Ins romantische Herz
Barthes vergisst, als Franzose, niemals in diesem Kontext, dass die deutsche Sprache durch die kunstvolle Sprachlichkeit ihrer Gedichte mit einem speziellen Bedeutungsgewicht beschwert ist, das in der deutschen Poesie selbst liegt. Höchst liebevoll verfolgt er nun, was im deutschen Lied-Kontext die Musik sei. Und antwortet: „Die Musik ist, was zwar ausgesprochen, aber nicht artikuliert wird … ein Diskurs der Liebe.“ Damit trifft Barthes in die Mitte des deutschen poetischen Gefühls, auf jenes „in allen Dingen schlafende Lied“: „Eine Musik, die nur Sinn hat, wenn ich sie immer in mir selbst mit meinem Leib singen kann.“
Barthes gelingt damit, ins „romantische Herz“, wie er sagt, des deutschen Liedes vorzudringen: „Für den Liebenden singt der romantische Gesang immer die Stimmung des verlorenen, verlassenen Subjekts.“ Denn: „Wer hört nun dieses Lied? Das Lied Schuberts und Schumanns, den glühenden Kern des romantischen Gesangs? Sein wahrer Hörraum ist das Innere meines Kopfes. Das Lied setzt eine strenge Gesprächssituation voraus, aber dieses Gespräch ist imaginär – die einzige reaktive Kraft ist die unwiderrufliche Abwesenheit des geliebten Wesens.“ Und eben das prägt unverwechselbar den Gesang der „dichtenden Musiker des romantischen Deutschland“. Ja, und da schließt denn Barthes mit dem schönen, für das deutsche (und österreichische) Gemüt so treffenden Satz: „Wer sich darin, im Lied, ausdrückt, ist ein sonderbares, unzeitgemäßes, abweichendes, und, man könnte sagen: verrücktes Subjekt.“
Georg-Albrecht Eckle
Georg-Albrecht Eckle lebt in München und ist
Autor und Regisseur – mit einem besonderen Akzent auf dem Dialog
zwischen Wort und Musik.