Das Versteckte sprechen lassen
Doch auch die Freigiebigsten behalten sich noch gern etwas zurück – es gibt Dinge, an denen man hängt, und Kostbarkeiten, mit denen man auf Tuchfühlung bleiben will. Die Hofmanns nennen diesen Schatz ihre „Handbibliothek“. Aber auch dafür haben sie eine Bestimmung getroffen. Er soll – als ihr Geschenk – an jenen Ort kommen, an dem Brahms seinen Nachlass wissen wollte: ins Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Etliches ist nun schon hier, Wertvollstes von Brahms’ eigener Hand wie das Autograph des Capriccios op. 76/2, Briefe, Korrespondenzkarten und ein Albumblatt, das Johannes mit Clara gemeinsam beschrieben hat …
So schließt sich ein Kreis, und der Bogen rundet sich zwischen den Brahms-Städten Hamburg und Wien. Wie war das nun wirklich mit Brahms und seiner Vaterstadt? Die Frage, die den Brahms-Liebhaber vor sechzig Jahren zur Forschung antrieb, beantwortet er heute so: Es war, in Summe, „ein grandioses Missverständnis“, sagt Kurt Hofmann, en detail aber eine Kette von Fehleinschätzungen, uneingestandenen Erwartungen und Verdruckstheiten. In seinen Tönen konnte er sprechen – er wusste es und sagte es auch so. Aber sonst? „Es gab oft Missverständnisse“, erklärt Renate, „weil er sich nicht geben konnte, wie er fühlte.“
Es braucht, auch bei den Größten, das liebende Gegenüber, das sich einlässt, zuhört und das Versteckte sprechen lässt. So darf auch Brahms von Glück sagen. Ein Glück, dass er die Hofmanns gefunden hat. Und sie ihn.
Joachim Reiber
Dr. Joachim Reiber ist Chefredakteur der Zeitschrift „Musikfreunde“ und Programmheftredakteur der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien.