Farben der himmlischen Stadt
Es war ein Kindheitsglauben, den er sich da in Avignon zusammengelesen hatte: In ihm spielte das Fantastische, das Imaginäre die Hauptrolle, frei inspiriert auch von Poe und Maeterlinck, von der ShakespeareLektüre in der Bibliothek seines Vaters, eines Anglisten. Messiaen, der sich als Vertreter einer musikalischen Theologie empfand, ging es nicht um begriffsscharfe und trennungsgenaue Dogmatik, sondern – darin romantischer Musikästhetik verpflichtet – gerade darum, mit Tönen das Fantastische, das Widervernünftige und Übernatürliche am christlichen Glauben auszudrücken. Seine Musik ist, mit den Worten des ersten Korinther-Briefs, ein Versuch zu schildern, „was kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist: was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben“, die Mysterien der Fleischwerdung ebenso wie die Ekstasen des Jenseits. Er sei „ein von der Unendlichkeit Gottes geblendeter Glaubender“, sagte Messiaen von sich. Und so sollte die Klangerscheinung seiner Werke dem überwältigenden Eindruck eines Kirchenfensters gleichen, durch das farbig das Licht bricht: „Couleurs de la Cité celeste“, Farben der himmlischen Stadt.
Kein Wunder, dass er, der überzeugte, monoglotte Franzose, mit dem sarkastischen und urban-zeitgeistigen Neoklassizismus der Komponistengruppe „Les Six“ um Jean Cocteau wenig anfangen konnte. Als Gegengründung dazu verstand sich die Gruppe „Jeune France“, zu deren Gründung 1936 ihn Yves Baudrier unter dem unmittelbaren Eindruck einer Aufführung des ersten großen Orchesterwerks „Les offrandes oubliées“ überredet hatte. Dieses „Junge Frankreich“, zu dem auch die Komponisten André Jolivet und Jean-Yves Daniel-Lesur gehörten, wollte der Musik wieder Emotionalität und spirituelle Tiefe zurückgewinnen, und vor allem Jolivets Überzeugung von der archaischen, rituell-beschwörenden Kraft der Musik machte auf Messiaen großen Eindruck.