Facetten einer Künstlerin

Die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien widmet Isabelle Faust ein Porträt, in dem sich die deutsche Geigerin in fünf Programmen höchst facettenreich präsentiert: als Solistin mit Orchestern der modernen und der historischen Praxis, als Kammermusikerin, in einem Konzert für Geige und Gesang und in einen Soloabend mit der Barockgeige.

„Isabelle Faust bannt ihr Publikum mit ihren souveränen Interpretationen. Jedem Werk nähert sie sich äußerst respektvoll und mit Verständnis für seinen musikgeschichtlichen Kontext und das historisch angemessene Instrumentarium. Größtmögliche Werktreue ergänzt sie durch einen feinen Sinn für die Notwendigkeit, einer Komposition von der Gegenwart her zu begegnen. So gelingt es ihr, verschiedenste Werke gleichermaßen tief zu ergründen und durch die Intensität ihres Spiels einem breiten Publikum zugänglich zu machen.“

Diese gewichtigen Worte am Beginn von Isabelle Fausts offizieller Künstlerbiographie dürfen getrost in die Waagschale gelegt werden. Die deutsche Geigerin wiegt sie mit ihrer Kunst auf, völlig gleich, ob sie – etwa am Beispiel vergangener Auftritte im Musikverein betrachtet – mit dem ORF RSO Wien Thomas Larchers Violinkonzert aus der Taufe hob, in einem Konzert mit dem Freiburger Barockorchester für Beethovens Violinkonzert Darmsaiten auf ihre Stradivari aufzog, in der Gedenkstunde in memoriam Claudio Abbado mit weiteren dem Maestro eng verbundenen Kollegen Strauss’ „Metamorphosen“ musizierte oder jüngst einen kammermusikalischen Liederabend mit Christian Gerhaher gestaltete.

„Bei der Sinfonia concertante geht mir einfach das Herz auf.“

Isabelle Faust über Mozarts Meisterwerk für Violine, Viola und Orchester

Möglich ist dies freilich nur in einer künstlerischen Laufbahn, die auf solidem Grund gebaut ist. „Ich habe sehr viel Glück gehabt“, erzählte Isabelle Faust in einem früheren Gespräch. „Es sind mehrere Faktoren zusammengekommen: einmal extrem intelligente Eltern, die mir keine Flausen in den Kopf gesetzt haben, die auch darauf gedrängt haben, dass ich mein Abitur fertigmache, die an meine Qualitäten geglaubt, mir aber auch klar vermittelt haben, dass Talent allein nicht ausreicht, sondern Regelmäßigkeit und Disziplin unbedingt das A und O sind.“ Dann natürlich „die richtigen Lehrer“ und ihr Kinderstreichquartett mit ihrem Bruder als Bratschisten und zwei weiteren Jungen. Proben und Unterricht gab es jedes Wochenende zunächst beim Primarius des Bartholdy-Quartetts, der im gleichen Ort nahe Stuttgart lebte wie die Familie Faust, später beim Melos-Quartett und in Meisterkursen beim LaSalle-Quartett. Wettbewerbspreise zogen erste Konzerte und Reisen nach sich – eindrucksvolle Erfahrungen, die Isabelle Faust den weiteren Weg wiesen. Mit 15, nach Auflösung des Streichquartetts, stellte sie sich zur eigenen Orientierung beim Leopold-Mozart-Wettbewerb in Augsburg der internationalen Konkurrenz – und gewann. „Dieser unerwartete Erfolg hat mich vor solistische Möglichkeiten gestellt und mir Türen geöffnet, die ganz neu für mich waren“, erinnert sich die Geigerin. Mit Christoph Poppen als Lehrer begann sie, „langsam und gründlich“ ihr solistisches Repertoire aufzubauen.

