Und dann kam das Burgtheater.
Ja, Gratzer hatte eine sehr persönliche Art, sein Ensemble zusammenzustellen. Nach ein oder zwei Jahren war er nicht mehr verknallt in seine Schauspieler, das war einfach so. Es war für mich okay, irgendwann will man gern auch wieder mit anderen Leuten arbeiten. Ich war dann Gast am Volkstheater, bei Emmy Werner – da rief das Burgtheater an. Das war perfekt. Als 2011 der Hartmann kam, bin ich mal weg. Gott sei Dank hat mich der Martin Kušej gefragt, ob ich zu ihm nach München komme. Doch dann wurde meine Frau meine Ex-Frau, und ich musste wieder nach Wien, wegen meiner Tochter, die hier fix gebunden ist. So bin ich wieder am Burgtheater gelandet, Kušej kam mir quasi nach.
Sie machen auch viel Film und Fernsehen. Wie ist das für Sie – schwieriger oder leichter?
Es ist einfach ganz anders. Du musst dieses ganze Technische mitbedenken. Was nimmt die Kamera auf, wie sieht das Bild aus. Ich hab’ „Whisky mit Wodka“ mit Andreas Dresen gedreht, der hat beschrieben, wie das Bild nachher aussieht, er hat mir die Komposition des Bildes mitgeteilt. Da konntest du als Schauspieler an diesem Bild mitarbeiten, eine tolle Erfahrung. Da wusste ich genau, ich komme auf der Leinwand von da ins Bild oder ich dreh’ mich so. Ansonsten, wenn du Fernsehen machst, siehst du als Schauspieler ja gar nichts. Aber es macht Spaß, weil es eine ganz andere Herangehensweise ist. Toll beim Film und Fernsehen ist der gegenseitige Respekt, der ist viel größer als am Theater.
Wirklich?
Ja, weil du weißt, am Ende des Tages sind 100.000 Euro verpulvert, und du kannst nicht einfach sagen, ich bin heute nicht so gut drauf. Jeder Techniker, jeder Beleuchter oder Tonmann, alle werden respektiert, weil jeder an diesem Tag seine Arbeit leistet. Das ist im Theater nicht so, manchmal verschleift das, im Betrieb. Fast nie sind alle da, obwohl bei einem Ensemblestück alle auf der Bühne sein müssten.
Zurück zu Jonke. Seine Texte sind für mich sehr musikalisch, rhythmisch, eindringlich und perfekt komponiert. Er wollte ja ursprünglich Pianist werden.
Stimmt. Er hat eine merkwürdige Art zu sprechen gehabt, und so hat er auch geschrieben. Er ist sich selber sein bester Vorleser gewesen.
Passt Gert Jonkes „Schule der Geläufigkeit“ nicht unglaublich gut in unsere Zeit?
Ja total! Da geht es um den Plan, ein Fest nach einem Jahr eins zu eins in allen Details zu wiederholen – und um die Unmöglichkeit, genau das zu tun. Vor allem aber geht es um Wahrnehmung, Gedächtnis, Erinnerung – gerade jetzt kann man besonders gut beobachten, wie das funktioniert.
Wiederholung bedeutet ja „Wieder-Holen“ aus dem Gedächtnis. Indem ich es von dort wieder hole, verändere ich es aber schon.
Ja, es ist schon erstaunlich, wie Wahrnehmungen auseinanderklaffen, bei Sachen, die noch gar nicht so lange zurückliegen.
Da kommt Verschiedenes zusammen. Es fängt damit an, dass Menschen ein und dasselbe ganz verschieden erleben.
… und anders erinnern – und anders bewerten.
… und das Bewerten des Erinnerten ändert sich im Laufe der Zeit, in der jeweiligen Gegenwart.
… und die veränderte Bewertung wiederum verändert die Erinnerung. Du bügelst die Erinnerung so hin, wie du sie bewerten möchtest.
Man kann also nichts wiederholen.
Nein, kann man nicht:
Nehmen wir an, mein Gerät hat nichts aufgenommen, und ich ruf’ Sie morgen an und sage: Treffen wir uns heute einfach wieder hier, am selben Ort, zur selben Zeit und wiederholen unser gestriges Gespräch.
Das wäre zwar unmöglich, aber ein guter Aufhänger – nahezu perfekt!
Das Gespräch führte Sabine M. Gruber.
Sabine M. Gruber ist Musikpublizistin, Schriftstellerin und Übersetzerin. Sie veröffentlichte neben Romanen und Erzählungen u. a. „Unmöglichkeiten sind die schönsten Möglichkeiten. Die Sprachbilderwelt des Nikolaus Harnoncourt“ und „111 Orte der Musik in Wien, die man erlebt haben muss“.