Unverwechselbare Aura
Als „Astraea“ improvisierten die drei Gleichgesinnten von 1975 bis zur Emigration von Viktor Suslin im Jahr 1981 im Trio – benannt nach der griechischen Göttin der Gerechtigkeit, die als Letzte die Erde verließ; sie musizierten meist ganz allein, ohne Publikum, ohne Kritik und, wie Sofia Gubaidulina bemerkte, „ohne störende Momente“. „Sonja [so wurde Sofia Gubaidulina von Freunden gerne genannt, Anm.] war der geborene ,Schamane‘ am Schlagzeug“, erinnerte sich Viktor Suslin später. „Oft spielte sie die Rolle des ,Brennstoffs‘ in unserem gemeinsamen Motor und ein erstaunlicher Dämonismus brach mitunter aus ihr hervor, wenn sie während des Spiels in Trance verfiel. Diese Impulse, die während der Improvisation von Sonja ausgingen, sind wahrscheinlich mit die allerstärksten musikalischen Eindrücke meines Lebens ...“
Für Sofia Gubaidulina war Astraea wohl darin von eminenter Bedeutung, dass sie im gemeinsamen Improvisieren zwei wesentliche Momente ihrer tartarischen, mithin asiatischen Wurzeln musikalisch ausleben und kultivieren konnte: den Umgang mit Zeit und Klang, der bis heute ihrer Musik die unverwechselbare, persönliche Aura verleiht. Und vor allem: „Für uns ging es darum, seelische Kräfte hervorzurufen“, verriet sie der norwegischen Musikjournalistin Bodil Maroni Jensen im Interview. „Astraea war eine intuitive Tätigkeit.“