Wie man Wissen schafft
Jetzt also seine neuen „Brandenburgischen Konzerte“ mit den Berliner Barock Solisten, mit denen Reinhard Goebel im April nach Wien kommen wird. Erklingen werden, natürlich, moderne Instrumente, ganz im Sinne des einstigen Darmsaiten-Geigers, für den das Originalinstrument heute keine Qualität mehr an sich ist. Auf Äußerlichkeiten wie Barockbogen, Darmsaiten oder den fehlenden Stachel am Cello lege er nicht den geringsten Wert, „es interessiert mich überhaupt nicht“. Die Frage des historisch „korrekten“ Instruments ist also für ihn unwichtig geworden, die Frage des historisch korrekten Musizierens dagegen keineswegs. Er ist immer noch davon überzeugt, dass allein das Wissen um die Musik, die Zeit, die Umstände, die Gesellschaft zu einem gültigen Ergebnis führen kann. „Bach begann vor ungefähr 300 Jahren, seine ,Brandenburgischen Konzerte‘ niederzuschreiben. Das ist 300 Jahre her, und niemand ist per se durch irgendwas oder Handauflegen mit diesem Mann verbunden. Wir haben ihn zu studieren. Wir können nicht sagen: ,Ich bin von Natur aus sehr Bach-affin‘. Auch in meinem Kollegenkreis gibt es ja solche, die von sich glauben, sie seien eine Originalquelle.“
Echte Originalquellen legt er seinen Studierenden am Mozarteum Salzburg auf den Tisch – im Herbst 2010 wurde Reinhard Goebel dort zum Nachfolger von Nikolaus Harnoncourt als Professor für historische Aufführungspraxis berufen. Ein Feld, auf dem noch viel zu tun ist, der 66-Jähgrige wird wieder gewohnt deutlich in einem Interview mit dem VAN-Magazin: „Diese junge Generation ist zum Teil so maßlos unbeschlagen, dass es schon fast wehtut. Es ist ihnen nie vorgemacht worden, etwas erklären zu müssen, außer sich selbst. ,Ich will das so, also machen wir es jetzt so.‘ So fängt das an. Die Selbstverliebtheit und Selbstvernarrtheit der Musiker.“ Ob er ein Besserwisser sei, wurde er da zum Abschuss gefragt. Besserwisser sei ja pejorativ, also etwas Schlechtes, so seine Antwort. „Ich glaube, die meisten haben schon Angst vor mir, weil ich ein Wisser bin.“
Stefan Schickhaus
Stefan Schickhaus lebt als freier Musikjournalist in Wiesbaden und schreibt regelmäßig für die „Frankfurter Rundschau“.