Totentanz
Dieses Scherzo gibt sich durchaus „traditionsfromm“ (Peter Gülke) mit seiner Dreiteilung Tanz–Trio–Tanz; nur werden in den Tanzteilen drei verschiedene thematische „Charaktere“ – so nennt Mathias Hansen die Themen – parataktisch hingestellt und eben nicht hypotaktisch zueinander in Beziehung gesetzt, also im traditionellen Sinne „verarbeitet“. Diese „Charaktere“ sind insoweit Zitate, als sie inhaltliche Momente aufrufen, also „Topoi“ nutzen: Material aus Leben und Tradition – Hölderlin würde in seiner Poetologie von „fremd-analogischen Stoffen“ sprechen.
Klemperer schreibt konkretisierend zum Scherzo: „Ein gespenstisch huschendes, schattenhaftes Stück. Totentanzstimmung“, die durch musikalische Gestik signalisiert wird, in einem Werk übrigens, dessen heiteren Grundcharakter Mahler unausgesetzt hervorhebt. Womit wir beim „Paradox“ wären: zu verstehen als die stoffliche, inhaltliche Gestalt der parataktischen Struktur, hier der Tod im Scherzo-Gewand.
Aus weiter Ferne
„Wie ein zartes Licht leuchtet ein volksliedhafter Mittelteil in die Nacht.“ So Klemperers Beschreibung des Trios. Wieder ein „Charakter“, ein Klangfeld, das typische Stimmungsmomente aus der Tradition zitiert, klassisch dreistimmig ein „bukolischer Holzbläsersatz“ (Reinhold Kubik), der die Volkslied-Idee „wie aus weiter Ferne“ herüberklingen lässt – so Mahler bereits in der unerhörten Posthorn-Episode seiner Dritten Symphonie. Dieses „wie aus weiter Ferne“ ist „gleichsam der Idealtypus der Mahlerschen Aneignungsformen“, sagt uns Carl Dahlhaus; weil Mahler die Evokation von Gewesenem durch „akustischen Abstand“ leistet, in den er den Volksliedton versetzt, und das mit elegischem oder gar satirischem Gestus: „um fühlbar zu machen, dass das Volkslied, paradox ausgedrückt, gerade als verlorenes und verloren gegebenes unverlierbar ist“. Besser lässt sich Mahlers Zugriff, ja Weltverständnis nicht bezeichnen. Und damit auch sein Humor, der einzig aus dieser Distanz möglich wird.