Vielleicht ist seine Liebe zum Gesang sein Ur-Geheimnis, ein offenes, das er mit allem Humor immer wieder einsetzt. Ja, Humor, Direktheit, der köstliche Macher-Instinkt, der auch viel Unmögliches möglich macht, der zeichnet ihn aus. Wo andere grübeln, macht er lieber gleich Musik; und wenn er sie erklärt, öffnet er den Kosmos seines Wissens völlig unverkrampft, doch passioniert, wobei er komplizierte Zusammenhänge greifbar „übersetzt“. Man spürt sein hermeneutisches Talent, die verschiedenen Welten qua Sprache ebenso zu vermitteln wie durch Musik.
Niemals kann man Pappano völlig festlegen auf ein Fach, einen Stil, ein Genre – außer aufs Gesangliche, aufs Singen. Und natürlich ist er in der Oper der Matador: Das ganze große italienische Repertoire ist dokumentiert in seinen Realisationen, sozusagen heute ein Qualitätssigel für italienische Belcanto-Oper. Das aber ist nicht alles, er steht neben der Italianità auch für einen aufgeklärten, einen sinnlichen Wagner, wie nicht nur seine „Meistersinger“ beweisen. Die zweite Seele jedoch wohnt in der absoluten Musik bei Pappano, beim Konzertdirigenten, als den wir ihn in Wien erleben dürfen mit „seinem“ Konzertorchester, dem Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia Rom, das natürlich die Oper, das „Cantando“, ins symphonische Werk mitnimmt. Bei Pappano hat auch das Sprödeste eine gewisse Kulinarik. Sein Repertoire ist zwar groß, symphonische Aufnahmen im Vergleich gibt es jedoch bis heute nur wenige.
Geradezu symbolisch, dass Sir Antonio ausgerechnet Mahlers „Tragische“, die Sechste, wie ein Bekenntnis aufgeführt und aufgenommen hat – ein allzu oft als unbesteigbares Gebirge verschrieenes Opus. Pappanos Zugriff zeigt seine ganze Eigenart. Er macht nämlich gerade keinen expressionistischen Tiefschlag daraus, indem er sich auf die Ausspielung der rabiaten Extreme setzt; er sucht vielmehr die Klassizität der Form, wo sie sich zeigt; er lässt das polyphone Moment Orientierung schaffen, und – wie könnte es anders sein – entdeckt auch die Hand des Operndirigenten Mahler, gestaltet gleichsam szenische Momente so klangsinnlich, dass man die große Belcanto-Oper hört, die Mahler ein Leben lang mit aller Intensität dirigiert hat. Diesen vielleicht gar mediterraneren Mahler hat Pappano in einem grandiosen römischen Mahler-Zyklus entwickelt. Dass dieser Opernmeister Sir Antonio auch dem Neuen jederzeit offen ist, zeigt unter anderem die zwingende Realisation von Peter Eötvös’ bestürzendem Opus für die Opfer unter den Flüchtlingen, die Italiens Grenze erreichen wollten: „Alle vittime senza nome“ – der Italiener Pappano ist dafür der authentische Interpret.
Das Wiener Programm der italienischen Gäste ist ganz und gar symphonisch, und unter Pappanos Stabführung umso spannender; denn wir dürfen nun auch hier mediterrane Aufklarung der großen Grübler erwarten: Brahms und Sibelius. Das erste Klavierkonzert von Brahms ist eine verhinderte Symphonie, wie man weiß. Hier geht es nicht explizit um die Dialektik von Süd und Nord, sondern um die geheime Offenbarung der Sinne – und so mag Daniil Trifonov mit Pappano auch hier den versteckten Liebesgesang offenbaren: „ein sanftes Porträt von Dir“ – so das berühmte Brief-Zitat von Brahms an Clara Schumann, wenn der Komponist im zweiten Satz die ewige, nie erreichte Geliebte meint und das Thema aus ihr entfaltet. Bei Pappano kann diese Spannung zum Ereignis werden, weil hier Brahms’ Gesang auf reflektiertestem Niveau zu sich kommt.