Von Volksliedern und wilden Tieren: Die Strottern mit zwei neuen Projekten
Von Isabella Pohl
07.10.2024
Seit vielen Jahren gelten sie als die innovativen Übersetzer des Wienerlieds ins Hier und Jetzt, als Wegbereiter für die Wiener Seele hinein in neue Zeiten: In der unverkennbaren Musik des Wiener Akustik-Duos Die Strottern wird eine einzigartige Musiktradition entschlackt, von Weinseligkeit und schmalzigem Pathos befreit und – angeregt von Jazz und zeitgenössischen Stilen – mit Stimme, Gitarre und Geige neu interpretiert. Im Wiener Musikverein gastieren Die Strottern, namentlich Klemens Lendl und David Müller, nun mit gleich zwei neuen Programmen: „Fuchs und Bär haben einen Plan“, gemeinsam mit dem Puppenspieler Christoph Bochdansky konzipiert, ist ein Auftragswerk des Musikvereins für Kinder ab sechs Jahren, während der Konzertabend „Noch am Grabe pflanzt er die Hoffnung auf“ Schubert-Lieder mit dem Wienerlied zusammenbringt.
„Schubert hat bei uns etwas sehr Volksmusikalisches“, sagt David Müller. „Wir arbeiten grundsätzlich mit Reduktion, da wir nur mit Gitarre und Stimme, manchmal Geige und Harmonium musizieren. Da wird der Text freigelegt und schlank gesungen.“ Der Text bildet stets den Ausgangspunkt für neue Stücke des Duos. „Gute Texte haben schon Musik in sich“, ist Müller überzeugt. Für den Abend im Musikverein haben sich Lendl und Müller nicht nur an eine ganz eigene Interpretation des berühmten Lied-Œuvres Franz Schuberts gewagt, sondern auch Wienerlied-Werke aus Schuberts Zeit aufgespürt. Das sei zwar noch früh für das traditionelle Wienerlied, doch ist man etwa bei Josef Lanner fündig geworden, dem einst bedeutendsten Tanzkapellmeister neben Johann Strauß Vater, der als einflussreicher Mitbegründer des Wiener Walzers gilt.
Zu erleben ist, wie nah diese Lanner’schen Stücke den Liedern von Schubert kommen. Klemens Lendl: „Von ihm gibt es ein Lied über das Fensterln, das Anbeten der Geliebten unter dem Fenster – ein Motiv aus der Volksmusik und Urwurzel der Dichtung. Dieses Lied ist textlich so raffiniert, dass wir glauben, es kann nur in einer Stadt entstanden sein: Da ist ein Schmäh drinnen, eine urbane Ironie. Ein Volkslied, das auf die Härte und Vielschichtigkeit einer Stadt getroffen ist.“ Eine Leidenschaft der Strottern ist es, solchen musikalischen Transferbewegungen nachzuforschen, Wurzeln einer Volksmusikweise auf städtischem Pflaster nachzuspüren und zu ergründen, von welcher Musik Schubert selbst zu seiner Zeit umgeben war.
Das städtische Klangkonglomerat, zu dem Schuberts Lieder ebenso gehörten wie Volkslieder, französische Musik und Marschmusik – „aus all diesen Einflüssen ist das Wienerlied als eigene Form entstanden, die sich musikalisch und textlich auf alles bezieht, was eine Großstadt zu bieten hat“, sagt Klemens Lendl. Wien war eine brodelnde Metropole im 19. Jahrhundert, ein kultureller Melting Pot, in dem diese spezielle Liedtradition entstanden ist. „Was da für eine Stille vorgeherrscht haben muss!“, sagt David Müller. „Schubert hat Lieder seiner Zeitgenossen oft nur einmal gehört – und das nur live. Ich höre selbst fast keine Musik aus der Konserve und möchte nicht zu viel gehört haben, bevor ich mein Instrument in die Hand nehme und etwas Neues beginne.“
Neues, Eigenes von den Strottern wird im Konzert im Gläsernen Saal am 3. Dezember ebenso zu hören sein wie ihre Interpretation der Wienerlieder und Werke Schuberts und Lanners. Auf diese Weise entsteht ein neues Klangporträt Wiens, der Stadt, in der Die Strottern verwurzelt sind und Franz Schubert einen besonderen Platz einräumen. Lendl: „Allein die ‚Winterreise‘ ist in die DNA der Stadt eingeschrieben, mit ihrer sprichwörtlichen Nähe zum Tod. Ich wüsste nicht, dass eine andere Stadt einen solchen Liederzyklus hervorgebracht hätte, der in seiner Tiefe, Härte und Unmittelbarkeit einzigartig ist.“
