Was ist es nur, das den Attersee so anziehend macht, dass Künstler, insbesondere Musikschaffende, sich so gern an seinen Ufern niederlassen, um kreativ zu werden oder auch einfach auszuruhen vom rastlosen „Betrieb“ mit all seinen Terminen und Sachzwängen – oder beides zusammen? Monika Mertl durchstreift Wiens Musikdependance im Attergau.
Allein die Kulisse – die türkisblaue Fläche des Sees, der trotz der Klarheit seines über weißem Kies schimmernden Wassers unergründlich bleibt, mit der dramatischen Gebirgslandschaft im Rücken – übt einen Reiz aus, der sich niemals verbraucht. Und das raue, alpine Klima verleitet niemals zum bloßen Dolcefarniente, denn auch nach flirrend heißen Sommertagen strömt die Natur relativierende Kühle aus. Inspiration liegt in der würzigen Luft, ein Duft von unverbrauchten Ideen und ein Gefühl von Freiheit, sich ihnen ohne Zeitdruck auszuliefern, sich hinzugeben an die Gedanken und Gefühle, die Gestalt annehmen wollen. Und dass „alles schon wegkomponiert“ sei, wie Gustav Mahler gegenüber Bruno Walter kess behauptet hatte, lässt sich nicht bestätigen. Doch als einer der Ersten, die die einzigartige Atmosphäre erfühlten und für sich nutzten, hat Mahler zweifellos einen Trend gesetzt. Von 1893 bis 1896 verbrachte er hier schöpferische Auszeiten von seinem nervenaufreibenden Brotberuf als Kapellmeister in Hamburg. 1894 ließ er sich vom Baumeister Josef Lösch aus Schörfling ein „Schnützelputz-Häusel“ auf die Wiese vor dem Gasthof „Zum Höllengebirge“ stellen, wo er, „umgeben von Blumen und Vögeln (welche ich nicht höre, sondern nur sehe)“, die Zweite Symphonie vollendete und die Dritte komponierte. Auf dem Campingplatz des heutigen Gasthofs Föttinger in Steinbach ist das karge „Arbeits-Sanktuarium“ zu besichtigen – ein seltsam berührendes Monument intellektueller Höchstspannung im Umfeld von Zelten und Luftmatratzen, Touristentrubel und Kindergeschrei.
Mahlers Kollegen hatten die Region gleichfalls entdeckt, zumindest anlässlich einzelner Aufenthalte, wie Anton Bruckner, der in Attersee weilte. Hugo Wolf hatte die Sommermonate 1888 und 1890 in der Villa Eckstein in Unterach genossen. Auch Johannes Brahms war Gast in Unterach gewesen. Der Berghof in Burgau, Wohnsitz von Ignaz Brüll, entwickelte sich am Beginn des 20. Jahrhunderts zum Künstlertreff, wo Operndirektor Franz Schalk ebenso verkehrte wie die Dirigenten Felix Weingartner und Bruno Walter. Bis heute kündet die Vielzahl prächtiger Villen in Unterach von der Präsenz der Wiener Musikszene. Galionsfigur war Maria Jeritza, die 1925 die Villa Goldberger erwarb und 1931 die umgebaute Villa Eckstein bezog. Dort pflegte sie, die ab 1935 in Amerika verheiratet war, zwanzig Jahre lang ihre Ferien zu verbringen, befeuerte Klatsch und Tratsch mit ihren extravaganten Hüten und richtete großzügige Sommerfeste aus, bei denen sich die Unteracher Kinder die Bäuche vollschlagen konnten. Als Ehrenbürgerin der Gemeinde ging sie in die Geschichte ein; nicht nur die Villa, sondern auch die Hauptstraße tragen ihren Namen. In den 1980er Jahren ließ sich auch der früh verstorbene Cellist und Dirigent Heinrich Schiff in Unterach nieder. In seinem Haus mit dem wunderschönen Studio hielt er gerne den Unterricht für seine Studenten ab, die er meist für ein Wochenende zu sich einlud. Da wurde dann nicht nur intensiv geübt und diskutiert; Schiff kochte auch für die jungen Leute, man aß, trank und lebte gemeinsam.