Des Kaisers neue Kleider
Der merkantile Erfolg von Fälschern beruht einerseits auf dem übermächtigen Wunsch mancher potenzieller Käufer, ein Original zu besitzen, andererseits auf dem nicht weniger mächtigen Wunsch mancher Kunsthändler, fette Gewinne zu lukrieren. Was dazu führt, dass beide, sei es echt überzeugt oder falsch berechnend, nur mehr das sehen, was sie sehen wollen. Natürlich will weder der Käufer noch der Experte dumm dastehen. Das nicht vorhandene Interesse an der eventuellen Aufdeckung einer Fälschung erschwert diese außerordentlich. Den allgemeinen Mechanismus dieses Phänomens beschreibt Hans Christian Andersen in seinem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ auf treffende Weise.
So ging der Kaiser in Prozession unter dem prächtigen Thronhimmel, und alle Menschen auf der Straße und in den Fenstern sprachen: „Gott, wie sind des Kaisers neue Kleider unvergleichlich; welche Schleppe er am Kleide hat, wie schön das sitzt!“ Keiner wollte es sich merken lassen, dass er nichts sah, denn dann hätte er ja nicht zu seinem Amte getaugt oder wäre sehr dumm gewesen. Keine Kleider des Kaisers hatten solches Glück gemacht wie diese. „Aber er hat ja nichts an!“, sagte endlich ein kleines Kind. „Herr Gott, hört des Unschuldigen Stimme!“ sagte der Vater; und der eine zischelte dem andern zu, was das Kind gesagt hatte. „Aber er hat ja nichts an!“, rief zuletzt das ganze Volk. Das ergriff den Kaiser, denn es schien ihm, sie hätten recht; aber er dachte bei sich: „Nun muss ich die Prozession aushalten.“ Und die Kammerherren gingen noch straffer und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.
Was das Kind in Andersens Märchen ausrief, würde kein Kind des 21. Jahrhunderts auch nur denken, im Angesicht von Kunst. Und wenn doch, so würde kein Erwachsener ihm zustimmen und schon gar nicht das ganze Volk. Heute weiß jedes Kind: Ein Kunstwerk ist ein Kunstwerk ist ein Kunstwerk, sobald es zu einem solchen erklärt worden ist.