Dem Wienerlied sind Die Strottern Anfang der 1990er Jahre eher zufällig begegnet und verfallen: Zum runden Geburtstag eines aus Wien weggezogenen Opas kam aus der Familie quasi der Auftrag, ein Wienerlied zu spielen. „Ein einfaches Lied, das uns mit seiner Melodie und dem Dreivierteltakt stark berührt hat. Wir hatten davor schon alles Mögliche gespielt, aber nie im Dreivierteltakt – wir waren hin und weg!“, erzählt David Müller. „Diese Musik hat uns gepackt“, sagt Klemens Lendl, „aber wir haben sie auch gleich ganz anders gespielt, als wir das Wienerlied gekannt hätten, viel schneller, ohne das Schwelgerische – wir waren zwanzig und hatten keine Lust auf Schmalz und Geraunze.“
Wie bewerten Die Strottern den Aufschwung des Wienerlieds und die Verbreitung des Wiener Dialekts in der Musik der vergangenen Jahre? „Es ist bestimmt hundert Jahre her, dass es so viel Aufmerksamkeit für das Wienerlied gab wie heute. Als wir vor dreißig Jahren damit angefangen haben, gab es abseits der traditionellen Wienerliedszene wenig Interesse. Dass das Wienerlied und die Wiener Liedermacher so zusammenwachsen würden, wie es heute der Fall ist, war nicht vorstellbar.“
Als leidenschaftliche Musikvermittler sind Die Strottern ganz besonders an Schnittstellen interessiert, an der Zusammenarbeit mit anderen Genres und Kunstformen. Mit dem Puppenspieler und Theatermacher Christoph Bochdansky gestalten sie zum wiederholten Mal ein Kinderprogramm für den Musikverein. Nach dem Erfolgsstück „Der Luftikus“ präsentieren sie mit „Fuchs und Bär haben einen Plan“ im November ein berührendes Stück über das Alleinsein und gute Freundschaften: Fuchs und Bär wohnen im tiefen Wald und lernen dort eine kleine Freundin kennen – das einsame Vögelchen Twiditwi, das zwar noch nicht sprechen kann, dafür aber umso schöner seinen eigenen Namen singt. Bald ist niemand mehr einsam, und auch mit dem muffigen Mitternachtswolf, der noch tiefer im Wald wohnt und richtig gefährlich werden kann, werden es die drei neuen Freunde guten Mutes aufnehmen.
„Mit Christoph Bochdansky bringen wir archaische Stücke auf die Bühne – große Geschichten, in denen das Menschsein verhandelt wird. Mit seinen Puppen wird das für Kinder zu einem großartigen Erlebnis: Die Puppen sind wie von einem Bildhauer gemacht, und in ihre Gesichter kann man alles hineininterpretieren. Das ist die große Magie am Puppenspiel – zwischen der Figur und dem Zuseher steht kein Mensch, die Puppe lässt viel Spielraum für die eigene Emotion der Kinder“, sagt Lendl. „Man schaut fast in einen Spiegel. Puppentheaterstücke brauchen daher nicht viel Handlung, denn es geht vielmehr um Stimmung und Atmosphäre.“ Die Kinder tauchen in eine andere Welt ein und versinken geradezu in der Geschichte. „Es ist herrlich, wenn Christoph vor den Kindern, die von effektvollen Disney-Filmen geprägt sind, ein Stangerl aufklappt, aus dem drei Blütenblätter herauskommen – und den Kindern steht einfach nur der Mund offen.“
Mit einfachen, ausschließlich analogen Mitteln entstehen so, sehr entschlackt, handgeschnitzt und unmittelbar, packende Szenen und große Emotionen: Gitarre, Geige und Stimme begleiten schnelle Stimmungswechsel, das Aufblitzen eines Fuchsschwanzes lässt das junge Publikum ausflippen, ehe es sich aus dem magischen Bann des Puppen- und Musiktheaters löst und mit einem Ohrwurm nach Hause geht.
Samstag, 23. November 2024
Sonntag, 24. November 2024
Die Strottern
Klemens Lendl | Violine, Gesang
David Müller | Gitarre, Gesang
Christoph Bochdansky | Erzähler, Puppenspieler, Puppenbau
Fuchs und Bär haben einen Plan
Neuproduktion Musikverein Wien
Konzert für Publikum ab 6 Jahren
Musik von
Die Strottern
(UA im Auftrag der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien)
Die Strottern
Klemens Lendl | Violine, Gesang
David Müller | Gitarre, Gesang
Noch am Grabe pflanzt er
die Hoffnung auf
Schubert, Wienerlieder und Couplets