Eine wunderschöne Vorstellung
Nach dem dämonischen Scherzo mit seinen heftig wiederholten Schlägen und dem an die Geisterwelt Shakespeares erinnernden Trio tut sich mit dem Intervall der aufspringenden None und dem stufenweise geführten chromatischen Thema eine besondere Welt auf. Bruckners Gestaltung der Themen verbindet sich für Manfred Honeck mit den Textzeilen des „Agnus Dei“, dem letzten Teil einer Messe: „Ich habe keine Belege, aber wenn man die lateinischen Worte der Musik unterlegt, staunt man, wie gut der Text ,Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis‘ auf diese Motive passt. Später gibt es eine Stelle mit der wunderbarsten Harmonie Bruckners: Hier ist es, als würde eine Tür aufgehen, als sei die Bitte um Erbarmen, ,Miserere‘, erfüllt worden.“ Zum Schluss löst sich alles auf in Frieden – „Dona nobis pacem“. Seine Neunte Symphonie hat Bruckner ja keinem Geringeren als dem „lieben Gott“ gewidmet. „Dass der letzte vollendete Satz Bruckners ein „Agnus Dei“ sein kann, ist für mich eine wunderschöne Vorstellung. Ich bin überzeugt, dass Bruckner hier an das Leiden, an die Bitten um Erbarmen und Frieden gedacht hat. Vielleicht hört man es in unserer Interpretation, auch wenn man nicht katholisch ist. Man muss es ja nicht verstehen, aber man kann es emotionell erfahren.“ So spannen sich die beiden Konzerte von Manfred Honeck und dem Pittsburgh Symphony Orchestra von der Auferstehung zum Friedensgebet und münden schließlich in die strahlenden Fanfarenklänge des „Te Deum laudamus“. Dass diese musikalischen Höhenflüge in Wien gerade um das Fest Allerheiligen stattfinden, trifft sich besonders gut.
Katharina von Glasenapp
Katharina von Glasenapp ist als Musikjournalistin im Bodenseeraum tätig.