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„Was sich aus der Musik fürs Leben lernen lässt“

Daniel Barenboim, Ehrenmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, feiert seinen 80. Geburtstag auch mit einer ganzen Reihe von Konzerten im Musikverein. Sechs Konzerte mit Werken von Beethoven bis Boulez und von Mozart bis Manoury spiegeln das einzigartige Spektrum einer universalen Musikerpersönlichkeit. Und mehr noch: Sie laden dazu ein, Daniel Barenboims Vision zu folgen: dass sich aus der Musik fürs Leben lernen lässt.

Eine der bedeutendsten und vielseitigsten Künstlerpersönlichkeiten unserer Zeit feiert am 15. November 2022 ihren 80. Geburtstag: Daniel Barenboim ist im Herzen ein musikalischer Universalist. Als weltweit gefeierter Dirigent und Pianist bereichert er das Musikleben seit vielen Jahrzehnten, als Orchestergründer, Initiator visionärer Projekte und kulturpolitischer Botschafter mischt er sich ins Weltgeschehen ein. Er gründet pädagogische Pionier-Institutionen wie das West-Eastern Divan Orchestra und die Barenboim-Said Akademie in Berlin, äußert sich zu gesellschaftlichen und politischen Fragen und engagiert sich mit musikalischen Projekten im Nahen Osten. „Mir wurde ein bestimmter Ruhm geschenkt“, kommentierte er seine Rolle als Mahner und Kämpfer in den Belangen der Kunst einmal. „Ich stehe siebzig Jahre lang auf der Bühne und noch immer sind die Leute bereit, Geld dafür auszugeben, dass sie mich hören können. Was soll ich damit anfangen? Vor dem Spiegel stehen und zu mir selbst sagen: Ich bin weltberühmt? Nein. Dieser Ruhm ist für mich ein Geschenk und ein solches Geschenk gibt Verantwortung. Heute sprechen wir gar nicht mehr über Verantwortung. Dabei ist das so wichtig.“

Wenn man, wie einst der junge Barenboim, Klavierspielen lernt, lange bevor man eine Ahnung vom Leben hat und mit sieben Jahren sein erstes öffentliches Konzert gibt, besitzt man andere Antennen dafür, „was sich aus der Musik fürs Leben lernen“ lässt – wie Barenboims pädagogisches Motto lautet. Zum Beispiel, sagt Barenboim, könne man etwas darüber lernen, „wie sich Leidenschaft und Disziplin miteinander vereinbaren lassen“. Um Musik zu machen, müsse man zuhören, erklärt Barenboim. „Man muss hören, was der andere tut, aber man muss auch hören, was man selbst tut und was es für den anderen bedeutet – dies ist die beste Schule für menschliche Beziehungen.“

1942 in Buenos Aires geboren, beginnt er seine Laufbahn in einem von Musik durchtränkten Umfeld als pianistisches Wunderkind. Beide Eltern sind Pianisten und Pädagogen. Argentinien zählt zu dieser Zeit zu den reichsten Ländern der Welt. Am prächtigen Teatro Colón geben sich die großen Künstler die Hand: Richard Strauss und Igor Strawinsky, Erich Kleiber, Arturo Toscanini und Wilhelm Furtwängler, Anna Pavlova und Vaslav Nijinsky, Caruso und die Callas. Der kleine Barenboim erlebt sie fast alle. Mit elf Jahren sitzt er dann in Salzburg in Furtwänglers Proben zum „Don Giovanni“, darf ihm vorspielen und erhält von ihm den Ritterschlag. Denn Furtwänglers Empfehlungsschreiben gibt den Anstoß für eine beispiellose Weltkarriere, auf die sich Barenboim schon während seiner Studien bei Nadja Boulanger in Paris als Pianist begibt, um bald darauf auch als Dirigent zu reüssieren. Nach Stationen beim Orchestre de Paris und beim Chicago Symphony Orchestra ist er seit 1992 Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden und Chefdirigent der Staatskapelle Berlin, die ihn 2000 zum Chefdirigenten auf Lebenszeit ernannte. Daneben gibt es wohl kein großes Festival und kein Weltklasseorchester, bei dem er nicht gastiert hätte.

Mit der Musikstadt Wien verbindet Barenboim eine lange und tiefgehende Geschichte. „Wien war die erste europäische Stadt, in der ich als Kind gespielt habe“, erklärt er. „Das macht die Konzerte hier für mich emotional besonders wichtig. Ich war neun Jahre alt, als ich zum ersten Mal in Wien auftrat, das war damals im Konzerthaus. Schon als Kind war Wien für mich etwas Außergewöhnliches und das ist es immer geblieben. Der Musikvereinssaal ist weltweit einer der schönsten Säle überhaupt. Er hat etwas Magisches.“

„Musik ist mit dem Leben eng verbunden und ein wahrer Musiker muss im Leben stehen. Diese Idee ist eine der wesentlichen Grundlagen meines Denkens und Handelns.“

