Wandlungen eines Zauberwesens
Im Westen war sie inzwischen ein Geheimtipp, den sich die Salzburger Festspiele nicht entgehen lassen wollten. Sie feierte ihr Festspieldebüt als Donna Anna. Dann wurde Nikolaus Harnoncourt auf sie aufmerksam und besetzte sie als Susanna in jener berühmten Produktion von 2006: zwei Partien also, mit denen ihre Karriere einst begonnen hatte. Ihre Violetta, der sie sich vorher, wie erwähnt, verweigert hatte, geriet bald danach in Salzburg zu einem Triumph sondergleichen. Es entwickelte sich ein wahrer Netrebko-Hype. Auch Wien bemühte sich sofort, dieses Zauberwesen einzufangen. Das war nicht schwer: Der Netrebko gefiel die Donaumetropole so sehr, dass sie sich hier einen Wohnsitz zulegte, mittlerweile mit österreichischem Zweitpass und dem Titel einer Kammersängerin. Doch da war immer noch Valery Gergiev, mit dem sie regelmäßig an der New Yorker Met gastierte und neues Repertoire vorstellte. Manche Partien probiert sie unter den sorgsamen Händen ihres Mentors zuerst in St. Petersburg aus. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass etwas nicht ihren eigenen hohen Ansprüchen entspricht, legt sie eine Rolle wieder ab: so geschehen 2009 mit ihrer Lucia. Netrebkos mädchenhafte Fröhlichkeit und Koketterie, die sie ihren Fans gern zeigt, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie eine sehr ernsthafte Künstlerin ist, vor allem sehr genau auf ihre Stimme hört. Als nach der Geburt ihres Sohnes sich diese zu verändern begann, schwerer, größer und dramatischer wurde, begann Netrebko nach und nach, sehr vorsichtig zuerst, ihr Repertoire umzustellen. Inzwischen ist sie unbeschadet im Verdi-Repertoire angekommen, am spektakulärsten in letzter Zeit war ihre Lady Macbeth. Ein Londoner Kritiker schwärmte von der „most wicked Lady“, die er bisher erlebte. Auch Ausflüge ins deutsche Fach hat sie schon erfolgreich unternommen. Nach Orchesterliedern von Richard Strauss zuletzt die „Lohengrin“-Elsa, die diesen Sommer auch ihr Bayreuth-Debüt bringen wird. Gergiev wird übrigens auch dort sein, allerdings als Dirigent des „Tannhäuser“.