Am offenen Fenster
Als ich ihn, kurz nachdem wir im Brahms-Saal wieder einmal ein sehr kunst- und anspruchsvolles Trio aus der Taufe gehoben hatten, in Thaur besuchte, fand ich ihn ehrlich und tief beeindruckt von dem, was sein Kollege da zu Papier gebracht hatte – und natürlich hatte er sich die Noten von mir erbeten und gründlich studiert. Als er seine Bewunderung genügend deutlich ausgedrückt hatte, trat er aber an das offene Fenster seines Arbeitszimmers, von dem aus sich ein weiter Blick auf die imposante Tiroler Berglandschaft bietet, und sagte, auf das Panorama deutend, gar nicht triumphierend, sondern fast wie nebenbei: „Aber, weißt du, das da – des checkt er net.“
Die schlichte Geste, mit der er da Gottes ganze weite, rätselhafte und berückende, verstörende und unergründliche Welt auf seinen Schreibtisch holte, wird in meinem Gedächtnis auf immer mit diesem großen Komponisten verbunden bleiben, den ich meinen Freund nennen durfte – und zu dessen doppelbödig-tiefsinnigen Leibsprüchen auch die diesen Zeilen vorangestellte Sentenz gehörte: „… denn mehr als alles gibt es nicht!“
Claus-Christian Schuster
Claus-Christian Schuster war über viele Jahre Pianist des Altenberg Trios Wien. Zum besonderen Profil, das er dem Ensemble gab, gehörten auch die von ihm verfassten Programmhefttexte für den Trio-Zyklus im Musikverein.