Daniel Barenboim

Die sechs Konzerte, in denen der Jubilar in der Saison 2022/23 im Musikverein zu erleben sein wird, spiegeln exemplarisch die Vielseitigkeit seines Wirkens. Im Konzert der Wiener Philharmoniker steht neben Musik von Brahms und Beethoven mit Arnold Schönbergs Orchestervariationen op. 31 ein Werk auf dem Programm, für das sich Barenboim seit Jahrzehnten immer wieder auf besondere Weise starkmachte. Kaum ein Stück treibt die Idee eines musikalischen Beziehungsreichtums weiter als diese Zwölftonkomposition mit ihrer hyperkonstruktiven Verzahnung eines explosiven, ja exzentrischen Ausdruckszusammenhangs. Wie unmittelbar Leidenschaft und Disziplin miteinander verbunden sein können, lässt sich nicht prägnanter erfahren als in dieser Musik. Als Solistin im Konzert der Staatskapelle Berlin ist mit der großen Martha Argerich eine langjährige musikalische Partnerin Barenboims und zugleich seine Kinderfreundin aus Buenos Aires zu erleben.

Dass Barenboim eine besondere Verbundenheit zu Beethoven verspürt, erstaunt nicht. Bietet ihm dieser Komponist doch wie kein anderer ein Modell für jene unauflösliche Verquickung von Kunst und Leben, die ihn selbst als Künstler antreibt. „Beethoven ist ein Symbol dafür, was Kunst ist“, erklärt Barenboim. „Zu Beethovens Zeit war die Musik ein organischer Teil der Kultur. Wir wissen, was er alles gelesen und studiert hat, wie er sich politisch engagiert hat. Die Musik war damit unmittelbar verbunden, jeder Ton in Beethovens Werken ist Teil einer humanistischen Botschaft.“ Heute dagegen sei diese Geisteshaltung aus der Mode gekommen: „Man kann heute ein Kulturmensch sein, ohne einen Ton Musik zu hören.“ Das Jubiläumsjahr 2020 bot ihm Anlass für ein neuerliches intensives Eintauchen in den Kosmos Beethoven. Mit den Symphonien und Klaviersonaten war Barenboim bereits im Musikverein zu erleben. Nun präsentiert er mit dem 2016 von ihm gegründeten Trio, zu dem neben ihm sein Sohn, der Geiger Michael Barenboim, und der Cellist Kian Soltani gehören, an zwei Abenden sämtliche Klaviertrios von Beethoven.

„Musik ist mit dem Leben eng verbunden und ein wahrer Musiker muss im Leben stehen. Diese Idee ist eine der wesentlichen Grundlagen meines Denkens und Handelns“, proklamierte Barenboim im „Manifest“ der 2016 gegründeten Barenboim-Said Akademie in Berlin, die auf besondere Weise musikalisch-künstlerische und geisteswissenschaftliche Inhalte vereint. Als Namensgeber fungierte neben Barenboim der 2003 verstorbene amerikanisch-palästinensische Literaturkritiker Edward Said, mit dem Barenboim im Jahr 1999 auch das West-Eastern Divan Orchestra ins Leben rief. Dieses als Experiment gegründete Orchester, in dem jüdische Israelis Pult an Pult mit Musikern aus der arabischen Welt musizieren, ist längst aus den Kinderschuhen hinausgewachsen und zählt zu den international gefragten Klangköpern. Herzstück und Glanzlicht der Akademie ist nun der vom amerikanischen Architekten Frank Gehry entworfene elliptische Pierre Boulez Saal. Dieser modulare Kammermusiksaal ist das musikalische Zuhause des in wechselnden Besetzungen spielenden Boulez Ensembles, das mehrheitlich aus Mitgliedern der Staatskapelle Berlin und des West-Eastern Divan Orchestra besteht.

Ein Konzert mit dem Boulez Ensemble und eines mit renommierten Interpreten und Dozenten der Akademie spiegeln den jungen, zukunftsorientierten Geist dieser neuen Musikinstitution im Herzen Berlins. Zugleich erinnern sie an den 2016 verstorbenen Komponisten und Dirigenten Pierre Boulez, den mit Barenboim eine tiefe, bis ins Jahr 1964 zurückreichende Künstlerfreundschaft verband. Mark Andres Werk für Klarinette und Elektronik „… selig sind …“ ist dem Komponisten, Klarinettisten und Professor der Barenboim-Said Akademie Jörg Widmann gewidmet. Solist in Boulez’ „Anthèmes II“ für Violine und Live-Elektronik ist Michael Barenboim, der auch als Professor und Dekan an der Akademie wirkt.

Die Vielseitigkeit und die scheinbar unerschöpfliche Energie Daniel Barenboims erstaunen immer wieder. Ein Workaholic zu sein bestreitet Barenboim jedoch hartnäckig: „Es gibt Menschen, die denken, dass ich mich unentwegt zum Arbeiten zwinge, aber das stimmt gar nicht“, erklärt er: „Musik ist einfach der wichtigste Teil meines Lebens.“

Ein Text von Julia Spinola.

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