Entschleunigung, diesmal anders
Das fand auch Federspiel, das im Musikverein vielgehörte und international vielgepriesene Bläserensemble. Zwar verstehen sich die jungen Herren an Trompete, Posaune, Tuba und Klarinette auch aufs instrumentale Singenkönnen – Sanglichkeit ist schlichtweg ein Teil ihrer federspielleichten Virtuosität. Aber zu Weihnachten darf es ein bisschen mehr sein. Federspiel hat sich deshalb für sein Musikvereins-Weihnachtskonzert auch noch die Academy Singers aus Oberösterreich eingeladen. „Von der langsamen Zeit“ heißt das Programm, entworfen noch zu Zeiten, in denen „Corona“ nur eine Vokabel aus dem Lateinbuch war und die Weihnachtszeit als hektische Jahresschlussphase schon gedanklich für erhöhte Adrenalinspiegel sorgte. „Entschleunigung“ wäre dazu das Gegenprogramm, eine „langsame Zeit“ das Heilmittel gegen die übliche Dezember-Hektik. Nun, kurz vor Weihnachten 2020, schaut es etwas anders aus. Das Jahr hat uns mit Bremsmanövern sonderzahl zugesetzt, Entschleunigung ist kein Thema für all die sorgenvoll Gehemmten, Heruntergefahrenen und Gedownlockten. Aber die Sehnsucht nach „der langsamen Zeit“ meldet sich trotzdem, nur anders: als Wunsch, aus dem bedrängenden Mix der Emotionen herauszufinden und das Gefühlsdurcheinander von Angst, Frust, Trotz, Hilflosigkeit und was auch immer hinter sich zu lassen. Federspiel öffnet dazu den Weg: mit besinnlichen Weihnachts- und Winterstücken aus verschiedensten Traditionen, mit Turmbläser-Klassikern, Volksliedern und spanischen „Navideños“. Und eben: mit Gesang! Vor Weihnachten wird gewarnt. Nicht so im Musikverein.
Joachim Reiber
Dr. Joachim Reiber ist Chefredakteur der Zeitschrift „Musikfreunde“ und Sänger im Wiener Singverein.