Komponieren am Schreibtisch heißt immer auch Dialog mit sich selbst, aber daneben findet auch ein ständiger Dialog mit der Geschichte statt. Welche kompositorischen Traditionen sind für Sie wichtig?
Staud: Ich schreibe nie im Bewusstsein, mich in eine Tradition zu stellen. Ab und zu nehme ich ein Werk heraus, das mich gerade interessiert, beschäftige mich intensiv damit, aber ich sehe Musikgeschichte nicht chronologisch. Es gibt so viele Seitenstränge und Abweichungen, Hauptwege, die sich später als unwesentlich erweisen. Eigentlich hat Bernd Alois Zimmermann diese Frage sehr schön beantwortet: mit dem von Augustinus entlehnten Bild der Kugelgestalt der Zeit. Das finde ich sehr treffend.
Resch: Natürlich gibt es Musik, die ich mehr mag als andere, aber auch ich gehe da eher unsystematisch vor. Manchmal stoße ich aus irgendwelchen Gründen auf Musik aus dem Mittelalter, auf Jazz – oder was auch immer, und finde Aspekte, die mich inspirieren. Man ist als Komponist ein bisschen wie ein Trüffelschwein auf der ständigen Suche und gräbt dafür an den unterschiedlichsten Stellen, ohne immer genau zu wissen, was man gerade sucht.
Doderer: Bei mir ist das ganz anders. Ich baue ganz bewusst auf Traditionen auf und sehe schon einen zeitlichen Raum, der gewissermaßen hinter mir liegt. Die Entwicklung der Mehrstimmigkeit, auf deren Spitze wir jetzt stehen oder die wir vielleicht auch verfehlt haben – das wird man später entscheiden. Tradition ist mir schon wichtig, und ich beschäftige mich auch mit ihr. Natürlich gibt es Komponisten, die mir näher sind, aber prinzipiell beeinflusst uns alles, was vor uns war, und daran messe ich auch die Musik, die ich schreibe. Ich glaube, dem können wir gar nicht entkommen.