Hat es Sie belastet, am Ende nicht bei ihr gewesen zu sein?
Nein, ich fand das in Ordnung. Bei uns gibt es den Spruch: „Im Frieden begraben die Kinder die Eltern, im Krieg begraben die Eltern ihre Kinder.“ Es gehört also zum Leben, dass die Kinder ihre Eltern zu Grabe tragen. Man kann froh sein, wenn es nicht umgekehrt ist. Aber ich wollte in diesem Zusammenhang noch etwas zum letzten Satz der Neunten sagen: Wenn man das Sterben eines Familienangehörigen erlebt hat, dann bekommt Mahlers Musik eine ganz andere Dimension. Das Sterben kann so lange dauern, die letzten Tage können endlos sein. Mahler gelingt es, diese Phase in einer unglaublichen Intensität zu beschreiben, sein Werk macht einen fast krank und erlöst einen gleichzeitig.
Vielleicht erlöst die Neunte, weil sie auch Freudiges und Tröstliches hat – ganz anders als die „Kindertotenlieder“.
Die „Kindertotenlieder“ weigere ich mich zu dirigieren. Ich habe es zweimal gemacht, aber ich will das nicht mehr. Aufgabe der Kunst ist es, Gefühle zu beschreiben und uns dabei an jene Augenblicke zu erinnern, in denen wir sie durchlebt haben. Aber diese Assoziationen sind mir zu stark. Ich habe Kinder, ich habe Enkelkinder, ich will mich mit diesen Gefühlen nicht konfrontieren. Und nachdem die „Kindertotenlieder“ sehr gut sind, beschreibt die Musik die Empfindungen sehr genau. Sie sind so etwas von furchtbar, ich halte sie nicht aus.
Mit dem eigenen Tod sind Sie hingegen bereit, sich auseinanderzusetzen?
Ja, das gehört dazu. Wobei: Das sage ich jetzt so leicht, wo ich gesund bin. Was ich denken werde, wenn es so weit ist, weiß ich nicht. Es kann durchaus sein, dass man sich zum Schluss ans Leben klammert – selbst wenn man zuvor immer gesagt hat, dass man nicht mehr leben will, sollte man einmal unheilbar krank sein und leiden. Das macht auch alle Verfügungen, die das Lebensende betreffen, so schwierig.