Freiheit pur: Mitsuko Uchida spielt Mozart

© Geoffroy Schied
Nach Wien, von wo ihre lange Karriere einst ihren Ausgang nahm, kehrt Mitsuko Uchida immer wieder mit besonderen Gefühlen zurück. Hier hat sie jenes „Wiener Blut“ entwickelt, von dem sie sich bei ihrem Musizieren stets leiten lässt. Im Jänner spielt sie mit dem Mahler Chamber Orchestra zwei Mozart-Klavierkonzerte im Großen Musikvereinssaal.

Von Monika Mertl

12.12.2024

Ihr Musikvereinsdebüt gab sie mit vierzehn. Damals war sie bereits seit zwei Jahren Studentin von Richard Hauser an der Wiener Musikhochschule. Bei einem Klassenabend im Brahms-Saal trug Mitsuko Uchida am 16. März 1962 Brahms’ Intermezzo E-Dur vor. 1960 war ihr Vater, ein Diplomat, nach Wien versetzt worden, und Mitsukos herausragende musikalische Begabung, die in Japan bereits seit frühester Kindheit jede erdenkliche Förderung erfahren hatte, erhielt die alles entscheidende Prägung. Ihren ersten Soloabend im Brahms-Saal bestritt sie am 5. Dezember 1967 mit Mozarts Sonate B-Dur KV 570, Beethovens op. 31/3 und Werken von Chopin. Bereits im Mai 1964 hatte sie erstmals das Podium des Großen Musikvereinssaals betreten, um gemeinsam mit dem Orchesterverein der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Mozarts C-Dur-Konzert KV 467 zu musizieren. Es war jenes Jahr, in dem sie ihr künstlerisches Schicksal in die eigene Hand nahm und sich entschloss, in Wien zu bleiben und ihr Studium hier abzuschließen, obwohl ihr Vater nach Köln versetzt wurde.

Wenn Mitsuko Uchida jetzt, rund sechzig Musikvereinsauftritte später, mit ebendiesem Konzert KV 467 zurückkehrt, tut sie es gemeinsam mit dem Mahler Chamber Orchestra, das sie seit 2016 auf ihren Mozart-Konzertabenteuern in partnerschaftlicher Weise vom Flügel aus zu leiten pflegt; zusätzlich mit im Gepäck befinden sich Mozarts B-Dur-Konzert KV 456 sowie Leoš Janáčeks „Mládí“ als kontrastierendes Mittelstück, ein Bläsersextett, in dem der Komponist 1924 anlässlich seines 70. Geburtstags auf humorvolle Weise seine Jugend beschworen hat.
Uchidas Partnerschaft mit dem Mahler Chamber Orchestra hat sich auf Tourneen durch Europa, Japan und Nordamerika bewährt. „Mit diesen Leuten spiele ich einfach wahnsinnig gern zusammen“, sagt sie, „die sind vom ersten Moment an mit Feuereifer bei der Sache.“ In dieser Konstellation zeigt sich ihre Gestaltungskraft naturgemäß weitaus prägnanter als im konventionellen Setting. „Ohne Dirigenten wird es mehr zu einer unmittelbaren Konversation zwischen den Spielern, das Klavier eingeschlossen. Es wird eine Art von Kammermusik. Man wirft den anderen den Ball zu, sie fangen ihn auf und werfen ihn zurück. Das macht enorm viel Spaß, und das geht natürlich auch, wenn da ein Dirigent steht. Aber ohne ist es direkter.“

© Geoffroy Schied

Obwohl Uchida ihren Wohnsitz 1972 in London aufschlug und in ihrer Wahlheimat längst zur Dame Commander of the Order of the British Empire avancierte, wird ihr Musizieren stets vom „Wiener Blut“ bestimmt, das sich insbesondere von Schubert herleitet: „Dieses etwas schlamperte Schleppen, dass der zweite Schlag immer viel zu früh und der dritte zu spät kommt, das steckt auch in mir. Gestört hat mich aber, dass die Leute in Wien meinen, sie wüssten alles über Kultur. In London ist man da viel offener und toleranter.“ Die deutsche Sprache war ihr dennoch immer enorm wichtig, nicht nur um der Musik von Bach auf die Spur zu kommen, sondern auch für ihr Verständnis von Beethoven und Schumann und nicht zuletzt für die Liedbegleitung: „Deutsch habe ich nicht erlernt, sondern erlebt – dafür bin ich sehr dankbar. Wenn man deutsche Lieder ohne Wörterbuch verstehen kann, macht das einen riesigen Unterschied.“

Während sie zu Schubert von Kindheit an eine intensive Beziehung entwickelte – „Wir teilten die Einsamkeit“ –, erschien ihr Mozart zunächst als „kompliziert“: „Er ist so unglaublich genau, das wusste ich schon als Kind. Mozart denkt wahnsinnig schnell, so schnell, dass er nicht immer zu denken braucht. Seine Noten haben alle Möglichkeiten, sich zu verwandeln, harmonisch gesehen. Deswegen verwandelt sich Mozarts Musik so schnell, auch emotional – er weint und lacht zugleich.“

