Hübsche Stimmen und der Zeitgeist
Werner Güra, der diese Überzeugung lebt, nimmt seine Studierenden aus dem Kontext ihres Lebens wahr. Sie kommen mit hübschen, starken, schönen Stimmen in seine Klasse – aber eben auch mit all dem, was der Zeitgeist ihnen aufbürdet: einer immensen Fülle (theoretischer) Möglichkeiten und dem bedrängenden Anspruch, sich unbedingt verwirklichen zu müssen, und das noch möglichst rasch. „Es gibt die Grundlage für viele, sich zu verwirklichen“, sagt Güra. „Aber eine Verwirklichung braucht eben auch unfassbar viele Einsichten – die meisten sind da erst einmal überfordert.“ So geht es im Studium vielfach auch darum, Druck wegzunehmen, damit Entwicklung überhaupt stattfinden kann. Es ist ein schwieriges Unterfangen in Zeiten wie diesen. Der Voyeurismus im Netz lässt kaum mehr Raum fürs unbeobachtete Sich-Erproben. „Jeder Mist“, sagt Güra deutlich, „wird aufgenommen. Wenn du Pech hast, wird irgendwo in der Pampa etwas von dir mitgeschnitten und auf Youtube gestellt – das führt zu einer unglaublichen Unfreiheit im künstlerischen Bereich.“ Und dann drängt diese Zeit penetrant auf Effizienz. Werner Güra erfährt es auch als Künstler. Erst neulich wieder, erzählt er, habe er in Deutschland eines dieser total durchorganisierten Konzertprojekte erlebt. Klavierprobe, Orchester- und Generalprobe, Konzert – alles aufs Dichteste zusammengepackt. „Der Dirigent war so beschäftigt, dass er während der ganzen Produktion kein einziges Wort mit mir gesprochen hat.“ Nach dem Konzert folgte, via Agentur, die Anfrage fürs nächste Engagement. Alles bestens demnach.