Lyrik und Akrobatik
Ob auf der Opernbühne, auf der Leinwand oder als Solistin vor dem Orchester: Korngold weiß seine jeweilige Diva zu inszenieren. Das eingangs schon kurz geschilderte, hoheitsvolle Hauptthema, mit dem im Violinkonzert das Soloinstrument den ersten Satz eröffnet, mag zwar aus dem Film „Another Dawn“ („Flammende Nächte“, 1937) stammen, doch scheint keine bessere Verwendung als in diesem Violinkonzert denkbar. Der schwärmerisch-sehnsüchtige Grundcharakter des Satzes, in dem die Violine mit ausdrucksvoll singenden Kantilenen die uneingeschränkte Hauptrolle spielt, wird freilich ausbalanciert durch große virtuose Ansprüche, an denen eine Solokadenz bald keinen Zweifel lässt.
Die folgende, dreiteilige Romance ergeht sich in innigen, zarten Lyrismen, die erstmals im Oscar-gekrönten Streifen „Anthony Adverse“ („Ein rastloses Leben“, 1936) zu hören gewesen waren und denen ein neu komponierter Misterioso-Mittelteil entgegengestellt ist. Das turbulent-kapriziöse Finale im Sechsachteltakt mit seinem enorm wandlungsfähigen Themenmaterial ruft „The Prince and the Pauper“ in Erinnerung („Der Prinz und der Bettelknabe“, 1936): Nochmals verbinden sich prächtig aufrauschende Melodien mit virtuos wirbelnden Passagen, nicht zuletzt gewürzt mit einer herrlichen Prise Humor. „Trotz der im Finale verlangten Virtuosität“, stellte Korngold selbst nach der Uraufführung fest, „ist das Werk mit seinen vielen melodischen und lyrischen Episoden mehr für einen Caruso als für einen Paganini gedacht. Es ist überflüssig zu erwähnen, wie glücklich ich bin, dass mein Konzert jemand spielt, der Caruso und Paganini in einer Person ist: Jascha Heifetz.“
Längst hat eine junge Generation die lohnenden Herausforderungen von Korngolds Musik für sich entdeckt, die souveräne musikalische Verbindung von Kantabilität und Hochseilakten, von Schwärmerei, Wehmut und Größe. Ende Februar sollte Arabella Steinbacher Korngolds Violinkonzert mit den Wiener Symphonikern unter Andrés Orozco-Estrada im Großen Musikvereinsaal spielen.
Walter Weidringer
Mag. Walter Weidringer lebt als Musikwissenschaftler, freier Musikpublizist und Kritiker (Die Presse) in Wien.