„Überspitzt formuliert, könnte man sagen, in Mozarts Musik benehmen sich alle Noten wie Kinder, die ständig in verschiedene Richtungen rennen.“

„Bach, Beethoven, Schubert und Mozart sind die vier Säulen meiner Welt“, sagt Uchida. „Beethoven hat eine Vision des Universums. Er hat die unglaubliche Kraft, in Tragik das Licht zu sehen. Er kann aufblicken. Schubert blickt nicht auf. Er träumt, den Blick auf einen fernen Horizont gerichtet. Seine Musik bewegt sich zwischen Leben und Tod; es ist Seelenmusik. Bei Mozart geht es um das Drama und die Verwirrungen des menschlichen Lebens und der Liebe.“ Deswegen vergleiche sie ihn gern mit Shakespeare, der Komödien schreiben konnte, die uns wie Tragödien berühren. „Mozarts Welt ist voll von Menschen wie du und ich, die ständig in Bewegung sind“, meinte sie kürzlich in einem Interview für die „New York Times“. „Überspitzt formuliert, könnte man sagen, in seiner Musik benehmen sich alle Noten wie Kinder, die ständig in verschiedene Richtungen rennen. Das macht diese außerordentliche Freiheit in Mozarts Musik aus.“

Das Konzert KV 456, komponiert 1784 in Wien, zählt zu Uchidas deklarierten Lieblingswerken. „Es wird leider sehr selten gespielt – vielleicht, weil es so leichtgewichtig endet. Aber es ist ein herrliches Werk mit einem fantastischen Variationensatz in g-Moll.“ Überdies könne es gewissermaßen als Schlüsselwerk gelten, denn Mozart hat seine Absichten hier so präzise wie nur selten zu Papier gebracht; er hatte es nämlich nicht für sich selbst, sondern für Maria Theresia Paradis geschrieben und daher alle seine Wünsche akribisch notiert: „Im zweiten Satz sehen die Noten beinahe aus, als wären sie von Schönberg!“
Die große Bekanntheit, deren sich im Gegensatz dazu das Konzert KV 467 erfreut, beruht nach Uchidas Ansicht hingegen auf einem Missverständnis, das mit der Verwendung des traumverhangenen Andante als Soundtrack in einem romantischen Film über eine dänische Tänzerin zusammenhängt, meinte Uchida in einem Gespräch mit Walter Weidringer anlässlich der Salzburger Mozartwoche 2021: „Jede Plattenfirma wollte plötzlich ‚Elvira Madigan‘ aufs Cover schreiben. Aber im Grunde ist dieses scheinbar so zugängliche, populäre Stück ein besonders großes, kompliziertes, tiefes Werk – genauso tief wie KV 466! Von diesem Konzert weiß das jeder, durch die Tonart d-Moll, ‚Don Giovanni‘ und so weiter. Aber in KV 467 gibt es zum Beispiel Aufsehen erregende harmonische Ideen. In seinen Sonatensätzen kehrt Mozart bei der Reprise praktisch immer zurück auf die Tonika. Hier aber, im zweiten Satz, der in F-Dur steht, der Subdominante der Werktonart C-Dur, erklingt die Reprise in As-Dur! Das ist ein wunderbarer Schock.“

Entscheidende interpretatorische Einsichten hat Uchida aus der Beschäftigung mit historischen Instrumenten gewonnen. Sie musiziert leidenschaftlich gern auf dem Hammerklavier und träumt davon, für Schubert einen originalen Graf-Flügel zu besitzen. In den großen Konzertsälen vertraut sie allerdings auf den Steinway, von dem sie vier Modelle besitzt.
Was die spezifischen Herausforderungen der Mozart-Interpretation betrifft, so erinnert sie sich, dass in den 1960er Jahren, als sie in Wien studierte, jedermann genau gewusst habe, wie man seine Musik spielt. „Aber jeder sagte etwas anderes! Das war verwirrend.“ Erst später habe sie ihren persönlichen Zugang gefunden, der über alte Opernaufführungen mit Fritz Busch aus Glyndebourne, über Erich Kleiber und den Geiger Josef Szigeti führte. „Am Ende kann man ohnehin nur von Mozart selbst lernen. Zum Beispiel mit Verzierungen sparsam zu sein: Man darf nicht überall etwas hineinstopfen, wo man glaubt, da wäre ein Loch! Er sprach ja gerne vom guten Geschmack. Den muss man beachten.“

Dienstag, 28. Jänner 2025

Mahler Chamber Orchestra
Mitsuko Uchida | Leitung und Klavier

Wolfgang Amadeus Mozart
Konzert für Klavier und Orchester B-Dur, KV 456
Leoš Janáček
„Mládí“ für Bläsersextett
Wolfgang Amadeus Mozart
Konzert für Klavier und Orchester C-Dur, KV 467

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