zeit des beschaulichen Historismus, der melancholischen Rückschau. In Wien gerät man in Auseinandersetzungen, erlebt man Musikgeschichte hautnah, muss man Farbe bekennen. Keine Frage, dass dies junge Menschen fasziniert, dass dies Talente anzieht. Und drei überaus talentierte junge Musiker, die zu dieser Zeit am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde studieren, werden sich – auf sehr unterschiedliche Weise – in der Musikwelt einen Namen machen: Hans Rott, Gustav Mahler und Hugo Wolf.
Das Konservatorium, die Stätte ihres gemeinsamen Studierens, ist zu dieser Zeit bereits zu einer gewichtigen Wiener Institution geworden; zurückgehend auf das Jahr 1812, in dem die Gründung der Gesellschaft der Musikfreunde erfolgt, die sich von Anfang an der Ausbildung junger Musiker annimmt, hat es sich im Laufe der Jahrzehnte einen hervorragenden Ruf erworben; der Streit der musikalischen Parteien darf sich innerhalb seiner Mauern allerdings nicht artikulieren. Hier unterrichten neben Anton Bruckner auch Brahms nahestehende Professoren wie Robert Fuchs, es geht um die Vermittlung gesicherter, gediegener Kenntnisse, nicht um „Zukunftsmusik“. Was die jungen Männer allerdings nicht daran hindert, „draußen“ mit größtem Engagement, mit überschäumender Begeisterung ihre eigenen Leitbilder zu suchen, und vor allem ein Name ist es, in dem sich ihre Hingabe bündelt: Richard Wagner. Sie bekennen sich zu Wagners Musikdrama, seiner revolutionären musikalischen Sprache. Und es ist keine zurückhaltende, dezente „Szene“, in der sie sich bewegen; ein Zeitgenosse nennt die jungen Wiener Wagnerianer eine „Clique tobsüchtiger Jünglinge in Samtröckerln mit Lavallière-Kravatten und langen Haaren“. Jugendliche Begeisterungsfähigkeit, nicht ohne Lust an der Provokation, sucht und findet ihre Sprache und ihren Habitus.