Die Kammermusik blieb für Isabelle Faust parallel zu ihren solistischen Engagements stets wichtiger Teil ihrer internationalen Konzerttätigkeit. Zu langjährigen Partnern wurden nicht zuletzt der Pianist Alexander Melnikov, mit dem sie viele ihrer Sonatenabende gibt, und der Cellist Jean-Guihen Queyras, der das Duo zum Trio erweitert. Der Kammermusik in Klaviertrio-Formation ist auch eines der fünf Programme gewidmet, die Isabelle Faust in ihrem Porträt-Konzerten im Musikverein spielt. Für die Klaviertrios op. 66 von Mendelssohn und D 929 von Schubert lädt sie sich einmal mehr Alexander Melnikov ein, den Violoncello-Part übernimmt – gewissermaßen als Special Guest – die international gefeierte Sol Gabetta. Mehrere beglückende musikalische Begegnungen verbinden Isabelle Faust bereits mit der Argentinierin, und auch Alexander Melnikov hat schon mit Sol Gabetta konzertiert. Die drei im Trio sind im Musikverein eine Premiere, der Isabelle Faust mit Freude entgegenblickt.

Zu ihren regelmäßigen Partnern zählt Isabelle Faust auch jenen Dirigenten, der im November ihre Porträtkonzerte am Pult der Wiener Symphoniker leitet: Philippe Herreweghe. „Wir mögen einander sehr“, beschreibt Isabelle Faust ihre enge künstlerische Verbindung mit dem flandrischen Meister der Klangrede. Entsprechend groß ist ihre Freude darüber, gerade mit Philippe Herreweghe ein Werk zu präsentieren, das sie seit langem begleitet: das Violinkonzert von Antonín Dvořák. „Es war eines meiner allerersten Violinkonzerte“, erzählt Isabelle Faust. „Den letzten Satz habe ich mit elf oder zwölf Jahren für ,Jugend musiziert‘ gelernt.“ Immer schon habe sie für Dvořák ein Faible gehabt. „Diese slawischen Melodien, auch dieses Licht, das er so schön zum Leuchten bringt, das hat mich immer fasziniert. Dvořák bringt in mir etwas zum Schwingen, das weit über das Intellektuelle hinausgeht.“

Das Dvořák-Konzert mit Philippe Herreweghe und den Wiener Symphonikern wird Isabelle Faust auf ihrer Stradivari „Dornröschen“ aus dem Jahr 1704 mit modernen Saiten spielen. Bei Mozarts Sinfonia concertante, KV 364, im Jänner kommen dann Darmsaiten zum Zug, stimmig für das Musizieren in einem – bereits erprobten – Dream-Team der Künstlerin mit dem britischen Großmeister der historischen Aufführungspraxis Sir John Eliot Gardiner, dessen English Baroque Soloists und dem französischen Bratschisten Antoine Tamestit als ihrem Solistenkollegen. „Sehr familiär und auch sehr privilegiert“ fühle sich diese Zusammenarbeit an. Und Mozarts Sinfonia concertante? „Es gibt von Mozart kein schöneres Stück für die Violine als dieses“, sagt sie, ohne zu zögern. „Bei der Sinfonia concertante geht mir einfach das Herz auf. Für die Solisten ist sie komplett ausgeglichen, Geige und Bratsche spielen sich die Themen zu – es ist erstaunlich, wie demokratisch dieses Stück geschrieben ist. Und dann diese unfassbaren Kadenzen, die Mozart Gott sei Dank schreiben musste, weil das für zwei Instrumente schwierig wäre zu improvisieren. Da sehen wir endlich einmal, wie Mozart eine Kadenz für Geige oder Bratsche geschrieben hat. Bei den Violinkonzerten haben wir das nicht.“

Zeitlich zwischen den beiden Programmen mit Orchester reiht sich ein Kooperationskonzert des Musikvereins mit Wien Modern ein, das Isabelle Faust in einer weiteren Facette ihres vielfältigen Künstlertums zeigt: Gemeinsam mit Anna Prohaska bringt sie die „Kafka-Fragmente“ von György Kurtág zur Aufführung – „ein Herzensprojekt“ der Geigerin wie auch der Sopranistin mit österreichischen Wurzeln, „die sich in Wien sehr zu Hause fühlt“, wie Isabelle Faust weiß. „Und irgendwie“, findet sie, gehört dieses Stück ja doch nach Wien.“ Die beiden hatten eine Aufnahme der „Kafka-Fragmente“ während einer weit im Voraus geplanten Tournee vorgesehen. Doch „als im Frühjahr 2020 der erste Corona-Lockdown kam und wir alle versucht haben, uns sinnvoll zu beschäftigen, sind wir dieses Projekt in Ruhe angegangen“, erzählt Isabelle Faust. „So konnten wir uns richtig darauf konzentrieren – und Anna kam mit einer so ausgeruhten Stimme daher, das war wirklich ein großes Vergnügen und für sie auch besonders angenehm.“ Denn dieses Werk hat es in sich: Kurtág greift die bildhafte Sprache Kafkas musikalisch minuziös auf, verlangt den Interpretinnen ein enormes Ausdrucksspektrum ab und treibt sie bis an die Grenzen der technischen Möglichkeiten. „Es ist ein sehr trickreiches Stück“, bestätigt Isabelle Faust. „Die Geige hat Melodie-, aber auch Klavierfunktion wie in einem Liederabend: Man rollt der Sängerin den Teppich aus und hat gleichzeitig einen absoluten Counterpart zu spielen. Dann springt man aus der Klavierrolle heraus, die die Sängerin trägt, und muss komplett eigenständig und von der Sängerin weit wegführend agieren.“ Den „Miniaturen-Kurtág“, wie sie ihn nennt, liebt Isabelle Faust besonders „seine Kunst, aus wenigen Noten das Essenzielle zu ziehen, auf ein Minimalstes reduziert so viel aussagen zu können“.

Ein „Künstlerporträt Isabelle Faust“ wäre nicht komplett ohne einen Abend mit Barockmusik und Barockgeige. Es sind bald zwanzig Jahre vergangen, seit bei Isabelle Faust die Neugier siegte und sie sich erstmals an die Darmsaiten wagte, damals mit dem Beethoven-Konzert und Concerto Köln. „Ich wollte das unbedingt kennenlernen und schauen, wie sich das Stück durch das Instrumentarium verändert. Was natürlich Quatsch war, weil es sich vor allem durch die Musiker um einen herum verändert, die sich mit diesem Stil auseinandergesetzt haben. Ich habe versucht, direkt von den Musikern zu profitieren und die Ohren gut aufzumachen“, sagt sie und zählt das Who’s who der Alte-Musik-Szene auf. „Und dann hat sich wirklich sehr viel verändert.“

Um Bachs Solosonaten und -partiten aufzunehmen, machte Isabelle Faust Tabula rasa und studierte die Werke noch einmal komplett neu. „Stücke, die man immer schon in der DNA hatte, kann man nur so angehen“, spricht sie aus Erfahrung. „Den ersten Bach-Satz habe ich wahrscheinlich mit neun oder zehn gelernt, und dann ,frisst‘ man sich so langsam durch, aber natürlich nicht so, wie ich mir das heute vorstelle.“ Ihre Bach-Aufnahme wurde ein immenser Erfolg, die Solosonaten und -partiten hat sie mittlerweile in vielen internationalen Musikstädten gespielt, nur noch nicht in Wien. Mit dieser für sie und für Wiens Musikfreunde besonderen Premiere beschließt Isabelle Faust im Mai 2023 ihr Künstlerporträt im Musikverein.

Ein Text von Ulrike Lampert.

Musikverein Wien, Innenaufnahme, Grosser Saal, Goldener Saal, Architektur, Orgel, Sitzreihen, Bestuhlung, Deckengemälde

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In seinen Porträtkonzerten, die Jewgenij Kissin 2022/23 für die Gesellschaft der Musikfreunde gestaltet, legt der Meisterpianist ein leidenschaftliches Bekenntnis für Sergej Rachmaninow ab. Starke Emotionen, die nach den Phasen der Stille umso tiefer wirken.

Musikverein Wien, Innenaufnahme, Grosser Saal, Goldener Saal, Architektur, Orgel, Sitzreihen, Bestuhlung, Deckengemälde

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Nach dem starken Akzent, den Igor Levit im Musikverein Festival 2022 setzt, widmet ihm die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien 2022/23 ein umfassendes Porträt.

Musikverein Wien, roter Teppich, Stiegenaufgang zum Grossen Saal und Brahmssaal

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Ein neues Gesicht im Goldenen Saal: Die hochgelobte Dirigentin Elim Chan aus Hongkong steht in ihrem Musikvereinsporträt unter anderem am Pult des ORF RSO Wien und der Wiener Symphoniker.

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Lorenzo Viotti, 1990 geboren, gehört in Oper und Konzert zu den meistgefragten Dirigenten seiner Generation. Ihm selbst geht es freilich weniger darum, gefragt zu sein, als vielmehr die richtigen Fragen zu stellen.

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